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Bum neunten Mai.

Ein Gedenkblatt von Bruno Geiser. ( Schluß.)

Wenn sich in Schillers Worten und Werken nur vereinzelte Andeutungen fänden, denen man prophetische Bedeutung beilegen dürfte, so hätten die Zweifler leichtes Spiel, denn in welchem größeren Schriftwerke, vor allen aber in welchen großen poetischen und ganz insbesondere dramatischen Schöpfungen ließen sich nicht Stellen aufweisen, die wohl oder übel mit zukünftigen Ereignissen in Ideenzusammenhang zu bringen wären?

Bei Schiller aber sind es nicht seltene Einzelheiten, die also zu gebrauchen oder zu mißbrauchen wären, es wiederholen sich die Gedankenblizze seines prophetischen Genius so oft, ja alles beinahe, was er geschaffen hat, weist so entschieden und in so erstaunlich treffender Weise auf die Geschichtsgestaltungen der Zu­kunft hin, daß auch der hartnäckigste Anhänger der ideenwüsten Lehre vom Weltregimente des blinden Zufalls die zweischneidige Waffe des Zweifels strecken muß.

Und für den, der in den Geschicken der Individuen sowohl als der Völker nothwendige, aus natürlichen Ursachen organisch hervorwachsende Gestaltungen sieht, ist es, wenn auch überraschend, so doch nicht wunderbar oder gar unmöglich, daß es geistbegnadete Menschen gibt, die mit hoher Sicherheit aus dem Vergangenen auf das Künftige schließen, während um sie her alles in Dunkel heit tappt, alles sich an den prophetischen Gedanken verständniß los herumstößt und an den unvorhergesehenen Ereignissen die Schädel einrennt.

Schiller war ein Dichter von weltüberragender Begabung; er war zugleich ein Denker, der in die Tiefen der Geschichts­forschung hinabstieg, soweit es seiner Zeit überhaupt möglich war, gleichwie er die gewaltige Welt- und Lebensanschauung der kanti­schen Philosophie in aller Schärfe und in ihrem ganzen Umfange in sich aufnahm.

Aus der Geschichte holte er sich fortan ausschließlich seine dramatischen Stoffe. 1791 schrieb er:

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,, Unter allen historischen Stoffen, wo sich poetisches Interesse mit rationellem und politischem noch am meisten gattet, steht Gustav Adolph obenan. Die Geschichte der Menschheit gehört als unent­behrliche Episode in die Geschichte der Reformation, und diese ist mit dem dreißigjährigen Kriege unzertrennlich verbunden. Es kommt also blos auf den ordnenden Geist des Dichters an, in einem Heldengedicht, das von der Schlacht bei Leipzig bis zur Schlacht bei Lützen geht, die ganze Geschichte der Menschheit ungezwungen, und zwar mit weit mehr Interesse zu behandeln, als wenn dies der Hauptstoff gewesen

wäre."

Aber er wählte doch nicht zum Gegenstande poetischer Be­handlung Gustav Adolph , sondern dessen größten Gegner unter den Heerführern des deutschen Kaisers, Albrecht von Waldstein , den eisernen Herzog von Friedland.

Einer der Hauptgründe zu dieser Wahl bildete unzweifelhaft wieder die Rücksicht auf seine eigene, auf Schillers Zeit.

Was er im Anfang des letzten Dezenniums vom vorigen Jahrhundert vorausgesehen und-gesagt, begann sich zu vollziehen. Der geistolle, kräftige Mann" war im Begriff, sich zum Herrn von Frankreich " zu machen. Napoleon Bonaparte hatte im Auf trage des französischen Direktoriums und im Verein mit Barras 1795 den royalistischen Aufstand niederkartätscht, darauf 1797 Desterreich in Italien zu Boden geworfen, zwei italische Repu­bliken gegründet, war in der zweiten Hälfte des Jahres 98 und in der ersten von 99 als Sieger durch Aegypten gezogen und eilte zur selben Zeit, als Schiller den Prolog schrieb zu seinem ,, Wallenstein ", nach Frankreich zurück, um aus dem wogenden Meere der von Schiller lange vorher prophezeiten französischen Anarchie für sich das Konsulat und die Kaiserkrone an den Tag zu heben.

Daß Bonaparte nach der Herrschaft über Frankreich streben werde, konnten jetzt auch mittelmäßige Köpfe vorausseßen, daß er sie aber erringen, daß er Europa zu unterjochen streben werde, daß so ungeheure Umwälzungen bevorständen, wie sie in den ersten 15 Jahren des 19. Jahrhunderts wirklich hereinbrechen sollten, dies schon bei des glänzenden Meteors blutigem Auf­glühen am politischen Horizonte nicht nur zu ahnen, sondern klar und verständlich auszusprechen, war wieder nur Schiller vor­behalten.

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Sein Wallenstein" war ganz und gar für die Geschichts­epoche gemacht, in die sein Erscheinen fiel.

Volk

Schiller selbst sette ihm im Prologe die Aufgabe, das deutsche aus des Bürgerlebens engem Kreis Auf einen höhern Schauplag zu versezen, Nicht unwerth des erhabenen Moments Der Zeit, in dem wir strebend uns bewegen. Denn nur der große Gegenstand vermag Den tiefen Grund der Menschheit aufzuregen; Im engen Kreis verengert sich der Sinn, Es wächst der Mensch mit seinen größern Zwecken. Und jetzt an des Jahrhunderts ernstem Ende Wo selbst die Wirklichkeit zur Dichtung wird, Wo wir den Kampf gewaltiger Naturen Um ein bedeutend Ziel vor Augen sehn

Und um der Menschheit große Gegenstände, Um Herrschaft und um Freiheit, wird gerungen, Jeßt darf die Kunst auf ihrer Schattenbühne Auch höhern Flug versuchen, ja sie muß,

Soll nicht des Lebens Bühne sie beschämen.

Und dann zeichnet er in dem Bilde, welches er von den schreckenreichen Zuständen während des dreißigjährigen Krieges ent­wirft, das Unheil, welches das mörderische Genie Bonapartes über das in sozialer und politischer Auflösung befindliche Deutschland und den größten Theil von Europa heraufführen sollte, und im Wallenstein den Soldatenkaiser selber, dessen Stern erst in Ruß­ lands Schneegefilden unterzugehen bestimmt war.

In jenes Krieges Mitte stellt euch jezt Der Dichter. Sechzehn Jahre der Verwüstung, Des Raubs, des Elends sind dahingeflohn, In trüben Massen gähret noch die Welt, Und keine Friedenshoffnung strahlt von fern. Ein Tummelplatz von Waffen ist das Reich, Verödet sind die Städte,

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Gewerb und Kunstfleiß liegen nieder, Der Bürger gilt nichts mehr, der Krieger alles, Straflose Frechheit spricht den Sitten Hohn, Und rohe Horden lagern sich, verwildert Jm langen Krieg, auf dem verheerten Boden.

Auf diesem finstern Zeitgrund malet sich Ein Unternehmen kühnen Uebermuths Und ein verwegener Charakter ab. Ihr kennet ihn

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den Schöpfer kühner Heere, Des Lagers Abgott und der Länder Geißel,

Des Glückes abenteuerlichen Sohn, Der, von der Zeiten Gunst emporgetragen, Der Ehre höchste Staffeln rasch erstieg Und, ungesättigt immer weiter strebend, Der unbezähmten Ehrsucht Opfer fiel.

Zwei Jahre später, in den Anfangsworten der Jungfrau von Orleans", weist er wieder auf das hin, was da kommen muß. Der Vater der Jungfrau warnt seine Mitbürger vor dem engli­schen Eroberer:

Ja, liebe Nachbarn! Heute sind wir noch Franzosen, freie Bürger noch und Herren Des alten Bodens, den die Väter pflügten, Wer weiß, wer morgen über uns befiehlt! Denn aller Orten läßt der Engelländer Sein sieghaft Banner fliegen, seine Rosse Zerstampfen Frankreichs blühende Gefilde. Paris hat ihn als Sieger schon empfangen, Und mit der alten Krone Dagoberts

Schmückt es den Sprößling eines fremden Stamms. Im Jahre 1804, zwei Jahre vor der Unterjochung Deutsch­ lands durch den kaisergekrönten Todtengräber der französischen Revolution, erschien Schillers legtes großes Drama, Tell".

Es bildet den Abschluß jener Kriegstragödien, die in ,, Wallen­ stein " und der Jungfrau von Orleans" auf die Bühne getreten waren. Es verherrlicht die That der Befreiung des Volkes von fremdem Joche durch seine eigene Kraft in hinreißendem Schwunge und Feuer. Unberechenbar viel hat es zur Erhebung

Nr. 34.

1880.