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der im Süden das Thal begrenzt, sperrt Bellinzona mit seinen Felsen, seinen zinnengekrönten Mauern und mittelalterlichen Kastellen das Thal. Drohend erheben sich über der Thalebene die Kastelle von Úri , Schwyz und Unterwalden, einst die Zwingburgen der gestrengen Landvögte, die von ihren Kantonen hier eingesezt, ein eisernes Regiment führten. Das niedrigstgelegene, doch immer noch die Stadt überragende Castello grande dient jezt als Zuchthaus und gleichzeitig als Zeughaus des Kantons, während es ehemals die befestigte Residenz des Landvogtes von Uri war.
Moderne Fortifikationen stehen mit den höher gelegenen Kastellen in Verbindung und geben der wegen ihrer Lage für die Eidgenossenschaft sehr wichtigen Stadt die Eigenschaft einer Festung.
Bellinzona ist die zukünftige, beständige Hauptstadt des Kantons Tessin . Dieser Kanton hatte nämlich nach der Verfassung von 1814 drei Hauptstädte; so, daß alle sechs Jahre die Regierung des Kantons mit ihren Archiven, Materialien, Juventarien u. s. w. einen flotten Umzug hielt. Lugano , Locarno und Bellinzona waren die glücklichen Städte, die je sechs Jahre lang die Regierung in ihren Mauern beherbergten. In Lugano wurde 3. B. für die Zeit der Abwesenheit der Regierung der Regierungspalast als Hotel ( Hotel Washington) vermiethet.
In Zukunft wird Bellinzona die stabile Residenz der Kantonsregierung sein und das Wandern und Umherziehen wird ein Ende erreicht haben. Wenn man als Fremder eine jener Städte betritt, kann man als goldene Regel die möglichste Neutralität beobachten, so lange man unbehindert und ungekränkt dort verweilen will. Diese Neutralität besteht in dem Fernhalten von den lokalen, gewöhn
Strassberger
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Landstraße an der Bergwand empor. Rechts unten die Thalebene mit dem fertigen Theile der Gotthardbahn , die auf mäßig hohem Erddamme die Fläche durchzieht, während auf beiden Seiten des Thales von den tausende von Fuß hohen Bergwänden, aus dem üppigen Grün, die weißen Mauern der Kapellen, der Bergdörfer, Kastelle und massiven Sennhütten hervorleuchten.
Weiter im Südwesten erblicken wir den oberen Theil des Lago maggiore mit seiner gewaltigen Wasserfläche die Ebene des Thales ergänzend. Rothe Felswände begrenzen am Abhange des Berges die Straße und zwischen und auf ihnen wuchert die üppige Vegetation des Südens. Nach einer Stunde haben wir die Paßzhöhe erreicht. Links und rechts erheben sich
Das Jagdlager Orvielle bei Valsavaranche.( Seite 466.)
lich sehr einseitig gefaßten Tagesfragen, die von der liberalen und ultramontanen, von der radikalen und konservativen Partei des Kantons gewöhnlich mit größter Erbitterung und verzweifelter Energie und häufig leider mit den kleinlichsten Mitteln ausgefochten werden.
Den Bundesbehörden haben die Vorgänge im Kanton Tessin häufig sorgenvolle Stunden gebracht, und in mancher Sigung im Bundespalais zu Bern beriethen die eidgenössischen Räthe mit Sorgen die Angelegenheiten des tessiner Volkes, die mitunter von unbedeutenden Vorgängen sich herleitend, nach Jahren plößlich zu bedrohlichen Konflikten heranreiften und bei dem heißblütigen Charakter der Tessiner die ernstesten Besorgnisse wachriefen.
Von Bellinzona führt uns die Landstraße circa 13/4 Stunden weit in der Thalebene bis zu dem Fuße des Monte Cenere, und in Zickzacklinien und Schlangenwindungen zieht sich nun die
mit
Ortschaften romantisch gelegenen Kapellen und Klöstern erblicken wir zwischen den dichten Laubwaldungen von anmuthigen Matten umgeben. Es ist ein fruchtbares, anmuthiges und herrliches Thal, durch das die Straße sich hinzieht. Seitenthäler mit herrlichen Fernsichten, Wald- und Gebirgsszenerien erhabenster Art wechseln ab, bis plößlich bei der Ortschaft Masagno eine Aussicht auf das in der Tiefe liegende Lugano sich bietet, die zu den seltensten und schönsten gerechnet werden muß.
Lugano mit seinem See und den jenseits aus dem See schroff und unmittelbar aufsteigenden steilen Gebirgen bietet einen Anblick, der nicht geschildert werden kann. Die größte und betriebsamste Stadt des Kantons Tessin ist Lugano , und seine höchst eigenthümliche Lage, die Reize seiner Umgebung üben auf jeden einen magischen Einfluß, einen Eindruck aus, dem selbst das blasirteste Gemüth nicht widerstehen fann.
Keine verzweifelt langweiligen, linearen Straßenfronten, keine berechnete, kokette Regelmäßigkeit nehmen wir in diesem Städte bilde wahr; auf der einen Seite sich an eine Hügelfette lehnend und zwischen dieser und dem See sich entlangstreckend, breitet sich die Stadt andrerseits, sich bis zur Thalebene hinunter terrassenförmig abstufend, bis zum Ufer des Cassaratebachs aus. Nicht blos die Sprache, sondern mehr noch die Sitten und Gebräuche seiner Bewohner und der Einfluß, den das nahegelegene Como und Mailand ausübt, machen Lugano zu einer italienischen Stadt. Jn bunter Abwechslung findet man an den Ufern des Luganersees italienisches und schweizerisches Gebiet, und jenseits des Sees, in einer Distanz von circa drei Kilometer, sogar eine von schweizer Gebiet umgebene italienische Ortschaft, Campione .
Lugano ist für den Tessiner mit seinen Hotels, seinem herrlichen Quai, Stadttheater und den mit manchem werthvollen