weilen unters Sopha geschoben hatte, verstohlen wieder hervor zuziehen und auf dem Sopha zu vertheilen, um nachher, wenn ber ganz echauffirte und athemlose Wirth zum Sißen einlud, fragend auf die dickleibige Versammlung von Kompendien u. s. w. zu zeigen. Man ließ sich diesen Scherz auch heute nicht ent­gehen, und es währte lange, bis die alte, vollständig nieder gelegene Chaiselongue, deren Ueberzug, längst zur Farblosigkeit verblichen, endlich trotz aller Chikanen so weit frei war, daß Wendt sich mit der vollen Wucht seines eben nicht elfenhaften Körpers auf dieselbe fallen lassen konnte. Das nach den über­einstimmenden Versicherungen glaubwürdiger Zeugen in seinen Holzbestandtheilen von zahllosen Holzwürmern durchwühlte alte Möbel krachte in allen Fugen und ließ einen Zusammenbruch gewärtigen; eine leichte Staubwolfe stieg empor und Wendt be­theuerte in erregtem Tone, daß die einzige in diesem modernen Folterinstrument vorhandene Stahlfeder zerbrochen sei, denn ein spiger harter Gegenstand habe sich ihm in den Rücken gebohrt und ihm sicherlich eine blutige Schramme beigebracht; sollte sich dies als erweislich herausstellen, so werde er gegen Lindner eine Klage wegen absichtlicher oder wenigstens fahrlässiger Körper­verlegung einreichen. In diesem Moment ertönte aber bereits ein jämmerliches Gequiet und Gewinsel und eine unförmliche zottige schwarze Masse rutschte unter dem Tisch hervor und reti­rirte nach Lindners Pult; ein paar grünlich leuchtende Augen erweckten den Gedanken an eine Razze, dem die von dem geheim­nißvollen Geschöpf ausgestoßenen Töne wenigstens nicht wider­sprachen; in Wirklichkeit hatte Arvenberg, im Begriff, auf dem Sopha Plaz zu nehmen, seinen Fuß auf eine Pfote des alten, blinden, mit chronischem Rheumatismus behafteten Pietsch gesetzt, eines Hundes von so unerhörter Häßlichkeit, daß dieselbe ent­schieden komisch wirkte. Dieses uralte Vieh, welches nach Wendts Behauptung niemals auch nur einen Jahresbetrag der Hunde­steuer werth gewesen war, hatte schon in seiner frischesten Jugend­blüthe so wenig durch Schönheit geglänzt, daß es von seinem Herrn und Besizer ohne Maultorb und Steuerzeichen seinem Schicksal überlassen worden war, es hatte aber, von jeder andern Schwelle verstoßen, doch den genialen Einfall, dem gutmüthigen thierfreundlichen Lindner zuzulaufen und sich mit zähester Beharr­lichkeit an seine Fersen heften; es war das für diesen Ausbund von Häßlichkeit und Plumpheit sicherlich die einzige Möglichkeit, im Kampf ums Dasein siegreich zu bestehen. Halb verhungert und von Schmutz starrend hatte Pietsch mit seinem lächerlichen Schwanz­

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fragment Lindner angewedelt und ihn aus melancholischen Trief­augen so bittend angeblickt, daß er es nicht über sich gewann, den Hund fortzujagen; über seine Häßlichkeit konnte selbst er sich nicht verblenden, aber er redete sich wenigstens ein, Pietsch sei der treueste, gutmüthigste, klügste und spaßhafteste Hund, der je der Schlinge des Kavillers entrissen ward, obgleich er diese günstige Meinung nur durch die Thatsache zu begründen ver­mochte, daß Pietsch an schönen Maimorgen schlaftrunkene Mai­käfer mit der Pfote niederschlug oder sie aus Buchsbaumbeetein­fassungen kragte, um sie dann mit sichtlichem Behagen mit Stumpf und Stiel zu verzehren, und daß er sich, wenn man ihn streichelte, sofort auf den Rücken legte und undefinirbare, am ehesten noch einen Grunzen ähnliche Laute ausstieß. Nach und nach gelang es unserm Apotheker und Chemiker, das ,, winselnde Scheusal", wie Wendt es nannte, durch Darreichung von Zucker einiger­maßen zu beruhigen und ihm hinter ein paar Stulpstiefeln ein Asyl zu bereiten, in welches die Absätze unvorsichtiger Freunde nicht zu dringen vermochten. Neben Arvenberg, der sich an dem ganzen Hundeintermezzo nur durch ein gebieterisches: Knurre nicht, Pudel!" betheiligt hatte und von Lindner dahin belehrt worden war, daß Pietsch keineswegs ein Pudel sei, sondern dem edlen Geschlecht der Affenpinscher angehöre, hatte Born Plazz genommen, der ungewöhnlich einsilbig und zerstreut zu sein schien. Nun, fehlte noch Reinisch, aber eben trat er ins Zimmer, von einem gerade erwachenden Kanarienvogel mit einem so stürmischen und triumphirenden Geschmetter begrüßt, daß er sich die Ohren zuhielt, umsomehr, als Pietsch diese musikalische Leistung durch jene hohen, langgezogenen Töne begleitete, welche dem musikali­schen Gefühl der normalen Hundenatur ein so ehrenvolles Zeug­niß ausstellen. Ein von Wendt mit Sicherheit und Vehemenz als Bombe hinter die Stulpstiefelschanze geschleuderter Hausschuh wirkte beschwichtigend, und da es Lindner gelang, auch seinen goldgelben Nachtschläger durch Schmeichelworte zum Schweigen zu bringen, so konnte Reinisch mit einem komisch- grimmigen: Aus der Scylla in die Charybdis aus dem Photographir­salon in die Menagerie!" Plaz nehmen und die Frage auf­werfen, was es zu lesen gebe.

"

,, Allerlei," räumte Lindner ein, aber-"

,, Wie steht es zunächst mit der prager Affaire?" unterbrach Arvenberg, und Wendt fügte eifrig hinzu: Die müssen wir erst zu Ende hören; ist dann noch Zeit, so können wir ja immer noch serbische Volkslieder lesen." ( Fortsetzung folgt.)

Ueber die Lösung eines zweihundertjährigen physikalischen Problems.

Von Rothberg- Lindener.

Um sich den Werth historischer Persönlichkeiten einzuprägen oder die Wichtigkeit des von ihnen Geleisteten recht packend hervorzuheben, hat es die Nachwelt bisher geliebt, bezeichnende Schlagwörter oder anekdotenhafte Erzählungen mit den geistigen Errungenschaften solcher Männer in Verbingung zu bringen. Es sei nur an des gefolterten Galilei angeblichen Ausruf:" Und sie bewegt sich doch!", und an des Kolumbus Experiment mit dem Ei erinnert!

Ebenso wiederholt man noch heut die Erzählung, daß Newton beim Anblick eines vom Baum fallenden Apfels auf den Gedanken gekommen sei, in der Schwere die Ursache der allgemeinen Gravitation zu erkennen. Es ist ihm aber nicht so leicht ge­worden; auch ihm ist seine Gravitationstheorie nicht als reife Frucht in den Schoß gefallen, sondern er hat sie durch mühe­volle, anhaltende Arbeit gestalten müssen. Wie Pemberton be­richtet, stammen die Anfänge seiner" Theorie schon aus dem Jahre 1666. Als er sie aber rechnend auf die gegenseitige Ein­wirkung der zunächſtliegenden Weltkörper, auf Erde und Mond, anwandte, scheiterte er anfänglich daran, daß die damals zu Grunde liegenden falschen Messungen des Erdmeridians ihn ver­anlaßt hatten, den Erdhalbmesser zu klein in die Rechnung ein­zusehen, sodaß er mit den festgestellten Umlaufszeiten nicht in Uebereinstimmung gelangte. Erst im Jahre 1676 nahm er seine Rechnungen wieder auf, da die unterdeß erfolgte genauere Ver­messung eines größeren Meridianabschnitts einen größeren Erd­halbmesser ergab und nun stimmte seine Rechnung für den Mond und in weiterer Ausführung auch für die anderen Planeten.

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Hauptsächlich also hatte es Newton der gleichzeitigen neuen Gradmessung zu verdanken, wenn er nun mit seinem dynamischen Gravitationsgesetz an die Oeffentlichkeit treten und es dahin formu­liren konnte, daß zwischen allen materiellen Körpern eine gegen­seitige Einwirkung bestehe im Verhältniß ihrer Massen, dividirt durch das Quadrat ihrer Abstände. Von da an ließen sich die Bewegungen der Weltkörper der Rechnung unterwerfen, und der Mathematiker kann, ohne seinen Arbeitstisch zu verlassen, den Ort und die Geschwindigkeit der Planeten für jeden Augenblick be­stimmen. Nachdem nun im Jahre 1846 Leverrier, auf diesem Gesez Newtons fußend, durch Rechnung die Nothwendigkeit der Existenz eines unbekannten Planeten an einem bestimmten Ort festgestellt hatte und der.be auch mit dem Fernrohr richtig auf­gefunden wurde, gab der Glanz dieser erneuten Bestätigung der Richtigkeit des newton'schen Gesetzes erneuten Anlaß, das ganze Gravitationsproblem als gelöst anzusehen, und man wird heut unter zehn Argumenten der Vertheidiger der Anziehungskraft gewiß neunmal der Wendung begegnen: Aber Newtons Erklärung der Gravitation ist doch durch Leverriers Entdeckung des Neptun glänzend bestätigt worden!"

Ueberhaupt wird von der überwiegenden Zahl der natur­wissenschaftlichen Laien nicht nur, sondern auch der in irgend einem Zweig der Wissenschaft Forschenden und Lehrenden das Vorhanden­sein eines Problems der Anziehung gradezu in Abrede gestellt. " Sämmtliche Naturforscher nehmen übereinstimmend eine Anziehung der Materie im großen, wie im kleinen an" ist das Stich­wort dieser Kreise. Zum Glück für die Wissenschaft gibt es aber