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Ganz mechanisch nahm ich die Depesche,— blutig-roth schwirrten die Buchstaben vor meinen Augen. Ich fürchtete einen Schlag. Dem Manne der Gerechtigkeit reichte ich das offene Blatt:„Lesen Sie,— ich vermag's nicht!" Der Präsident überflog den Inhalt._„Nicht Bezug auf das furchtbare Ereigniß dieser Nacht haben diese Zeilen,— ein Zeugniß des allewigen Waltens und Wirkens der Natur sind sie, das Geburt dem Tod, das Licht dem Schatten zugesellt.— An des Todes Bette habe ich neues Leben zu verkünden. Das Tele- gramm aus Rapallo , an des Mittelmeeres Küste, datirt,— ich hörte, daß Ihr Sohn dort, der zarten Gesundheit seiner Gattin halber, Aufenthalt genommen,— verkündet Ihnen die Geburt eines Enkels.— Möge der junge Zweig zum kräftigen Reis des alten, ehrenfesten Stammes erblühen, seinem Großvater gleich, zu Ehren bringend seinen Namen durch Gesinnung und durch That."— Großvater! Nie würde ich Melanies Blick vergessen, und wäre ich elend genug, noch hundert Jahre zu leben. So brav, Natur, du Rächerin der Beleidigung, die ich dir angethan,— der Fußtritt fehlte noch, den verächtlichen Wurm sich im Staube krümmen zu lassen. Großvater! Alter Mann, Großvater in jenem Moment, da du in elender Eifersucht einen Unschuldigen gemordet! Mit Blut hast du des Kindes Haupt getauft, nach Blut würde es riechen, erkühntest du dich, je auf ihn die Hand zu legen. Weg mit dir, das Maß ist voll.— Aber nicht so, nicht so, wie ein Moment des Wahnsinns dich verleiten wollte. Der Name, den du preisgeben wolltest der öffentlichen Schande, dem Fluche,— es ist der Name, den du dem Neugeborenen überlässest,— seinetwillen nicht, nicht um Melanies willen; und doch soll alles gut werden— alles. Sei ruhig, guter Präsident, die Nacht des Mysteriums soll sich lichten,— bald, bald!— Nun war ich ruhig, gefaßt, so glücklich erregt, soweit es der Anstand im Hanse der Trauer gestattete.— Ich fragte insgeheim den Präsidenten, ob es mir vergönnt sei, mit dem Grauen des nächsten Morgens nach Rapallo abzureisen, meines Sohnes 5lind zu küssen. Nachdem ich ein langes Protokoll— sein Inhalt ging spurlos an meinem Ohr vorüber— gezeichnet und erklärt hatte, im Fall meine persönliche Zeugenschaft erforderlich, sofort von Italien heimzukehren, gab er seine Einwilligung. Sie dürfte es wohl, guter Mann des Gerichts, mehr als dir ahnen mag, aber von jenen Gestaden, zu denen ich walle, gibt es keine Wiederkehr.— Melanie hatte meine Unterredung mit dem Polizeipräsidenten abgewartet; als ich mit ihm das Seitenzimmer verließ, kam sie mir entgegen. Ein Zug des Leidens, des tiefsten, furchtbarsten Seelenleidens lagerte um ihren Mund, sie war erregt, ohne jede Spur von Bitterkeit. „Ich bin erschöpft zum Umsinken," sagte sie,„ich muß auf mein Zimmer,— ruhen, vielleicht schlummern; ich fühle, daß ich des Geistes Klarheit der ruhigen Ueberlegung, meines einzigen Vorzuges, mehr bedarf als je. Denn ich erwarte dich um zehn Uhr. Wir haben vieles zu bereden." Um zehn Uhr,— mit Tagesanbruch hatte ich mein Haus
hinter mir,— hinter mir auf ewig sie,— sie;— ich antwortete in gleicher Ruhe, ich wollte zu bezeichneter Stunde in ihrem Zimmer sein. Sie ward bleich.„Nein, nein, im Frühstückssaal,— es ist beffer so." Ihr schauderte,— ich verstand, des Mörders Gegenwart sollte nicht die geheiligte Stätte entweihen. Ueber ihrem Bette hängt ihrer Mutter Porträt. — „Ja, es ist besser so,— gute Ruhe, Melanie." Es war mein letztes Wort zu ihr, ich fühlte es in jeder Fiber meines Seins. Und sie antwortete:„Gute Ruhe, Waldenau." „Ja, gute Ruhe!— Töne fort, du letzter Klang geliebter Lippe, über des Meeres weite Fläche. Die Wellen, die stürmisch aufbrausenden, durchdringe bis zum Grunde, und fächle ins Herz dem alten, bleichen, stillen Mann tief auf dem Grunde, und sei ihm des Labsals kühlender Tropfen im Flammenmeer der Hölle, sei ihm Grablied, Gebet, Vaternnser.— Gute Ruhe!— Melanie, ich sah dich noch einmal;— vergib, vergib! Noch einmal,— mit neidischen Nebeln rang der junge Tag, da stahl ich mich in dein Zinimer. Ich sah dich ruhen auf deinem schneeigen Lager,— du schliefst,— ruhig ging dein Athem,— die Natur forderte ihr Recht;— lange mußte der Schlummer dich geflohen haben, das Licht war niedergebrannt und erloschen. Ja, Melanie, es wird Tag, auf geht die Sonne mit mildem Strahl, wärmend, verklärend. Weg mit erkünstelter Helle,— zu den Todten, verschrumpftes, mißförmiges Licht,— gewesen bist du,— die Sonne geht auf!— Melanie, ich habe an deinem Bette gekniet, ich habe leise, so ganz leise im Kusse deine weiße Stirn berührt; du zucktest nicht zusammen, wie im Schauer, du lächeltest,— o, sei gesegnet für dies Lächeln, gesegnet für alle die Blumen, die deine Hand meines Daseins letzten Tagen ge- wunden. Ich selber war's, der sich die Dornen darein band, an deren Stich ich nun verbluten soll. Du regtest dich,— ich floh wie ein ertappter Verbrecher,— nun war ich frei,— frei zu gehen, wohin ich wollte,— mit hoher, obrigkeitlicher Bewilligung sogar. Ich gehe in den Tod. — Mein letzter Wille, den mein Sohn auch ohne Gerichtsformali- täten respektiren wird, ist in meine Schatulle auf dem Gute nieder- gelegt. Der Brief für den Polizeipräsidenten von Thal, dem diese Blätter bestimmt, lege ich ihnen bei, er wird nicht lang sein.— Nun das Siegel der Hülle aufgedrückt, die sie umschließen soll. Ich erbat niir Lack,— man gab mir rothes— blutrothes—, es tröpfelt zur Erde, da ich es am Licht erwärme,— ein Flecken bleibt am Boden der Kajüte haften,— ein blutigrother Fleck, vergossenem Blute gleich, das zum Himmel schreit.— Zu Ende mit dem Drama im Alter,— der Vorhang fällt. Vergebung hier und droben, ich wage sie nicht zu hoffen, nur Gerechtigkeit heische ich um menschlicher Schwäche willen, menschlichen Wahn- sinns.— Jetzt das letzte Wort an den Mann des Gesetzes, an den Präsidenten von Thal, und dann— dann— Gute Ruhe, Waldenau!
Zum neunten Mai. Ein Gedenkblatt von Uruno Geiser. (Hierzu das Porträt Schillers.)
Der wundervolle Monat Mai— wie manche Hoffnung hat er schon betrogen, wie manche Blüthe durch die rauhe Luft seiner Nächte getödtet, statt sie zu der erhofften Vollentfaltung zu kräftigen! Kein Tag im„Wonnemonat" gibt gerechteren Anlaß zu so melancholischer Betrachtung, als der neunte— jener Tag, an dem nun vor genau dreiviertel!! eines Jahrhunderts der Tod seine vernichtende Hand legte auf ein Menschenhaupt, aus dem mehr als ein unsterbliches, in seiner Größe von keiner andern Menschenschöpfung gleicher Art erreichtes Werk geboren worden ist, und aus dem zweifellos nicht minder Großes noch in reichem Maße hervorgegangen wäre! Aber ein Leben überreich an geist- aufteibendster Arbeit und arm an jenen klingenden, materiellen Erfolgen, wie sie ein gedankenstumpfes, ideenleeres Glücksritter-
thum allezeit am besten einzuheimsen verstand, hatte die Kraft des Körpers allgemach zermürbt und zermalmt, den einer der größten und edelsten Geister belebte. Des Abends gegen sechs Uhr am 9. Mai des Jahres 1805 starb Friedrich Schiller . Die Leser der„Neuen Welt" kennen den Dichter, welcher dem Herzen des deutschen Volkes am nächsten steht, so gut, daß es eine Thorheit wäre, wenn ich an dieser Stelle seine Biographie geben oder über seine Werke berichten wollte. Aber grade iveil Schiller der erste der Lieblingsdichtcr seines Volkes ist, haben auch die kleineren, unscheinbareren Begebenheiten, welche ihn angingen, auch heute noch hohe Bedeutung und lebhaftes Jnter- effe für jedermann, und alle Seiten seines vielgestaltigen Schaffens, auch die von der Literaturgeschichte minder beachteten und darum