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erscheint, so ist sie unter Umständen doch in ihren Wirkungen furchtbar. Ein Fluch hat den Uebelthäter getroffen, kein Essäer gewährt ihm Aufnahme, niemand reicht ihm Trank oder Speise und doch ist er durch sein Gelübde, von dem man ihn nicht ent- Kunden hat, an die Lebensweise, an die Nahrung des Verbandes gebunden und muß des Hungertodes sterben, wenn er seinem Eide treu bleiben will. Die Fälle, in denen die Ausstoßung sich in ein Todesurtheil verwandelt', sind nicht selten und häufig kommt es vor, daß die Essäer dem Sünder, der trotz der Qualen des Hungers seinem Gelübde treu bleibt, in der Todesstunde Ver- zeihung gewähren und ihn wieder in den Bund aufnehmen. Die Essäer bekämpfen den Gewinn auf Kosten des Nächsten; sie verabscheuen den Reichthum, den Mord und Krieg, sie sind wahr und aufrichtig in ihren Reden und Handlungen und wirken gutes, wo sich ihnen Gelegenheit dazu bietet. Sie erkennen die Gleichberechtigung der Menschen an und leben in genossenschaft- licher, kommunistischer und nur nach der Erkenntnißstufe der Ge- Nossen gegliederter Verbindung. Alle Mahlzeiten, alle Bäder, überhaupt alle Verrichtungen sind gemeinsam, jeder empfängt, was er bedarf und gibt, was zur Erhaltung der Genossen nöthig ist. Eine Quelle von Glück und Leben, von Freude und Behag- lichkeit müsse, so konnte man folgern, dieser Moral und diesen Einrichtungen entspringen, und hier müsse eigentlich der Hauptsitz der gegen den Despotisnius gerichteten Volksopposition zu
suchen sein, weil es keinen größeren Gegensatz als den zwischen der essäischen Moral und Organisation und den Bestrebungen des autokratischen Regiments gibt. Doch vergeblich sucht man in den essäischen Dörfern nach Freude und Behaglichkeit, nach einem hochentwickelten Kulturleben. Hier sprudelt kein Quell des Lebens, hier regt sich nirgends ein erfrischender, die Gesellschaft begeisternder und vorwärts treibender Hauch, und nichts weiß man hier von Menschenwürde und wahrem Menschenthum. Nur ein schillerndes, bestechendes Gewand ist diese Moral, hinter dem ein trostloses Dasein, Tod und Vernichtung sich birgt. Kein Schmuck ziert die Häuser, kein kunstvolles Acker- oder Arbeitsgeräth fesselt die Blicke. Hier gibt es keine Gartenanlagen, keine Baumpflanzungen an den Wegen, nichts, was irgendwie zur Verschönerung und Veredlung des Lebens dienen könnte, wie es hier auch kein Aufwallen der männlichen, der nationalen Ehre, keinen Zorn, keine Regung der Menschenwürde bei den Gewalt- thaten der Despoten gibt. Vergeblich sucht man in den essäischen Dörfern nach Soldaten und Spionen des Königs, die sonst überall auf der Hetze nach Verschwörern und Rebellen zu finden sind. Und würde man nach den Dingen fragen, die das Volk so fies, so mächtig und leidenschaftlich bewegen, man würde schwerlich eine ausreichende Antwort erhalten. (Fortsetzung folgt.)
Dem Schicksal abgerungen.
Novelle von Hludotph von ZS.
(Fortsetzung.)
Herr Alster erschrak sichtlich. „Aber, bester Freund, was reden Sie da von einem großen Mißerfolg und vom Sinken der Aktienkurse! Das wäre ja eine schöne Geschichte! Damit würden doch nicht allein die Wichtels geschädigt!" „Allerdings nicht," entgegnete Schweder kaltblütig, indem er sich höchst behaglich eine neue Cigarre ansteckte.„Es gibt einen allgemeinen und ziemlich derben Choc auf den Geldbeutel oder richtiger, auf den Muth der Aktionäre." „Nur auf den Mnth? Sie meinen, die Krise würde bald vorüber sein?" „Gewiß. Es würde sich nur darum handeln, den Kopf nicht zu verlieren und die Aktien in festen Händen zu behalten, lieber ein kleines, das heißt, wenn der wahrscheinlich auf ein oder zwei Wochen gestörte Bau mit neuer Energie wieder aufgenommen wird, müssen ja die Kurse wieder steigen, und wer dann gescheit genug war, sich der Panique nicht anzuschließen, muß noth- gedrungen wieder obenauf kommen." „Da ließe sich eventuell ja noch ein gutes Geschäft machen, wenn man genau wüßte, daß Ihre Kombination die richtige ist, verehrter Freund Schweder. Man kauft im Augenblick des tiefften Gedrücktseins statt zu verkaufen; dadurch würde mau auch noch einen möglicherweise sehr wirksamen Gegendruck ausüben können auf das Mißtrauen gegen die fallenden Papiere." Schweder neigte zustimmend das Haupt. „Sicherlich, das könnte man und das müßte man— wollte man sich der Situation gewachsen zeigen." „Aber ich sehe den inneren Zusammenhang immer noch nicht deutlich!" „Sie haben von der Erbitterung gehört, welche unter der Gebirgsbevölkerung herrscht wider die fremden Arbeiter?" „Wie sollte ich nicht? Ich habe sogar gewissermaßen direkte Nachricht. Es soll sehr schlimm stehen, schreibt der Fritz Lauter!" „Ah, Sie lassen Sich auch von Lauter Korrespondenzen senden?" Es war, als wenn Herr Alster ein wenig verlegen würde. Wenigstens wußte er augenscheinlich nicht gleich, was er ant- Worten sollte. „Das nicht— das nicht. An mich hat er auch eigentlich nicht geschrieben--" Ueber Schweders kluges Gesicht zuckte ein heller Blitz des Verständnisses und des Unmuths. „Ah, verzeihen Sie, verehrter Freund, wenn meine Frage eine— freilich ganz unabsichtliche— Indiskretion enthielt. Fritz
Lauter ist ein braver, hoffnungsvoller Mensch, dem ich von Herzen wünsche, daß er sich immer Ihres und Ihrer Familie Wohlwollen erfreuen möge." Schweder hatte das anscheinend sehr harmlos gesagt. Nur vor dem Worte Wohlwollen hatte er eine kleine Kunstpause ge- macht und es dann mit einigem Nachdruck ausgesprochen. Dabei wandte er von Herrn Alsters Antlitz kein Auge, aber er lächelte ebenso verbindlich, als anscheinend unbefangen. Seinem verehrten Freunde mußte er jedoch mit seinen Worten keine Freude gemacht haben; im Gegentheil— dieser war, wie es sonderbarerweise schien, vor Aerger dunkelroth geworden und auf seiner kahlen Stirn zeigten sich tiefe Faltxn. „Ganz recht," sagte er endlich.„Lauter mag ein braver und auch hoffnungsvoller Bursche sein; ich habe aber mit ihm nichts weiter zu thun gehabt, als daß ich ihn gekannt habe, wie er noch ein Kind war, und heute bestehen zwischen mir sowie meiner Familie," er betonte die Familie geflissentlichst und fügte hinzu: „soweit ich von Familie überhaupt sprechen kann,— und ihm nur höchst oberflächliche Beziehungen,— wie sollte es auch anders sein? Der junge Mann scheint aber von der Aufregung, die bei dem niederen Volke in den Bergen herrscht, angesteckt worden zu sein, denn er hat es für passend gehalten, an meine Tochter zu schreiben— wenn auch nur in der ausgesprochenen Absicht, meine Tochter möge mich dazu bewegen, etwas für die Leute im Gebirge zu thun. Ich verzeihe ihm diese Taktlosigkeit, da ich weiß, daß er sich nur deshalb an meine Tochter gewendet hat, weil er es nicht wagte, ohne jede Vermittlung an mich heran- zutreten und weil er meine Tochter schon von Kindheit auf kennt." Herr Alster schenkte sein Glas von neuem voll und übersah bei dieser angenehmen Arbeit das leichte, spöttische Lächeln, welches für einen Moment die Mundwinkel Schweders umspielte. „Das dachte ich mir auch," bestätigte dieser dann ganz ernst- hast.„Denn daß es mit dem thörichten Gerüchte nichts auf sich hat, welches unter den Setzern unserer Druckerei kursirt, war mir völlig selbstverständlich." „Ein Gerücht?" „O, es ist nicht der Rede Werth." „Ich interessire mich immerhin für Fritz Lauter genug, uin auch von einem unter seinen Kollegen über ihn kursirenden Gerücht— im Grunde ist er doch auch heute noch nichts weiter, als ein Schriftsetzer!— gelegentlich Notiz zu nehmen--" „Nun, also— man hält den kleinen Lauter für einen fürchter- lichen Glückspilz, der es gewissermaßen im Schlafe zum beliebtesten