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Familienbande, Verzicht auf die Ehe, auf alle Annehmlichkeiten und Genüsse des Lebens, den Stillstand, die Umkehr der mensch­lichen Natur, den Rückschritt, das Versiegen aller Kultur, die Selbstvernichtung!

Thatsächlich sehen wir denn auch die Essäer ehelos leben. Die Ehe ist allerdings nicht absolut verboten. Schon damals ließ sich das Cölibat, das auf die Essäer zurückzuführen ist, in der Praxis nicht aufrecht erhalten. Aber die Ehe wurde, so gut es eben ging, ihres sinnlichen Charakters entkleidet. Man ge­stattete sie ja nur, um die Welt nicht aussterben zu lassen. Vom essäischen Standpunkte aus ist sie eigentlich auch eine Inkonse­quenz, denn wenn man als die Hauptaufgabe des Menschen die Ertödtung des Fleisches hinstellt, darf man die Erzeugung neuer Geisteskerker nicht zugeben und umsoweniger, als darin eine große Konzession an die sinnliche Welt liegt. Als Inkonsequenz faßten die Essäer der höheren Stufen denn auch die Ehebewilli­gung auf, sie wurde in der Praxis daher auch nur höchst selten gewährt.

chischen Gesellschaftswissenschaft Bekanntschaft gemacht, die in Plato ihren idealsten Vertreter gefunden hatte. Er wurde ihnen in äußeren Formen das Vorbild ihrer gesellschaftlichen Organisation. Doch nur in gewissen äußeren Formen, während das Wesen ihrer Organisation der Gegensatz und fast eine Karrikatur der plato­nischen war. Von Plato war zum ersten male die Bedeutung des Individuums nicht nach Geburt und Reichthum, sondern nach seinen Fähigkeiten, nach seinem Nußen für die Gesellschaft, nach seinem tugendhaften Wandel bestimmt worden. Alle Gesellschafts­schranken waren bei ihm gefallen, es gab weder Herren noch Knechte noch Sklaven, noch bei der gesellschaftlichen Werthmessung und gesellschaftlichen Verwendung des Individuums einen Unter­schied nach Geschlechtern, sonden nur Menschen, die von Natur aus völlig gleichberechtigt waren und nur durch Kraft und Be­fähigung von einander sich unterschieden. Soweit sie der Gesell­schaft sich nüßlich erwiesen und zum gemeinsamen Glücke derselben beitrugen, hatten alle auf gleichen Lebengenuß Anspruch. Als Quelle der Gesellschaftskrankheit hatte Plato die Entartung des in der Natur allgemein herrschenden Selbsterhaltungstriebes zur In diesem Punkte begegnen wir deshalb wieder einem ausschließenden Selbstgenußsucht erkannt und die konsequente bemerkenswerthen Unterschiede zwischen dem griechischen Philo­Durchführung der menschlichen Gleichberechtigung, die Rückkehr sophen und den Essäern. Bei ihm wird im Interesse der Er­zur Natur als Grundbedingungen einer gesunden Gesellschaft bezeugung eines kräftigen Geschlechts dem geschlechtlichen Verkehre zeichnet. In der redlichen Pflichterfüllung, in dem Bewußtsein, die höchste Aufmerksamkeit geschenkt. Hier ist dieses Moment die am Glück und Wohlergehen aller Gesellschaftsgenossen nach besten gleichgültigste Nebensache. Kräften beigetragen zu haben, sollte ein jeder seine Befriedigung, sein eigenes Lebensglück finden.

Seine Gesellschaft hatte auch nach dem Göttlichen zu streben, das Göttliche aber, dem jeder Bürger nahe kommen sollte, das war das Prinzip der Sittlichkeit, das in seiner Gesellschaft und in ihrer Moral seine Verkörperung fand. Was es Schönes und Herrliches in der Welt gab, das sollte zur Volkserziehung herbei­geholt werden und in der Gesellschaft seine Stätte und Pflege finden. Auf Erden leben, edel, glücklich leben sollten seine Bürger; heiter und lebensvoll ist denn auch der Geist, der die platonische Staatsschöpfung durchweht.

Wie anders alles bei den Essäern. Sie haßten das heitere, den höchsten Kulturzielen zustrebende Leben, zu dessen Förderung der griechische Philosoph seine ideale Staatszeichnung entworfen, und sie füllten die Form, die er gab, mit einer düsteren pessi mistischen Philosophie, die von allem Leben sich abwandte und für das Schöne und Herrliche desselben kein Verständniß besaß, auch nicht besigen konnte.

Das jüdische Volt hatte ursprünglich, wie alle Völker des Erdballs, in wirthschaftlicher Gesellschaft gelebt. Es zeigten auch die sogenannten mosaischen Schriften mancherlei Verordnungen, welche den ursprünglichen Gesellschaftszustand festhalten sollten. Da hätte es den Essäern nicht an Uebergängen zu lebensvolleren Schöpfungen gefehlt, wenn sie eben ernstlich danach gesucht hätten. Doch das lag ihnen fern, und wenn sie auch gemeinschaftlich den Acker bebauten oder Handwerk trieben, so geschah dies doch nur, um das Leben einigermaßen zu fristen. Aller Grund und Boden gehörte Gott , und seine Benutzung erfolgte am besten in gött­lichem Interesse zur Erhaltung des einfachsten Daseins, das dem fündhaften Fleische keinerlei Reize und Verlockungen bot und nur die Möglichkeit gewährte, sich ausschließlich dem Studium des Göttlichen, des Wesens der Weltgottheit hinzugeben.

Was bedeutet eine solche Auffassung für das praktische Leben? Doch nur Verzicht auf jeden, selbst auf den von der Natur gefor­derten und gebotenen Genuß. Lösung aller Freundschafts- und

Das jüdische Volk glaubte im allgemeinen an das Walten einer Vorsehung. Die Pharisäer machten jedoch aus Nüglichkeits­gründen Konzessionen an die Willensfreiheit, indem sie das Thun oder Unterlassen des Guten größtentheils in den menschlichen Willen legten und der Gottheit in gewissen Fällen nur eine Mit­wirkung zugestanden. Den Alexandrinern ging diese Auffassung nicht weit genug, sie unterschieden scharf das Göttliche vom Ma­teriellen, fanden für alles Böse auf Erden die Erklärung im Fleisch und führten alles Gute im Menschen auf göttliche Er­leuchtung zurüc ganz so wie es im gläubigen Christenthum heute noch geschieht.

Was wir bisher von den Essäern erfahren haben, das läßt sie uns als eine kulturfeindliche Verbindung erscheinen. Wir haben die Ursache in der religiösen Auffassung gefunden, in der ascetischen Richtung der jüdisch- alexandrinischen Religionsphilo­sophie.

Noch deutlicher springt der kulturfeindliche Charakter dieser Religionsphilosophie bei den ägyptischen Therapeuten in die Augen, den eigentlichen Vorgängern des christlichen Mönchthums. Während die Essäer, welche mit ihnen die gleiche Grundanschau­ung theilten, die Berührung mit der Außenwelt nicht vermeiden konnten und, wie wir gesehen haben, aus Nüzlichkeitsgründen zu verschiedenen Konzessionen an dieselbe gezwungen waren, konnten die Therapeuten, Dank den fruchtbaren Gegenden, in denen sie lebten, von keiner Seite beeinflußt, sich ungestört entwickeln. Die Essäer lebten unter einem Himmel, der sie zur Arbeit zwang, die Therapeuteu fanden ohne Mühe das, was sie zum nothwendigsten Lebensunterhalte bedurften, sie konnten sich ohne jede Sorge um die Erhaltung des Lebens ihrem Endziele zuwenden und zeigen uns gewissermaßen eine idealere Entwick­lung des kommunistischen Verbandes der Essäer. Ihr Name bedeutet Seelenheilende", während in dem der Essäer der ein­fache Begriff des Heilens liegt, dem sich einzelne von ihnen als Naturkundige widmeten. ( Schluß folgt.)

Dem Schicksal abgerungen.

Novelle von Rudolph von B...... ( Fortsetzung.)

Frizz Lauter ward von dem mehr als bedenklichen Tone, den der Oheim anschlug bei der Frage, ob er wisse, was ein Hoch­waffer für die Dörfer hier oben zu bedeuten habe, betroffen. Er schaute noch einmal nach dem Flusse und dann da hinauf, wo die höchsten Berge ihre Gipfel in undurchdringliche Wolken­tücher hüllten, und sagte: Hältst du etwa eine gefährliche Ueber­schwemmung für möglich? Mir ist, als ob ich auch schon so etwas hätte munkeln hören von der Furcht der Leute vor dem heurigem Frühlingswasser, aber ich habe nicht weiter darauf

geachtet; ich habe in meinem Leben noch nicht viel von Ueber­schwemmungen gesehen."

Der Kantor hatte sich auch rings umgesehen und war dann wieder vorangeschritten. Nun," sagte er, dann wirst du viel­leicht schon in wenigen Tagen mehr davon wissen, als dir lieb sein wird. Sieh, Friz, es kommt nicht eben oft vor, daß die Bäche und Flüsse hier oben gar weit aus ihren Ufern treten, und deshalb auch hat man leider freilich gar keine ernsten Vorkehrungen gegen Wassersgefahr getroffen. Und wenn es

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