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zubessern und zu erweitern, um der königlichen Karawane die Betretung der höchsten Jagdreviere zu ermöglichen. Ein Panorama, das nicht leicht seinesgleichen findet, spannt sich in dem Dreieck zwischen dem Mont Cenis, Mont Blanc   und Monte Rosa   aus, es ist das großar­tigste Moränenbild der südlichen Abdachung der Alpen  , ein Bild der Verwüstung, eine Gletscherlandschaft der Grajischen Alpen  . Das un­fruchtbare Gestein, welches einst während der großen Eiszeit von den fernen Alpenriesen des Mont Blanc   und Monte Rosa   verheerend über Berg und Thal geschleudert wurde, dient jetzt zum friedlichen Boden, auf welchem sich im Thale   wogende Saatfelder und herrliche Obst- und Weingärten erheben. Mitten durch dieses großartige Bild rollen maje­stätisch die kalten Wellen der Dora, die wie ein Silberfaden weithin die piemontesische Ebene durchzieht, von welcher sich am fernsten Horizonte die niedere Apenninen- Kette abhebt. Um zu dem königlichen Jagdlager Orvielle bei Balsaveranche, dem Vorwurfe unseres Bildes zu gelangen, dringen wir in das Aostathal. Der Weg, der stets die Dora Baltea verfolgt, ist eine antike Römerschöpfung, die via consularis( Konsular­Straße), welcher unter Ueberwindung der gewaltigsten Hindernisse über Berge, Schluchten und an steilen Felsenwänden entlang bis zum fernen Aosta   und Courmayeur  , am Fuße des Mont Blanc   durchgeführt wurde, um den großen St. Bernhard nach der Schweiz   und dem Rhein  zu überschreiten, während er über den kleinen St. Bernhard nach Gallien  ( Frankreich  ) führte. Großartige Bauwerke aller Art, Brücken, Wasser­leitungen und Kastelle, theils erhalten, theils in Ruinen, zeugen von dem Unternehmungsgeist und der Leistungsfähigkeit der römischen Bau­meister. Auf den Trümmern der glanz vollen Römerzeit wuchern wie Parasiten die windschiefen Reste der Raubschlösser des finsteren Mittel­alters. Alterthum und Mittelalter wetteiferten mit der Neuzeit, sich blutig in die Geschichte des Aosta   Thales einzuzeichnen. Die Geschichte der stolzen und wilden Salassen, der Ureinwohner dieses Landes, taucht mit dem Durchzug des karthaginiensischen Feldherrn Hannibal   aus dem Sagendunkel auf. Zur selben Zeit als Varus, ein Feldherr des römi­schen Kaisers Augustus   mit seinem Heere durch Hermann im Teuto­burger- Walde vernichtet wurde, drang hier ein Steuereintreiber desselben Augustus, Namens Terentius Varo Murena vor. Als die armen Berg­bewohner den Tribut nicht erschwingen konnten, wurden in einer Nacht 36,000 Männer und Weiber gebunden nach Ivrea   gebracht, um in alle Welt als Sklaven verkauft zu werden. Die Horden der Völkerwan­derung, die von Gallien   und Germanien   über den großen und kleinen Bernhard in die Poebene herniederstiegen, haben den Menschenschacher den Römern blutig heimgezahlt. Nach dem Verfall des Römerreiches spielten die Burgunder die Herren im Lande, zu dessen völligem Ruin die Feudalbarone mit ihren endlosen Fehden beigetragen haben. Der letzte Feldherr, der vom großen St. Bernhard in das Aostathal her­niederstieg, war Napoleon Bonaparte  . Von dem alten Salaffentroß ist bei den mageren und unansehnlichen Aostanern wenig zu verspüren. Die schwere Arbeit in den Bergen und Minen, die besonders auch den Frauen aufgebürdet wird, verbunden mit kümmerlicher Lebensweise, hat der schönen Gegend ein häßliches Mal aufgebrannt. Allerorts in den Straßen und auf den Wegen lagern zahlreiche Kretins( geistig und förperlich mißrathene Blödsinnige), und nach hunderten zählt man Frauen und Männer, die ein ungeheuerlicher Kropf entſtellt. Wir wissen nach den neuesten Wahrnehmungen der Physiologen, daß der Kropf durch frühzeitiges Einschreiten zu unterdrücken ist, folglich ist sein auf fallend zahlreiches Auftreten eine Vernachlässigung der Bevölkerung. Einen Volksstamm soviel wie möglich edel und rein zu erhalten und aufzuziehen, ist auch eine Seite der Regierungswirthschaft, die im Alter terthum mehr beachtet wurde, als heutzutage, während sie gerade unserer verkümmerten Generation so noth thäte. In der letzten Zeit ist es etwas besser geworden, weil die Noth, die Mutter der Schwäche und der Krankheit gelindert worden ist. Die Hilfe kam von einer Seite, von welcher man sie sonst nicht zu erwarten pflegt, von der Jagdlieb­haberei des Königs. Auf der gewaltigen Kette des Gran Paradis, dem Hintergrunde unseres Bildes, auf den Abhängen der Grivola, der Ter­siva, im jenseitigen Thale   von Savaranche, im Vordergrund des Bildes, nahm das Steinwild seinen letzten Zufluchtsort, nachdem das mörde rische Blei der schweizer   und savoyardischen Jäger von den Kämmen des Mont Blanc   und der walliser Alpen   erbarmungslos das edle Königsgeschlecht der ewigen Schnee- und Eisregionen vertilgt hatte. Den Steinbock in seinem legten Zufluchtsort aufzuspüren, brachte den König Viktor Emanuel und mit dem König Geld und Verkehr in diesen abgelegenen Erdenwinkel. Sehen wir uns auf der Höhe von Drvielle, dem Lieblingsaufenthalte Viktor Emanuels, etwas näher um. Lenken wir auf unserer Wandernng durch das Aostathal von Leviona an einem tobenden Bergbache entlang, ab, so gewährt uns eine scharfe Wegbiegung plößlich einen herrlichen Blick gen Valsavaranche. Zischend und rauschend stürzt der angeschwollene Bach, den wir linker Hand auf unserem Bilde so friedlich dahingleiten sehen, in schäumender Kaskade fentrecht in's tiefe, tiefe Thal und verliert sich unter Tannenbäumen in einem Silberstreifen, den wir wiederum mit der großen Savara ver= einigt finden. Diesseits und jenseits des Thales an steilen Abhängen hinauf und herab alles mit dichtem Nadelwald bedeckt, tief unten lang hingestreckt, von niederen Nebelwölkchen leicht durchzogen, die grünen Wiesen von Valsavaranche. An den westlichen Abhängen von Valsa­varanche windet sich eine Straße hinauf, die uns nach einstündigem Marsche zur Höhe von Orvielle bringt. Die am Fuße hoher Fels­wände aufgeführten, langgestreckten Jagdhütten sind mit einer unab­

sehbaren Reihe von Jagdtrophäen geschmückt. Die Hörner eines jeden im Revier erlegten Steinbockes wurden hier über den Thüren und Fenstern befestigt und eine beträchtliche Anzahl ist es, die den einzigen, aber würdigen Zierrat des einfachen Gebäudes bildet. Das Panorama im Hintergrunde sind die exakt wiedergegebenen Bergkonturen des Gran Paradis. Die mittlere Partie zeigt eine große Geröllhalde, welche vom Wege durchschnitten wird. Dieser Zickzackstreifen ist eine jener Routes­royales( fönigliche Strecken), die quer über die Felsen bis zum äußersten Ende derselben laufen, um mit einem Standwerk abzuschließen, von welchem Viktor Emanuel   die ihm zugetriebenen Steinböcke schoß. Die mit großen Kosten angelegten Jagdwege sind heute schon wieder in Verfall, weil den dabei interessirten Gemeinden die Mittel zur Aus­befferung derselben fehlen und der Nachfolger Viktor Emanuels, sein Sohn Humbert, keinen Sinn für die theuren Vergnügungen hat. Die Jagdhütten, ihrer Thüren und Fenster beraubt, lassen Wind und Wetter freies Spiel und werden bald bloße Steinhaufen sein. Die einsam dastehenden Telegraphenpfosten ohne Draht sind Zeugen der Vergäng­lichkeit alles Jrdischen, auch königlicher Passionen. Dr. M. T.

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Muharram, das Neujahrsfest der Muhamedaner, wie man es in Bombay  ( spr. Bombeh), der wichtigsten Handelsstadt der eng­lischen Besizungen in Indien   auf Grund der Parlamentsakte vom 27. April 1876 zum Kaiserreich   erhoben feiert, wird heute in wohl­gelungenem Bilde( S. 461) den Lesern der Neuen Welt" zur Anschau­ung gebracht. Bombay  , eine portugiesische Gründung, schon frühe das Eingangsthor zum Osten Asiens   genannt, ist jetzt seit der am 17. November 1869 erfolgten Eröffnung des Suezkanals, der den direkten Schiffverkehr zwischen dem Mittelländischen und Rothen Meer vermittelt und beiläufig den Weg von Triest   nach Bombay   um nicht weniger als 37 Tage abkürzt, in der That für die Europäer das Ein­gangsthor zu dem zwischen den heiligen Strömen Indus und Ganges  gelegenen alten Kulturlande Indien   geworden. Die mit der dazu­gehörigen Präsidentschaft des britisch- ostindischen Reiches gleichnamige Stadt, auf einem Eiland erbaut, zählt der Pracht ihrer Umgebung wegen zu den schönstgelegenen Städten der Erde. Die Vortrefflichkeit des großen Hafens nicht weniger als ca. 32 000 Personen beträgt die tägliche Schiffsbevölkerung im Hafen erkannten zuerst die Dänen. 1661 nahm ein englischer Admiral Besitz von der Insel das für Europäer außerordentlich ungesunde Klima raffte aber bald die ganze Besatzung hinweg, sodaß die Krone England schon wenige Jahre dar­auf das Eiland an die ostindische Handelskompagnie abtrat. Was die Bevölkerung anlangt, so befinden sich unter den 800 000 Einwohnern Bombays neben 4% Christen( Europäern) und 6% Parsis d. i. eine kleine Kolonie von Persern, die sich nach und nach zu Königen des Han­dels emporgeschwungen haben etwa 150000 Muhamedaner; die Mehr­heit der Bevölkerung besteht aus Hindus. Die Religion der letzteren ist bekanntlich seit mehr als 2000 Jahren der Buddhismus  - so ge­nannt von Buddha(= der Erleuchtete), dem Stifter desselben. Wie nicht anders zu erwarten, vertragen sich die verschiedenen Konfessionen nicht gut die Bekenner der einen wollen vor den Anhängern der andern immer etwas voraus haben, und daß die Verehrer Muhameds, die Anhänger der jüngsten derjenigen religiösen Kulten, die man Welt­religionen nennt, am wenigsten Muster der Duldsamkeit genannt zu werden verdienen, ist bekannt. Die muhamedanische Religion mit dem Schwerte   zu verbreiten, ein Gebot des Korans, war Jahrhunderte lang in Uebung. So kommt es denn bei den verschiedenartigen Reli­gionsübungen häufig zu Reibereien und namentlich das Muharramfest, ein mit unserm Karneval zu vergleichendes Freudenfest für die Muha­medaner aller Sekten deren es nicht weniger als 72 gibt- gehört zu den Feierlichkeiten, welche die ganze Polizeimacht Bombays auf die Beine bringen, zumal dann, wenn das Fest mit Feiertagen der anderen Religionen zusammenfällt. Die Muhamedaner rechnen noch nach dem alten Mondjahr( 355 Tage, 8 Stunden 48 Minuten), weshalb Mu­harram oder Moharrem, der erste Monat des Jahres, unserm Sonnen­jahr gegenüber jährlich um 11 Tage früher beginnt. Das Neujahrs­fest der Bekenner Islams( Islam Hingabe   an Gott  ) macht daher innerhalb 33 Jahren die Runde: in unserm Jahre 1880 nach Christi Geburt   nimmt die zehn Tage lang dauernde Feier am 4. Dezember ihren Anfang. Die zwei leßten Tage sind die Haupttage des Festes: Prozessionen ziehen, einen Heidenlärm vollführend, mit Musik durch die Straßen der Stadt und die Ortschaften der Umgebung, und ähnlich dem Kreuz der Christen werden auf Stäben, wie unser Bild zeigt, Tazia sind Nachbildungen der Gräber von Tazia" umhergetragen. Hassan und Hassain, der Söhne von Ali. Dieser, einer der Schwieger­söhne des Propheten Muhamed   besaß und besitzt eine starke Anhänger­zahl, die der Meinung ist, Muhamed   werde dereinst wieder auferstehen. Man nennt sie Schiiten, d. h. eigentlich Ungläubige, Abgefallene, im Gegensatz zu den Sunniten von Sunna  , dem Buche, in welchem

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die Traditionen der muhamedanischen Kirche aufbewahrt werden, her­die Sunniten halten nämlich Ali nicht für den allein rührend; wahren Nachfolger des Propheten. Die mit geöltem Papier   über­Transparents zogenen Holzrahmen sind an den Seiten bunt bemalt, mit Glimmer und farbigem Glas belegt und mit Blumen be­kränzt. Durch brennende Lichter werden die Seitenwände erleuchtet. Vornehme Moslims lassen sich solche Tazia von bedeutender Größe

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