Stilistischer Unsinn auf dem Gebiete unserer Kuustindustrie. Was ist Stil?— Wenn Buffon sagte, der Stil ist der Mensch, so wollte er damit ausdrücken, daß die Form, in welche der Mensch seine Gedanken kleidet, ganz gleich, ob vermittels des Wortes oder der Schrift, ganz seinem eignen Wesen entspricht. Das Gleiche ist der Fall in den Kunstäußerungen des Menschen. Auch hier spiegeln sich alle Schwächen und Fehler, wie im günstigen Falle die größt- mögliche harmonische Entwicklung des Einzelmenschen sowohl, als die der ganzen Menschheit wieder. Tritt uns demnach in einem kunstgewcrb- lichen Gebilde der Stil— um den Ausdruck beizubehalten— seines Schöpfers entgegen, so ist damit keineswegs anzunehmen die Vollkommen- heit des Stils an dem betreffenden Gegenstande selbst. Weil der Mensch in allem seinen Thun nur sein eignes Wesen offenbaren kann, so wird auch die Mangelhaftigkeit desselben in seinen eignen Werken zutage treten müssen. Der Stil in den Künsten soll aber die Mängel auf- heben, Gegensätze versöhnen und die Harmonie aller an dem betreffenden Produkt sich gcltendmachenden Theile herbeiführen. Harmonie kann aber nur der schaffen, dessen Selbst zur harmonischen Ausbildung ge- langt ist.— Diese oder ähnliche Gedanken mußten sich jedem Denkenden bei der Betrachtung der auf der kürzlich geschlossenen Drechsler- und Bildschnitzer-Ausstellung zu Leipzig ganz stattlich vertreten gewesenen Meerschaumwaaren aufdrängen. Denn auffälliger wie hier kann wohl kaum irgendwo die Frivolität und das Behagen an niederer Sinnlich- keit, unter Beiseitelassen jedes feineren Gefühls, oft sogar des einfachsten Anstandes zutage treten. Dabei zeigen die fraglichen Sachen eine Geschick- lichkeit und Eleganz der technischen Ausführung, die oft bewundernswerth ist, sodaß man beim Anblick derselben sich nicht des Eindrucks erwehren kann, als hätte man allen Scharfsinn und alles Raffinement aufgewandt, um aus dem so weichen und bildsamen Material, wie es der Meer- schäum ist, Figuren und Formen zu bilden, die allem Feingefühl zu- wider sind. So ist es ja allbekannt und oft beklagt worden, daß man die Köpfe der bekannten politischen und sonstigen großen Männer natur- getreu nachbildet, ein Loch hineinbohrt zur Aufnahme der Cigarre, um so den interessanten Schädel„anzurauchen". Ein ästhetisch gebildeter oder ästhetisch fühlender Mensch wird aber nicht allein dies bedauern, sondern ebenso dieselbe Verwendung eines graziös geschnitzten Mädchenkopfes und dergleichen. Wie gesagt, eine ähnliche brutale Behandlung von Thier- und Menschenköpfen findet man fast in jedem Schaufenster der Cigarrenpfeifenfabrikanten,— was die menschliche Phantasie aber an solchen und noch schlimmeren Ungeheuerlichkeiten zu leisten vermag, haben uns die in diesem Genre arbeitenden wiener Künstler gezeigt. So war ein splitternacktes Frauenzimmer, deren einer elegant hin- gestreckter Schuh — aus Bernstein geformt— als Mundstück diente, mit in den Rücken eingeschraubtem Schoner für die Cigarre, ein viel- gesehenes Stück. Bei einer anderen Spitze liegt eine Balleteuse auf dem Bauch, ihr leichtes Gewand richtet sich in die Höhe, dort eine ihrer Schwestern im Evakostüm in derselben Lage, die Unterschenkel in die Höhe gerichtet, während ihr die Hülse für die Cigarre wie ein Schorn- stein aus dem Kops ragt. Vielen sitzenden Figuren geht der Schlauch direkt in den Sitzmuskel und bricht sich entweder durch den Rücken oder den Schädel seine Bahn. Daß der Sitztheil des Körpers oder die ihm horizontal entgegengesetzte Leibesstelle zur Aufnahme der Cigarre dient, ist eine häufige Erscheinung. So ist ersteres der Fall bei einem im Hemd dasitzenden Weibsbild, welches augenscheinlich sehr eifrig auf der Suche nach den nur zu gut bekannten schwarzen Thierchen ist, während- dem ihr eine Katze mit der größten Seelenruhe im Schöße sitzt. Kurz, nicht nur eine wirklich schauerliche Geschmacklosigkeit, sondern die reine Unflätigkeit ist es, die hier dem Beschauer auf Schritt und Tritt auf- stößt— eine Spekulation auf unsere, ihren Kunstsinn in den Cafö chantants bildenden und pflegenden Männerwelt. Neben diesem Jammer- zeuge(hauptsächlich vertreten gewesen durch Ludwig Hartmann Eidam und A. Trebitsch, Wien ) kommen andere stillose Sachen noch in Menge vor. So wächst bald einem Schmetterling, welcher auf einer Blume sitzt, die Hülse für die Cigarre zwischen den hochstehenden Flügeln aus dem Rücken, dabei ist die Hand, welche die Blume hält, sehr fein modellirt; bald sieht man einen Touristen, der sich durch die Bart- koteletten als Engländer legitimirt, auf einem Regenschirm sitzen, an dessen Stockgriff das Mundstück ausgeschraubt ist, während die Cigarre dem Sohne Albions ganz ungenirt m den Rücken gesteckt wird. Daß ganze Treibjagden auf dem Gegenstand, der den so sehr einfachen Zweck hat, die Cigarre zu halten, dargestellt sind, sowie daß darauf ganze Rudel Hirsche, Rehe, Pferde nebst dem edlen Rindvieh kampiren, komint nicht minder häufig vor. Aus anderen wieder erhebt sich ein an die alten Ritterburgen erinnernder Thurm oder der Balkon, aus den ver- mittels einer Strickleiter Romeo zu seiner Julia hinaus- und wieder herabsteigt. Und das alles soll einer im Munde herumtragen, und zwar blos zu dem Zweck, um die Cigarre nicht direkt in den Mund zu nehmen! Es gehört doch wohl nicht allzuviel Verstand dazu, um das Sinn- und deshalb Stillose derartiger Dinge einzusehen. Von welch falscher Ausfassung diese Künstlersorte einmal ausgeht, mag ein einfaches Beispiel zeigen. Ein wiener Aussteller präsentirte eine Tabakspfeife aus Meerschaum, deren Kopf von zwei an den Seiten angebrachten Spiralen eingeklemmt war. Nun denkt doch jeder, welcher eine Spiralfeder sieht, an ihre Feder- oder Spannkraft. Da aber der Meerschaum ein ganz weiches Material ist, so wird doch nach dieser Richtung jede Illusion zerstört und die Feder, welche eben infolge des Materials, aus dem sie hier gebildet wurde, gerade die Eigenschaft, die sie in erster Linie
besitzen sollte, nicht haben kann, sinkt zu einer sehr überflüssigen Spie- lerei herab, und dies umsomehr, da der Kopf sowieso von dem Pfeifen- rohr gehalten wird. Wer wird denn Stahl durch Meerschaum ersetzen oder nachbilden!— Damit wäre der eine für ein stilgerechtes Arbeiten maßgebende Faktor angedeutet: der Stoff; verändere ist, wie bereits an anderer Stelle erwähnt, der Zweck, dem der Gegenstand dient. Beides ist bei Herstellung einer Cigarrenspitze ungemein einfach und wird auch des öfteren berücksichtigt, denn man findet vielfach gute Sachen, wie z. B. eine Eichel oder Nuß von einer Hand oder Vogel- klaue gehalten, zur Ausnahme für die Cigarre bestimmt, andererseits aber auch wieder einfach gerade Spitzen reich ornamentirt, die voll- kommen ihrem Zweck entsprechen. Als besonders hervorstechenden Beweis für die herrschende Stil- losigkeit bei sonst geschmackvoller Ausführung mag die in ungefähr halber natürlicher Größe wiedergegebenc Pfeife von Willfort, Wien , dienen(Illustration S. S32). Keiner wird ihr das Zeugniß einer vor- züglichen Leistung absprechen, aber wozu dieses Ungethüm, dieser Auf- wand, um— eine Cigarre zu rauchen? Um sie zu benutzen, braucht man entweder beide Hände oder einen sie haltenden Diener, oder man muß sie auf ein dazu gefertigtes Gerüst legen. Herrliche Auf- gäbe der Kunst,— anstatt unserm Geist neuen Schwung und uns Menschenkindern die Freiheit zu bringen, legt sie uns Fesseln an!— Nach dem Gesagten wird das Wesen und die Bedeutung des Stils für das kunstgewerbliche Schaffen unschwer zu erklären sein. Daß Metall und Meerschaum zwei grundverschiedne Stoffe sind, weiß wohl jedes Schulkind, daß sie aber demzufolge nicht immer gleichen Zwecken dienen können und stets eine verschiedene Behandlung erfordern, wissen oder beachten oft sonst gescheite Leute nicht, trotzdem es ein Hauptersorderniß für das stilgerechte Schaffen ist. Ein Gleiches gilt von der Gebrauchs- bestimmung des Produkts. Ein Stuhl ist z. B. kein Stuhl mehr, wenn die Sitzfläche nebst der Lehne so dekorirt sind, daß man sich nicht dar- auf setzen kann; dieselben Rücksichten verlangt auch die Tischplatte. Schon die Praxis verbietet hier eine plastische Verzierung, aber ebenso erfordert das Stilgesetz, daß Malereien, welche plastischen Charakter zeigen, hier wegbleiben müssen. Wir haben wohl unsere Freude an den herrlichen Blumen im Garten, in Wald und Feld, aber diese be- künden wir doch wahrlich nicht dadurch, daß wir sie rücksichtslos nieder- treten— wie es z. B. nur allzuoft den farbig nachgebildeten aus unfern Fußteppichcn ergeht— oder schwere, sie vernichtende Gegen- stände darauf stellen, wie auf unsere Tischdecken u. dgl. Die Blume zur Flächendekoration verwandt, soll der Fläche angepaßt, d. h. stili- sirt sein. Ich will hier noch auf ein charakteristisches Moment an un- serem beweglichen Mobiliar hinweisen, die nach unten verjüngten Füße, die unbedingt das Wesen der freien Bewegung andeuten. Durch Thierklauen an den fcinern Möbeln kommt dies allerdings noch spre- chender zum Ausdruck. So wird auch ein Trinkgeschirr sich äußerlich als Gefäß darstellen müssen, während seine Ausschmückung die Lust und Freude am Trinken, ganz gleich in welcher Weise, zur Veranschau- lichung bringen soll. Nun ist, wie schon bemerkt, der Zweck einer Cigarrenpfeife sehr einfach und daher alle Ueberladung und Bepackung des diesem Zwecke dienenden Rohres stillos. Wie beim Trinkgeschirr das Gefäß, so soll hier das Rohr den sichtbarlichen Kern bilden, wel- cher mit einer sich diesem unterordnenden, auf das Rauchen hinweisen- den Dekoration geschmückt werden kann. Alle Verwendung von mensch- lichen und thierischen Figuren ist, weil dem einfachen Gefühl und Ver- stände zuwider, von vornherein zu verwerfen. Wer Freude an der Plastik empfindet, der sollte die Figuren— ob einzeln oder in Gruppen — doch nicht im Munde herumschleppen wollen und sich dadurch die Freiheit der Bewegung beeinträchtigen.— Resümiren wir unser Thema: Was ist stilgerecht? so lautet die bündige Antwort: wenn an einem von Menschenhand erzeugten Gegenstande das Wesen des dazu verwandten Stoffes, sowie der Gebrauchszweck desselben in der äußeren Form in harmonischer Weise zum Ausdruck gebracht ist. Fr. N.
Gräberstadt in Golkonda.(Bild Seite S33.) Unsere Abbildung führt uns in das Land des Wunderbaren, nach Ostindlen. Un- zerstörbar scheinen seine vieltansendjährigen Einrichtungen des Kasten- und Religionswesens zu sein, denn weder die Zeit, noch die Neuerungen des Buddhismus , des Islam und des Christenthums, die zu verschie- denen Zeiten und nicht selten mit Feuer und Schwert verbreitet wurden, konnten dem Brahmanenkultus etwas anhaben. Von Alexander von Makedonien bis auf die Engländer haben zahllose Eroberer die Länder Vorder- und Hinterindiens unterworfen, doch ohne tiefgehende Spuren ihrer Thätigkeit im Lande zu hinterlassen. Eine Ausnahme davon macht der mongolische Eroberer Aurengzib(Zierde des Thrones), den die Weltgeschichte den Großmogul nennt und der nach Ueberwindung seines Vaters und seiner Brüder(1653—1707) über die ganze vordere Halbinsel zwischen der Küste von Koromandel und Malabar und zwi- scheu dem 8. und 35. Grad nördlicher Breite herrschte. Mit schreck- lichem Fanatismus verbreitete er den Islam, Greuelthaten bezeichneten seine Wege; wo er aber unbestrittener Herr des Landes war, wußte er durch eine strenge, wachsame und konsequente Verwaltung die Unter- worfenen zu einem relativ glücklichen Zustand zu bringen. Handel und Verkehr fanden an ihm einen Beschützer. Einfach in seiner Lebens- weise, liebte er doch die Pracht und das Außerordentliche. Er zog