„Ich danke Ihnen für alle weiteren Auskünfte, ich weihwjenug, übrig genug,— ich hoffe, Sie nicht wiederzusehen, Herr Schweder. Ich werde zum Theil dem Beispiel jener andern folgen,— mein Gatte soll wissen, was er von seinem Weibe und was er von seinem, einzigen' Freunde, dem unvergleichlichen Herrn Schweder zu halten hat--" Sie schritt hastig zur Thür. Schweder stellte sich ihr hochaufgerichtet in den Weg. Es war, als ob es ihm einen Augenblick lang Mühe kostete, seine Erregung zu meistern, und seine Stimme erklang lauter und wärmer als vorher, als er sagte: „So dürfen wir nicht von einander scheiden. Es ist nicht wahr— ich bin nicht herzlos, und ich dulde nicht— nie und nimmer dulde ich, daß das Band, welches uns verknüpft, in wilder Verblendung schonungslos und für immer zerrissen werde.--" Bei den letzten Worten war es, als ob seine Stimme bebte, er erhob seine Arme, als wollte er die Frau, die vor ihm stand, umfangen; sie aber wich vor seiner Berührung zurück, als ob sie ihn verabscheue: „Wenn Sie mir nicht sofort freie Bahn lassen," schrie sie mehr, als sie es rief,„dort ist das Fenster— ich schlage es ein und rufe um Hülfe,— ich zerreiße die Fesseln, und wenn ich dabei zugrunde gehen sollte,— mein Stolz ist ohnehin vernichtet, und ich habe lange genug gefühlt, was ich heute weiß, daß ich nur ein Spielball, ein Nichts, oder gar schlimmer, als ein Nichts,— nur Mittel, erbärmliches Mittel zum Zweck in den Händen eines Geschäftsspekulauten—" Aus Schweders Gesicht begann die Farbe zu weichen, jetzt funkelten und flammten auch seine Augen. Blitzschnell, mit einem Satz, so wild und gewandt, wie ein Tiger springt, stand er vor dem Fenster und hatte mit der einen Hand den vollen Oberarm der Frau gefaßt, während er die andre erhob wie zu einem Gewalt- streich, als ob er sie zu schweigen zwingen, ihr gewaltsam den Mund schließen wollte.-- Die aufs höchste empörte, energische Frau schrie wild auf, mit einer äußersten Kraftanstrengung gelang es ihr, sich seinem eisernen Griffe zu entwinden,— sie stürzte zur Thür, die nun frei war; aber ehe sie sie noch erreicht hatte, wurde sie aufgestoßen und auf der Schwelle stand eine andere Frau, gleichfalls mit milden, aber triumphirenden Blicken die Szene betrachtend. „Also wirklich," es klang wie ein Jubelschrei aus dem Munde der Neuangekommenen;„wirklich finde ich die Herrschaften bei einander und, wie der Augenschein lehrt, in einer Erregung, die mir nicht nur beweist, daß ich recht gehabt, als ich Sie, gnädige Frau, als meine Schicksalsgenossin anredete, sondern auch, daß ich das richtige Mittel wählte, um mich auch an ihm zu rächen— an Ihnen, mein Freund Schweder." Ueber Schweders Gesicht hatte sich eine Blässe gelegt, die noch um einen Schatten tiefer wurde, als er im Nebenzimmer Männertritte hörte. Aber er war noch lange nicht besiegt,— an seiner stolzen Haltung war keine Spur geändert, auf seinem Antlitz lag die alte überlegene Energie. Auf die Worte Christine Steins antwortete er nicht; er schritt an den beiden Frauen, die einander mit unbeschreiblichem, halb theilnahmsvollcm, halb feind- lichem und verächtlichem Gesichtsausdruck ins Auge schauten, vorüber zur Thür. „Ah, Sie Herr Prell, haben dieser Dame geöffnet; sehr freund- lich. Und Herr Klose— Ihnen meinen besten Dank für Ihr freundliches Erscheinen. Sie werden die Güte haben, mir und einer ebenso schönen als hochzuverehrenden Dame einen Kavalier- dienst zu leisten, und dann wieder hierher zurückzukehren, wenn ich bitten darf. Die Gattin meines besten Freundes war in Gcschästsangelegenheiten auf der Redaktion und wurde unwohl. Sic geleiten die Dame nachhause— an der nächsten Ecke stehen Wagen. Ich würde mir die Ehre selbst geben, wenn mich eine andre— eine traurige Pflicht— nicht jetzt zurückhielte." „Besten Freund— Geschästsangelegenheiten— unwohl— hören Sie es, gnädige Frau?" lachte die Schauspielerin hell auf. Schweder kehrte sich nicht daran. Er trat dicht vor Prell und sagte leise, sodaß nur der Angeredete und der ganz verdutzt neben diesem stehende alte Herr Klose die Worte verstehen konnte: „Sie— holen sofort meinen Arzt, den Professor Werneck , hierher, er muß kommen— unter allen Umständen— auf der Stelle." Prell, der ein Grinsen, das noch viel höhnischer aussah, als sonst, kaum verbergen konnte, verbeugte sich. Schweder stand bereits wieder an der Thür seines Bureaus:
„Gnädige Frau— ich bitte. Mein verehrter Freund— der würdige Herr Doktor Klose, wird die Güte haben, Sie nachhause zu geleiten. Ich hoffe, daß Sie die frische Frühlingsluft wieder völlig hergestellt haben wird, bevor Sie Ihre Wohnung erreicht haben." Wieder lachte die Schauspielerin— so laut, fast unheimlich, auf, daß der alte Herr Klose, welcher absolut keine Ahnung hatte, was der seltsame Auftritt, dessen unfreiwilliger Zeuge er geworden, zu bedeuten habe, ganz entsetzt nach der Thür schaute. „Glauben Sie das auch, gnädige Frau?" hatte Christine Stein gefragt. Frau Senkbeil gewann es nicht über sich, ihr zu antworten, sie auch nur noch einmal anzusehen, als sie bei ihr vorüber- schritt. Schweder hatte recht,— die Szene mußte enden,- der Eklat>var groß genug, furchtbar groß, und der letzte, erschütterndste Akt in dem Drama war es ohnehin nicht. Aber sie sah auch Schweder nicht an, als sie aus seinem Zimmer in das andre trat. Sie schaute nur auf Klose: „Wenn Sie mich begleiten wollen, mein Herr Doktor," sagte sie mit müder, aus einem wunden Herzen matt heraufklingender Stimme. Der alte Herr starrte sie an, so überrascht, so erregt, wie damals, als er sie zum erstenmale sah, im Restaurant Weinhold, an jenem Abend, welcher ihm Fritz Lauter näher geführt hatte. Seine Stimme versagte fast den Dienst, als er mit tiefer Verbeugung antwortete: „Wenn mir die gnädige Frau das Vergnügen— die Ehre—" Die Dame neigte ihr schönes Haupt gegen ihn, und gegen ihn allein, und schritt rasch, ohne ein Wort, ohne einen Blick sonst ihm voran zur Thür. Der alte Herr Klose folgte ihr, wie im Traume. Schweder warf einen fragenden, befehlenden Blick auf Prell, der immer noch, neugierig umherspionirend und grinsend auf dem alten Flecke stand. Prell kannte seinen Chef und fürchtete solche Blicke,— er verschwand eiligst, aber nicht, ohne noch einmal nach der schönen Schauspielerin hingeschaut zu haben, welche sich, wie von irgendeiner großen Anstrengung erschöpft, auf einem der Fauteuils niedergelassen hatte und das Gesicht hinter ihren Fächer verbarg. Schweder zögerte einen Augenblick, bevor er in sein Zimmer zurückkehrte. Sein Gesicht zeigte wieder jene Kälte, welche an- zudeuten pflegte, daß er zum äußersten entschlossen war, drohend und düster leuchteten seine Augen und um seinen Mund hatte sich ein Zug von Grausamkeit gelegt, der die vollen Lippen fest zusammenzog. „Ja— ich finde— es gibt keinen andern Weg— es muß sein— sie hat's gewollt; ich habe sie tausendmal gewarnt, sie solle niemals sich unterstehen, feindlich meinen Weg zu kreuzen. Aber die andere— nun, wenn sie die Thorheiten noch weiter- treibt, dann auch sie— in der einen oder der andern Weise; vielleicht sie und er, mein Freund— pah, wenn er mich zur Rechenschaft ziehen Ivill, so ist auch er seines Schicksals Schmied,— ich weiche nicht, ich will und muß das Spiel gewinnen. Was ich dabei gewinnen kann bei dem verdammt hohen Einsatz, den ich auf ein paar wichtel'sche, erbärmliche Karten setze— ja, was—" Ueber seine Züge wetterleuchtete es wie Selbstverhöhnung. Er zuckte die Achseln und trat in sein Zimmer. ** Fritz Lauter war seit mehr als acht Tagen im Gebirge. Er hatte sich im Einverständniß mit seinem Chef für die ersten Tage bei seinen Verwandten in Oberbartenstein einquartiert. Dann hatte er seinen Aufenthaltsort in dem entgegengesetzten Theile des Oberlandes gewählt, um gleich in den ersten Tagen aus eigner Anschauung ein möglichst vollständiges und möglichst wenig einseitiges Bild von der Lage der Dinge da oben zu erhalten. Was er bis jetzt gesehen und gehört, erschien ihm trostlos; noch viel schlimmer und verhängnißvoller, als er es sich vorher hatte träumen lassen. Die Hoffnung, daß die Erbitterung der Gebirgsbewohner wegen des Engagements der Italiener und Wasserpolaken sehr bald verrauchen würde, wie sie vielfach aus- gesprochen worden war, schien ihm jetzt völlig trügerisch. Im Gegentheil: es war ihm, als ob jeder Tag diese Erbitterung steigerte. Das war auch die Auffassung, wie sie bei den an der brennenden Frage nicht unmittelbar betheiligten Bewohnern der Gebirgsstädte und Dörfer vorherrschte. Es werde und müsse zu blutigen Konflikten kommen, wenn die Eisenbahnverwaltung nicht endlich noch ein Einsehen habe, meinte man.(Fortsetzung folgt.)