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" Dazu muß ich selbst nach P. So etwas läßt sich doch tele­graphisch nicht abmachen, junger Freund. Doch, ich denke, Sie werden im Augenblick nichts Besseres zu thun haben, als mit mir bei der Station vorüber nach meiner Anstalt zu fahren. Auf der Fahrt möchte ich sehen, ob Ihr Kopf seine Fähigkeit, brauch bare Vorschläge zu machen, schon erschöpft hat."

Frizz Lauter verbeugte sich zustimmend und verabschiedete sich von dem Freiherrn .

Willisch wunderte sich nicht im mindesten über die Eröffnung, daß Frizz tan für diesen Tag den Wagen des Irrenhaus­direktors benzen werde.

" Schon recht," sagte er." Ich fahre hinterdrein."

Dem guten Kantor blieb aber gradezu der Mund offenstehen und ganz unheimlich wurde ihm bei der Geschichte, denn zunächst tam ihm der Gedanke, die vornehmen Herren hätten seinen Neffen für verrückt gehalten und der Direktor nähme ihn nun gleich in seine Kur.

Die Art aber, wie die beiden miteinander verkehrten, beruhigte ihn einigermaßen. Dafür kam er sich jetzt vollständig bei der von Fritz angeregten Expedition wie das fünfte Rad am Wagen Sein Einfluß reichte dem des Irrenhauschefs allerdings nicht das Wasser, und seinen Rath konnte der Neffe jezt umso eher entbehren, als er ihn in den letzten Stunden überhaupt nicht mehr befolgt hatte.

Der alte, brave Mann deutete daher äußerst bescheiden an, daß er in seiner Familie augenblicklich wohl nöthiger wäre, als im Gefolge der Herren, und der Herr von Steinach entschied kurz und bündig, der Kantor müsse zu seiner Frau, der Herr Willisch werde gewiß die Freundlichkeit haben, ihn unverzüglich nach Oberbartenstein zu bringen.

Freundlich nahm dieses Ansinnen nun zwar der Herr Willisch nicht eben auf, aber er that es ohne Widerrede, als er sah, daß Lauter denselben Wunsch hegte. Kurz grüßte er, gab seinen Pferden die Peitsche und rief:

Oben im Kloster Althaus such' ich Sie, Lauter, hinterlassen Sie mir, wo Sie stecken."

Und dann sauste sein Wagen von dannen, so geschwind, als es der immer noch strömende Siegen und der schon bedenklich schlechte Zustand der Landstraße nur erlaubte.

Auf der Telegraphenstation hatten der Herr von Steinach und Friz Lauter ihre Arbeit bald gethan. Letzterer meldete an Schweder und Alster , daß die einflußreichsten Personen im Gebirgs­distrikte, der Landesälteste und der Direktor vom Kloster Althaus, seine Vorschläge billigten und sich in ähnlichem Sinne soeben tele­graphisch an die Regierung gewandt hätten, dann sann er einen Moment lang nach und fragte:

" Werden Hände genug zum Rettungswerke zur Verfügung sein, wenn das Unglück der Ueberschwemmung groß werden sollte?"

Der Herr von Steinach schüttelte ernsten Antlißes sein Haupt. Nein, sicherlich nicht. Selbst wenn alle Feuerwehren und Turnvereine Hand ans Werk legen und wenn sogar das Militär eing ifen sollte. Hände können wir garnicht genug finden."

un denn, ich denke noch für ein paar hundert sorgen zu können. Erlauben Sie mir nur noch einen Augenblick."

Und in größter Eile warf er noch zwei Depeschen auf die bereitliegenden Formulare und adressirte die eine: An die Sezer von Gandersberg und Komp. in P., und die zweite: Herrn Gandersberg, P.

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Der Divektor von Steinach erwartete ihn im Wagen. " Kommen Sie rasch," rief er Friz Lauter entgegen, als dieser aus dem Stationsgebäude trat." Ich empfing soeben die Nach­richt, daß die Perle bereits einige Brücken weggerissen und die tieferliegenden Dörfer überflutet hat. Wir müssen, was die Pferde laufen können, nach Althaus."

Friz sprang in den Wagen.

" Und uun hören Sie meinen Plan," fuhr der Direktor fort. Ich habe in meiner Anstalt etwa hundert Beamte. Siebzig kann das Irrenhaus bei äußerster Kraftanstrengung der Zurück bleibenden für vierundzwanzig oder im schlimmsten Nothfalle achtundvierzig Stunden entbehren. Jene siebzig theile ich sofort in drei Abtheilungen, bewaffne sie mit Alexten, Stangen, Seilen, gebe jedem ein paar wollene Decken und z vei oder drei Flaschen alten Portweins auf den Weg und sende sie unter zuverlässiger Führung über die Berge hinein nach den meines Wissens be­drohtesten Punkten. Dort mögen sie zusehen, was zu thun ist, mögen mit Booten, wo sie sie finden, oder mit Flössen, die sie

| in aller Eile herstellen können, in die überschwemmten Dörfer dringen und retten, was zu retten ist."

,, Können aber nicht aus den gefahrfreien Ortschaften ringsum sofort noch Mannschaften aufgeboten werden zur Unterstüßung Ihrer Leute?"

" Gewiß können sie das. Von den siebzig Mann will ich zehn in die betreffenden Orte senden. Wollen Sie Sich diesen anschließen, um Ihre Beredsamkeit zur Anwerbung von Frei­willigen aufzubieten?"

" Ich denke, daß es dessen nicht bedarf. Ich schließe mich mit Ihrer Erlaubniß denen an, die ohne Verzug das Rettungswerk aufnehmen."

Der Herr von Steinach nickte.

" Hab' ich erwartet," sagte er. Waren Sie Soldat?" ,, Nein," entgegnete Frizz Lauter kurz. Darf ich mir eine Frage erlauben?"

Nur zu."

" Ist eine Buchdruckerei zu bequemer Verfügung?" " Buchdruckerei? Aha- wollen wohl eine Ueberschwemmungs­zeitung herausgeben?"

" Ich glaube, es wäre gut, wenn der Bevölkerung in einer augenblicklich, selbstverständlich unentgeltlich zu verbreitenden An­sprache glaubwürdig mitgetheilt würde, was Regierung und Eisen­bahngesellschaft zu ihrem Heile beabsichtigen."

" Teufel, Sie gehen ja drauf wie Blücher , junger Mann. Sie wollen wohl Regierung und Bahnverwaltung vor ein fait ac­compli, eine nicht mehr rückgängig zu machende Thatsache stellen, und so quasi zwingen?"

Sollte nicht die Noth auch das Eisen des Widerstandes brechen, auf den jene von Männern, wie der Landesälteste und Sie, Herr Direktor, gebilligten Vorschläge überhaupt noch treffen können. Dürfen wir warten?"

Nun denn, der Oberstlieutenant von Steinach wird sich von einem jungen Civilisten nicht beschämen lassen, wenn es drauf­gehn heißt. Also, ich habe in meiner Anstalt selbst eine kleine Druckerei mit einer Handpresse eingerichtet, auf der mag so eine Ansprache gedruckt werden. Sie können, sobald wir oben an­gekommen sind, das Ding abfassen; ich seh' es mir dann durch und sag' Ihnen, was wir davon ristiren Der Herr von Steinach wurde plötzlich unterbrochen. Der Wagen hielt. " Nun, was ist das?" rief er und ließ das Thürfenster herunter, um nach der Ursache zu sehen.

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"

Das Wasser geht hier gar schon über die Chaussee," ant­wortete der Kutscher. Die Pferde stehen schon drin; soll ich auf dem Wege weiter oder den Umweg über den Berg bei Hohnfels machen?"

" Vorwärts," rief der Herr von Steinach. Nur nicht allzu­rasch, bis wir wissen, wie tief wir hineinkommen."

Der Kutscher rief den Pferden zu und es ging weiter in einen vielleicht hundert Fuß breiten, glücklicherweise aber nur langsam sich fortbewegenden Strom hinein.

" Die Geschichte kann noch nicht gefährlich sein," wandte sich der Direktor an Friz. Höchstens zwei Fuß tief, dent' ich. Und haben wir erst die Brücke hinter uns, so sind wir so hoch, daß uns das Wasser nichts mehr anhaben kann."

Er hatte sich um weniges verrechnet. An der tiefsten Stelle stand das Wasser vielleicht zwei und einen halben Fuß tief.

Von der Stelle, an der sie jetzt angekommen waren, konnten sie ein großes Stück Land überblicken, das der Perlelauf in unregelmäßigem Zickzack durchschnitt.

Haben Sie scharfe Augen?" fragte der Herr von Steinach, nachdem er einen Augenblick scharf nach einer bestimmten Stelle hinausgeblickt hatte.

"

Es geht noch leidlich, obgleich mein ursprünglicher Beruf den Augen ziemlich gram ist."

" Sehen Sie einmal hier hinaus. Da ziemlich weit vorn ist die steinerne Brücke, mit welcher schon vor Jahrhunderten die Mönche von Althaus sich um die Gegend verdient gemacht haben. Können Sie erkennen, was das Schwarze vor der Brücke im Wasser ist, das sich immer hebt und sentt, als ob es sich bäumte?" Das nun so gar schwarz sieht mir das nicht aus, wenigstens seh' ich hellere Streifen darin, das ist etwas, was der Fluß gegen die Brücke geschwemmt hat."

"

" Freilich wohl, aber gewöhnliches Strauchwert ist es nicht. Nun, wir werden es ja sehen. Zufahren jezt, so rasch als möglich," rief er dem Kutscher zu. ( Fortsetzung folgt.)