Eine Heirat mit Hindernissen. Beitrag zur Kulturgeschichte der jüngsten Vergangenheit. ( Schluß.)

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Soweit waren wir nun. Aber da erhob sich nun eine ganz andere Frage, deren Lösung allem Anschein nach eben so viele Schwie rigkeiten bereiten konnte. Diese Frage lautete: wo nun getraut werden? Ich wiederhole hier, daß wir beide Dissidenten waren, also nur von einem Richter oder Standesbeamten getraut werden konnten. Das Nächstliegende wäre mir nun gewesen, eben nach meinem Geburts­ort zu reisen und mich dort von jenem Bürgermeister trauen zu lassen. Daß ich dazu keine Lust empfand, ist wohl sehr begreiflich; überdies wäre eine solche Reise mit bedeutenden Kosten verknüpft gewesen. Was nun thun? Im Herzogthum Braunschweig, in welchem ich damals meinen Wohnsiz hatte, gab es noch kein Civilstandsamt, noch nicht einmal Dissidenten und eine fakultative Civilehe. Da war also nicht daran zu denken. Ich dachte nun an Preußen und wandte mich an die zuständige Behörde meiner Braut. Da wurde mir nun kurz und einfach der Bescheid, das könne nur geschehen, wenn ich erst preußischer Staats­angehöriger werde, ich sollte mich also vorher ,, naturalisiren" lassen. Das wäre erstens wieder ein großer Umweg gewesen, dann aber hatte ich einfach keine Lust. Sollte ich meinen badischen Bürgerantritt so sauer erworben haben, um ihn gleich darauf wieder in den Wind zu schlagen? Ueberdies, wenn es darauf ankam, zu wählen, so war mir offen gestanden die Angehörigkeit zum badischen Staat wohl lieber, als die zum preußischen. Mit Preußen war es also auch nichts. Ich wandte mich auf Anrathen einiger Bekannten nach Hannover . Zwar gehörte dieses ehemalige Königreich bereits zu Preußen, aber es war für die Gebietstheile des ehemaligen Königreichs Hannover im Sep­tember 1867 eine besondere Verordnung über bürgerliche Trauung und verwandte Punkte erschienen, welche im Vergleich zu den gesetzlichen Bestimmungen der alten Provinzen Preußens etwas weitherziger ab­gefaßt erschienen. Als ich daher in der Stadt Hannover selbst mit dem betreffenden Richter Rücksprache nahm, da antwortete er mir: Ich kann und will Sie trauen, da Ihre Braut Preußin ist, wenn Sie mir von der Gemeindebehörde irgend eines Ortes innerhalb des Nord­ deutschen Bundes " die Bescheinigung bringen, daß Sie daselbst wohn­berechtigt sind, heimatberechtigt ist nicht nöthig, nur wohnberechtigt." Meine Braut gehörte dem ,, Norddeutschen Bunde" an, ich nicht; ich war ja von jenseits der Mainlinie. Das Natürlichste war, daß ich ein Gesuch an den hochlöblichen Magistrat der Haupt- und Residenzstadt Braunschweig einreichte, mir doch die Bescheinigung der Wohnungs­berechtigung zu ertheilen. Die Antwort war eine ablehnende, weil wie es hieß ich noch nicht volle zwei Jahre in der Stadt an­sässig sei, aber erst nach zweijährigem Wohnsize diese Berechtigung ein träte. Sonst wußte ich aber feinen Ort innerhalb des ,, Norddeutschen Bundes ", von dessen Behörde ich eine solche Bescheinigung zu erhoffen gehabt hätte. Jener Amtsrichter sagte mir zwar ,,, und wenn Sie mir vom Schulzen des kleinsten Dorfes, das zu diesem Staatsverband ge­hört, eine solche Bescheinigung bringen, so genügt es und ich werde Sie trauen; aber ich wußte auch kein solches Dorf und keinen solchen Schulzen. Es war also auch mit Hannover nichts.- Meine Bürger­Antritts- Urkunde hatte ich und damit nach dem Geseze meiner Heimat das Recht zu heiraten, aber wir waren Dissidenten und wollten mit der kirchlichen Trauung nichts zu thun haben und eine bürgerliche wollte sich in keinem Lande für uns finden. Deutsche waren wir auch, aber, wie gesagt, von diesseits und jenseits der Mainlinie. Da wurde mir Gotha genannt als ein Staat mit freisinniger Gesetzgebung. Ich kannte dort einen höheren Verwaltungsbeamten dem Namen nach. Ich schrieb an ihn und erzählte ihm den ganzen Hergang. Nach Verlauf von etwa acht Tagen erhielt ich von ihm die Antwort, daß es dort möglich sei, er habe bereits mit dem betreffenden Beamten gesprochen, ich solle nur die Papiere einschicken. Das geschah natürlich sofort. Jeden Tag hoffte ich nun auf die Nachricht, daß ich mit der Braut an einem bestimmten Tage eintreffen solle. Allein statt dieser Nachricht fam nach nicht gar langer Zeit eine ganz andere: es hätte sich herausgestellt, daß durch einen Erlaß des herzoglichen Staatsministeriums nur Gothaer auf diese Weise dort getraut werden dürften. Ich müßte also, um in einem Orte des Herzogthums Gotha eine Civilehe zu schließen, erst Staats­angehöriger werden. Das war also genau dasselbe wie mit Preußen. Ich war mit meiner Bürger- Antritts- Urkunde genau so weit wie im Anfange. Nun war, wie man zu sagen pflegt, guter Rath theuer. Nach Baden zu gelangen, war mir schon darum nicht möglich, weil mir zu einer solchen Reise für zwei Personen die Mittel fehlten. Ueberdies konnten mir wegen des Aufgebots neue Schwierigkeiten bereitet werden und wenn es nur ein theurer Aufenthalt war. In Braunschweig , wo ich wohnte, gab es keine bürgerliche Ehe, in Preußen, wo meine Braut wohnte, fehlte mir die Staatsangehörigkeit, in Gotha war es dasselbe; in der Provinz Hannover aber ging es nicht, weil ich als Süddeutscher innerhalb des Norddeutschen Bundes " kein Wohnrecht hatte. Was nun? Ich sann also weiter, bis mir endlich einfiel, daß ich vor einiger Zeit bei einer Festlichkeit in einer fremden Stadt einen Herrn flüchtig kennen gelernt hatte, der mir als Civilstandsbeamter eines andern kleinen Staates Deutschlands vorgestellt worden war. Sogleich schrieb ich an diesen, den ganzen Sachverhalt darlegend und fragte, ob es denn nicht in seinem Staate möglich sei. Ich erhielt bald Antwort und zwar,

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daß es wohl möglich sei, es wären zwar einige Bedingungen zu er füllen, welche jedoch voraussichtlich keine besonderen Schwierigkeiten ver­ursachen würden. Da konnte ich doch wahrlich nichts besseres thun, als selbst hinzureisen, um mich genau zu erkundigen. Das geschah denn auch. Die erste Bedingung lautete: Die Braut muß erst sechs Wochen im Orte selbst gewohnt haben. Dies ließ sich machen. Ich fuhr zurück und theilte ihr diese Bedingung mit. Sie sowohl wie ihre Eltern waren damit, einverstanden. Wir bestimmten einen Tag, an welchem ich sie abzuholen und nach der Stadt N. zu bringen versprach, und alles ließ sich so gut an. In N. angekommen, wurde für sie bei einer mir empfohlenen Familie Wohnung gemiethet. Als die erforder­lichen sechs Wochen vorüber waren, reiste ich nach N., meinen Bekannten in Braunschweig erklärend, den und den Tag komme ich wieder und bringe ein Weibchen mit. Ich glaubte mich meinem Ziele nahe. Doch, ich war einmal ein Pechvogel, meine Rechnung war abermals ohne den Wirth gemacht. Und wer war dieses Mal der Wirth? anders als jener preußische Richter in Fr. Der Beamte in N. erklärte mir, daß von Seiten seines Staates fein Hinderniß mehr im Wege stehe, um von ihm getraut werden zu können, daß aber der preußische Richter in der Heimat der Braut das Aufgebot verweigere und zwar einfach aus dem Grunde, weil ich nicht Preuße sei. Ohne dieses Aufgebot aber, fuhr der Beamte fort, dürfe er nicht trauen. Nun schrieb ich sofort an meinen künftigen Schwiegervater, ihn bittend, doch persönlich zu dem betreffenden Richter hinzugehen. Er that es, wurde jedoch einfach abgewiesen. Hierauf begab sich der Bruder meiner Braut hin, der, als der Richter ihn ebenso behandelte, ein derbes Wort sagte und dafür fortgeschickt wurde. In Folge dessen schrieb ich an jenen Richter und erhielt als Antwort eine lange juristische Abhandlung, die ich bis heute noch nicht bis zu Ende zu lesen im Stande war; der langen Rede kurzer Sinn aber hieß: es geht nicht. Darauf reiste ich persönlich hin, um mit dem Herrn über die Angelenheit ein ernſtes Wort zu sprechen. Seine erste Frage an mich war, warum ich denn damals nicht Preuße geworden sei? Dann wäre die Angelegenheit längst in Ordnung. Sodann erklärte er mir, daß er das verlangte Auf­gebot bei Vermeidung einer Disziplinarstrafe von 50 Thalern nicht aus­fertigen dürfe, eben weil ich nicht Preuße sei. Damit war ich auch hier fertig.

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Ich kehrte trostlos nach N. zurück und berichtete dem dortigen obersten Civilstandsbeamten die Erfolglosigkeit meiner Bemühungen. Er erklärte, jezt das Recht zu haben, mich ebenfalls ganz abzuweisen. Auf meine Bitte hin äußerte er: ,, als Mensch würde ich Ihnen sofort helfen, aber ich bin Beamter und muß als solcher mich an meine Bestimmungen halten. Das Peinliche ist nur, daß wir von den preußischen Beamten immer zu verstehen bekommen, wir seien nicht königlich, unser Staat sei im Vergleich zu Preußen so klein und unbedeutend. Ich will sehen, ob sich noch ein Ausweg finden läßt."

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Und er hat ihn auch gefunden, den Ausweg, der treffliche Mann. Der Mensch siegte über den Beamten. Er that nichts Unerlaubtes, aber er that doch etwas, wozu er gar keine Verpflichtung hatte, was ganz außer der Sphäre seiner Wirksamkeit lag. Ich mußte ihm Wort und Handschlag geben, niemanden zu sagen, wie es möglich geworden. Nun währte es nur noch kurze Zeit und wir beide, meine Braut und ich, waren gesetzlich Mann und Frau.

Das war doch gewiß eine Heirath mit Hindernissen. Wir haben uns aber nachher auch das Hochzeitsmahl um so besser schmecken lassen. Dieses Frühjahr sind's nun gerade zehn Jahre.

Das Jagdlager Orvielle bei Valsavaranche.( Bild Seite 460.) Der vor zwei Jahren verstorbene König von Italien, Viktor Emanuel , war ein zweiter Nimrod, von dem die Bibel sagt, er war ein großer Jäger vor dem Herrn. Als Knaben sah man ihn schon in den Bergen auf ungangbaren Pfaden umherirren, auf den höchsten Felsspißen das Wild aufjagend und erlegend. Auch später, als er zur Regierung kam, verlor er seine Leidenschaft für das Hochland nicht; kaum gönnt ihm der eben geschlossene Friede einen Moment Ruhe und wirft ihm eine oder gar einige Provinzen in den Schoß, so ist er auch wieder in den Bergen, um seiner Lieblingsbeschäftigung, der Jagd auf Steinböcke, nachzugehen. Bevor der Telegraph von Turin über Frea nach Aosta gelegt war, der eigentlich nur zum Verkehr des Königs mit seinem Kabinet diente, hatten die Minister ihre liebe Noth, den König auf­zufinden, wenn seine Unterschrift nothwendig war. Tagelang sah man ihn zu Pferd auf den unwegsamen Höhen, die selbst Fußgänger ungern beschreiten, oft in den Sennhütten übernachtend, nur auf die Kost der Bergbewohner angewiesen. Nicht selten trafen ihn Reisende 2400 Meter hoch in dem Felsenland von Dondenna auf einem Steinblock sizen uud, seine kurze Pfeife rauchend, in stiller Betrachtung des großartigen, sich vor ihm entfaltenden Naturgemäldes versunken. Wie einst Kaiser Nero während des Brandes von Rom Stellen aus Homers Ilias rezitirte, so pflegte der gewaltige Jäger aus dem Sabaudischen Stamme, Re galantuomo( König Ehrenmann), der nicht nur die Söhne, sondern noch mehr die Töchter des geeinigten Italiens liebte, nach den Mühen und Lasten des Waidwerks Verse aus Schillers Wilhelm Tell" zu deklamiren. Die zunehmende Korpulenz und Bequemlichkeit trugen dazu bei, das Jagdgefolge des Königs zahlreicher und umständlicher zu machen. Man ging nun daran, Gebirgswege anzulegen und bestehende aus­