unerhörten Weise, auch ich habe es auf das allersorgfältigste beobachtet und kann mich nicht täuschen. Seht, vorhin, eben als der Inspektor seine Uhr herauszog, spritzten erst nur seltene Tropfen bis an die eiserne Klammer da im Mauerwerk des Pfeilers, jetzt ist schon vor lauter Schaum und Gischt fast gar­nichts mehr zu sehen, und in einer Minute vielleicht nein, nein, eher noch, seht, da seht, jetzt schon ist von der Klammer feine Spur mehr zu sehen!"

Der Sprecher war ein junger, schlanker, aber doch nicht schwächlich gebauter Mann mit schwarzem Haar und Bart, vor dem die anderen Beamten aus dem Irrenhause fast noch mehr Respekt zu haben schienen, als vor dem Inspektor. Er hatte in größter Hast und Aufregung und mit der vollen Kraft der festen Ueberzeugung gesprochen, es zweifelte jetzt niemand mehr, aber es begann sich auf allen Gesichtern Entsetzen und Rathlosig­feit auszuprägen.

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,, Es ist, wie der Herr Doktor sagt und die Gefahr ist unermeßlich," nahm nun Friz Lauter mit fester, klarer Stimme das Wort. Und nun heißt es, rasch, blitzschnell, wenn es geht, zu handeln. Ich denke, wir sehen uns zunächst in Karriere und laufen, was wir können, ins Dorf und allarmiren die Bewohner, die schwerlich von der Riesengröße des kommenden Unheils unter­richtet sein werden, doch," er unterbrach sich ,, wo bekommen wir Boote her? Wir werden sie bald genug nöthig haben!"

Auf dem Mühlteich in Unterwaltersdorf liegt ein Boot- es gehört dem Müller," sagte Harnisch. Ob es jetzt noch zu finden und zu gebrauchen ist, weiß ich nicht."

Wir müssen schon bis auf den waltersdorfer Holzplatz hin­auf," meinte der Inspektor. ,, Wie wir's eben von Anfang an gewollt haben, Boote gibt es keine weiter im Dorfe und Flösse müssen wir uns selber nothdürftig zusammenbauen es geht nicht anders."

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" Ist das nicht hier links das Südende des dem Freiherrn von Felseck gehörigen Parkes?" fragte Lauter.

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Das ist's!"

Und befindet sich nicht grade hier der kleine See, welcher den Park so außergewöhnlich schmücken soll?"

" Was soll das?" fragte der Inspektor. Was geht uns jetzt der See und der Park mit allem seinem Schmucke an, Herr Lauter?"

" Nun, auf dem See sind Gondeln und zwar auch zwei oder drei größere Kähne, wie ich oft genug gehört habe. Die bringen wir bequem die Fahrstraße hinunter bis irgendwohin, von wo wir unsere Rettungsfahrten unternehmen können, die müssen wir also haben."

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Wir haben doch aber keine Erlaubniß vom gnädigen Herrn Baron ," entgegnete Harnisch.

Fritz Lauter schien diesen Einwand nicht beachten zu wollen. Aber auch der Inspektor widersprach:

" Das geht ja nicht, Herr Lauter, der ganze große Park ist rings mit einer Mauer umgeben. Wenn wir auch im Nothfall drüber können, die Boote bringen wir im Leben nicht über die Mauer

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Dort ist ein Thorweg, da hindurch bringen wir sie." Friz Lauter wies mit der Hand auf ein augenscheinlich wohlverschlossenes Holzthor.

" Durch Schlüssellöcher bringen wir die großen Boote grade so gut, wie durch Mauern," sagte der Inspektor mit einem An­fluge von Spott. Und den Schlüssel uns ausbitten beim Förster in Oberwaltersdorf , wo er zu haben wäre, kostete uns wenigstens eine Stunde Zeit, also reden wir nicht weiter von dem Park und von den Booten."

" Doch, reden wir davon," erwiderte Frizz Lauter mit aller Entschiedenheit im Ausdruck, deren er fähig war. Wozu haben wir Aexte. In wenigen Minuten muß das Thor erbrochen sein. Mir nach, ihr Leute, es ist furchtbarste Gefahr im Verzug, es gilt vielleicht Menschenleben, viele Menschenleben zu retten Friz Lauter zog seine Art aus dem Gürtel und stürmte voran ans Thor.

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,, Nein, das geht nicht das ist ja Wahnsinn das wär' ja ein Verbrechen wir dürfen doch nicht wie Räuber oder Revolutionäre mit Gewalt, mit Alexten, große Thore zerschmettern und in einen herrschaftlichen Park einbrechen und ohne Erlaubniß werthvolle Gegenstände wegschleppen!" so riefen die Leute wieder ganz erschrocken durch einander.

Aber Fritz Lauter kümmerte sich nicht im entferntesten um den lebhaften Widerspruch. Er war schon am Parkthor und ließ

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seine Art mit wuchtigen Schlägen und so geschickt, als wär' er seit langem gewöhnt, mit derlei Instrumenten umzugehen, gegen das Thor prallen.

Und trotz des Widerspruchs reizte sein Beispiel und die Energie, mit der er selbst an die Ausführung seines Vorschlags gegangen war, zur Nachahmung. Der Inspektor wollte die zwei oder drei andern Männer, welche gleichfalls die Aerte in die rechte Faust genommen hatten und auf das Thor zusprangen, zurückhalten, aber der junge Arzt legte sich zu Gunsten Friz Lauters ins Mittel. " Ich sehe auch nicht, daß wir etwas Besseres thun können, als dem Herrn Lauter zu folgen. Zu Bedenklichkeiten haben wir ebensowenig Zeit, als zu langen Unterhandlungen, und wo sich's um eine so außerordentliche Nothlage handelt, da haben wir ein Recht, auf die opferwillige Humanität des Freiherrn von Bergen­Felseck zu rechnen. Vorwärts also, ihr Leute!"

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Nun, meinetwegen denn, Herr Doktor. Mithelfen will ich, aber die Verantwortung übernehme ich nicht."

" Die lassen Sie mir," sagte der Arzt, und da er sich auch mit einer Art bewaffnet hatte, wie die andern, holte er sie jetzt gleichfalls hervor, um auf das starke Thor mit einzuhauen.

Aber Friz Lauter hatte inzwischen die schwere Arbeit allein vollbracht. Er hatte an der einen Seite des Thorschlosses das Holz zerhauen, sodaß der Riegel blosgelegt wurde und das Thor nun zu öffnen ging, als wäre es aufgeschlossen worden.

Alle übrigen, von denen ein paar etliche Streiche gegen die Pforte geführt hatten, waren lebhaft erstaunt, daß das Werk so rasch gelungen war, sie jubelten Frizz Lauter zu und stürmten ihm nach in jagender Hast quer durch den prachtvollen Park über Wiesenflächen hinweg und niedere Gebüsche durchbrechend oder überspringend, nach dem, den meisten von ihnen wohlbekannten kleinen See.

Am Ufer desselben fanden sie, an dünnen eisernen Ketten festgelegt, drei Fahrzeuge verschiedener Größe; das eine war ein Kahn von stattlichen Dimensionen, den schleifend zu trans­portiren wenigstens zehn Menschen nöthig waren. Der zweit größte beanspruchte etwa die Kraft von sechs Menschen, und der Dritte, eine weniger umfängliche Gondel, konnte von zwei Menschen mit Hülfe von Seilen fortbewegt werden.

Alles griff an; der Dekonomieinspektor ließ seine muskulösen Arme arbeiten, daß ihm der helle Schweiß über die sonn­gebräunten, bärtigen Wangen lief. Auch der junge Arzt legte Hand ans Werk, als wär' ihm die Handarbeit nicht minder lieb und Gewohnheit, wie sein medizinisches Studium.

Auf den wohlgeebneten, sorgsamst gepflegten Parkwegen ging der Transport ziemlich leicht noch von statten, als sie aber vom Parke auf die Landstraße kamen und wohl fünf Minuten lang bergauf zu gehen hatten, da kostete das gemeinsame Werk riesige Anstrengungen. Aber wenn es nicht anders ging, griff alles für einige Minuten da mit an, wo die Last am größten war, um dann die für den Augenblick zurückgelassenen Boote nach­zuholen.

So war so ziemlich trotz der äußersten Anstrengung aller vorhandenen Kräfte, und obwohl keiner auch nur eine Minute Rast gehalten hatte, eine halbe Stunde vergangen, ehe die Ex­pedition auf einem unweit der waltersdorfer Brücke gelegenen Hügelrücken anlangte, von dem aus sich zum erstenmale der Blick öffnete auf ganz Unterwaltersdorf selbst.

Der erste, welcher oben anlangte, war der Gärtner Harnisch. Er stieß einen Schrei des Entsegens aus und wies auf die kaum noch zehn Minuten entfernten Häuser des Dorses.

Die Häuser standen bereits in einem nach allen Seiten hin ausgedehnten See und das Wasser strömte offenbar schon zu den Parterrefenstern hinein.

" Was ist das für ein großes Gebäude da zuerst?" fragte Frizz Lauter.

" Das war eine Fabrik, die aber seit vorigem Jahre leer steht, weil der Besizer bankrott gemacht hat."

Aber da sind Menschen darin, viele Menschen, sehen Sie da an den Fenstern- Männer, Weiber, Kinder--"

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" Wahrhaftig," rief Harnisch, der Herr hat recht, das sind Leute aus dem Dorfe, die haben sich in die Fabrik geflüchtet da sehen Sie, was da schon für Häuser demolirt sind, es muß schon schrecklich zugegangen sein, wenn nur wenigstens alle Leute aus dem untersten Theile des Dorfes sich in die Fabrik gerettet hätten " Ist die Fabrik denn sicher, kann die das Wasser nicht demoliren?" fragte der Arzt.

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