stand, an dem nichts mehr auszusetzen war, als daß er die moralische und intellektuelle Kraft nicht besaß, der Korruption von obenher zu steuern.
Wie in" Fiesco " sich der Adel unwürdig und unfähig zugleich erwies zur Schöpfung menschenwürdiger Verhältnisse, so zeigte sich in Kabale und Liebe " der Bürgerstand allzu ideenleer und charakterschwach, um als Träger politischer Zukunftshoffnungen erkiest zu werden.
Damit waren diejenigen Volksgruppen erschöpft, welche zu Ständen äußerlich geordnet in jener Zeit vorhanden waren. Anderswo, als bei ihnen, mußte der Hebel der Gedankenrevolution mit Aussicht auf Erfolg anzusehen sein. Andere Ziele, als sie im Gesichtskreise des Adels und Bürgerthums lagen, mußten abgesteckt werden, um eine Bewegung schaffen zu helfen, welche das Volk in ihre Kreise zog.
In den nächsten Jahren arbeitete Schiller am ,, Don Carlos ". Dieser verhält sich zu den vorhergegangenen Trauerspielen nicht ,, wie das Ziel zum Weg", wie Schillers Biograph Hoffmeister meint, in ihm versucht der Dichter vielmehr einen neuen Weg zu einem neuen, höheren Ziele zu gehen.
Sein Freiheitsideal erscheint hier nicht mehr als ein trügerischer Schemen, wie in den Räubern", die befreiende That ist nicht mehr geheftet an die Fersen eines bestimmten Standes, wie im" Fiesco ", eines Standes, der selbst nichts Besseres vermag, als die junge Freiheitssaat sofort wieder zu zertreten, aus dieser Tragödie gähnt uns auch nicht der ganze Jammer hoffnungslos verderblicher Zustände entgegen, wie in" Kabale und Liebe ", in dem der Musikus Miller, der mit seinem abwechselnden Zähneknirschen vor Wuth und Zähneklappern vor Angst so kostbar das niedere Bürgerthum von damals repräsentirt, während die von zarteren Gefühlen regierte Jugend nichts Besseres zu thun weiß, als sich zu vergiften; hier im„ Don Carlos" tritt entschleiert das vornehmste Strebeziel wahren Menschenthums auf die Bühne. König Philipp der Zweite hat es erfaßt und spricht es aus, nachdem er die furchtbare Szene an der Leiche des Marquis Posa mit seinem Sohne Carlos durchlebt:
Für einen Knaben stirbt
Ein Posa nicht. Der Freundschaft arme Flamme Füllt eines Posa Herz nicht aus. Das schlug Der ganzen Menschheit. Seine Neigung war Die Welt mit allen kommenden Geschlechtern.
Und Posa war es selber, der es dem Könige gesagt, was er vorher keinem Menschen noch vertraut:
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Marquis. Ich kann nicht Fürstendiener sein. ( Der König sieht ihn mit Erstaunen an.) Ich will
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Den Käufer nicht betrügen, Sire. Wenn Sie Mich anzustellen würdigen, so wollen Sie nur die vorgewogne That. Sie wollen Nur meinen Arm und meinen Muth im Felde, Nur meinen Kopf im Rath. Nicht meine Thaten, Der Beifall, den sie finden an dem Thron, Soll meiner Thaten Endzweck sein. Mir aber, Mir hat die Tugend eignen Werth. Das Glück, Das der Monarch mit meinen Händen pflanzte, Erschüf' ich selbst, und Freude wäre mir
Und eigne Wahl, was mir nur Pflicht sein sollte. Und ist das Ihre Meinung? Können Sie In Ihrer Schöpfung fremde Schöpfer dulden?
Ich aber soll zum Meißel mich erniedern,
Wo ich der Künstler könnte sein?- Ich liebe
Die Menschheit, und in Monarchien darf Ich niemand lieben, als mich selbst.
Das Glück aber, das Posa für die Menschheit reklamirt, das ist nicht jenes Glück, welches Monarchen ihren Völkern zu gönnen pflegen:
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Doch, was der Krone frommen kann ist das Auch mir genug? Darf meine Bruderliebe Sich zur Verkürzung meines Bruders borgen? Weiß ich ihn glücklich eh' er denken darf? Mich wählen Sie nicht, Sire, Glückseligkeit, Die Sie uns prägen, auszustreun. Ich muß Mich weigern, diese Stempel auszugeben. Ich kann nicht Fürstendiener sein.
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Freilich verlohnte es sich der Mühe, zu versuchen, ob nicht auch in eines Königs Herz der Funke edler Menschlichkeit zum wärmenden Feuer, zur leuchtenden Flamme zu entfachen wäre:
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Weihen Sie Dem Glück der Völker die Regentenkraft, stellen Sie der Menschheit
Verlornen Adel wieder her. Der Bürger Sei wiederum, was er zuvor gewesen, Der Krone Zweck- ihn binde keine Pflicht, Als seiner Brüder gleich ehrwürd'ge Rechte*).
Ein gewaltiges, hohes Ziel, das Posa dem Könige stellt! Wie aber sollte derselbe König, der die Menschen zu verachten gelernt hat, weil sie seine Sklaven waren, die Begeisterung finden, ihm zuzustreben?
Marquis.
Jch höre, Sire, wie klein, Wie niedrig Sie von Menschenwürde denken, Selbst in des freien Mannes Sprache nur Den Kunstgriff eines Schmeichlers sehen, und Mir däucht, ich weiß, wer Sie dazu berechtigt. Die Menschen zwangen Sie dazu; die haben Freiwillig ihres Adels sich begeben, Freiwillig sich auf diese niedre Stufe Herabgestellt. Erschrocken fliehen sie Vor dem Gespenste ihrer innern Größe, Gefallen sich in ihrer Armuth, schmücken Mit feiger Weisheit ihre Ketten aus,
Und Tugend nennt man, sie mit Anstand tragen. So überkamen Sie die Welt. So ward Sie Ihrem großen Vater überliefert. Wie könnten Sie in dieser traurigen Verstümmlung Menschen ehren?
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Darum ist sie nur ein Zugeständniß an die Gunst des Augenblicks, diese Probe mit dem auf dem Throne grau gewordenen Könige. Des Königs Sohne, dessen Herz für das Edle noch weit und freudig geöffnet ist, Don Carlos, gilt die Ideenvielleicht möchte propaganda des Menschheitsschwärmers Posa, er zur That machen fönnen, was sein Vater kaum zu begreifen vermocht. Aber auch er nur vielleicht der Schwärmer Posa kennt seine Zeit:
Die lächerliche Wuth
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Der Neuerung, die nur der Ketten Last, Die sie nicht ganz zerbrechen kann, vergrößert, Wird mein Blut nie erhitzen. Das Jahrhundert Ist meinem Jdeal nicht reif. Ich lebe
Ein Bürger derer, welche kommen werden.
Die Wahrheit seiner Einsicht besiegelt Bosa mit seinem Tode; und daß seine freilich nicht gar zuversichtliche Hoffnung, sein Schüler Carlos werde der königliche Herold des Evangeliums freier Menschlichkeit werden, eitel war, lehrt erschütternd genug der Ausgang der Trägödie. Nicht das über dem geknechteten Volfe in traditioneller Erdengöttlichkeit thronende despotische Königthum triumphirt, sondern unüberwindlich und unerbittlich, wie das Fatum, die Anangke, die über den Göttern thronende Schicksalsmacht der Alten, greift die Kirche in der Gestalt des 90jährigen Kardinal- Großinquisitors in die letzten Szenen, um den König Philipp zu strafen für den Hauch freier Regungen, von welchen er seine von der Kirche gesalbte Stirn hat leise berühren lassen, und Carlos, in dessen Brust die Saat Posa's Wurzel gefaßt, erbarmungslos zu vernichten.
Wer erkennt nicht in dieser Jugendtragödie unseres größten Dramatikers, von dem verzweifelten Räuberkriege gegen alles Bestehende bis zur Proklamirung der Menschenrechte im„ Don Carlos " das Wetterleuchten der kaum drei Jahre nach Vollendung dieses letzten Dramas gewitterhaft unerwartet und gewaltig hereinbrechenden französischen Revolution?
*) Die folgenden dreizehn Verse stehen nur in der ersten Auflage! Der Landmann rühme sich des Pflugs und gönne Dem König, der nicht Landmann ist, die Krone. In seiner Werkstatt träume sich der Künstler Zum Bildner einer schönern Welt. Den Flug Des Denkers hemme ferner keine Schranke, Als die Bedingung endlicher Naturen. Nicht in der Vatersorge stillem Kreis Erscheine der gekrönte Fremdling. Nie Erlaub' er sich, der Liebe heilige Mysterien unedel zu beschleichen.
Die Menschheit zweifle, ob er ist. Belohnt Durch eignen Beifall, berge sich der Künstler Der angenehm betrogenen Maschine.