neue Hoffnung und Zuversicht zog ein in die Busen der vom Schicksal soeben erst ganz zu Boden geschlagenen Menschen. Ueber Fritz Lauters Gesicht flog ein Schimmer der Freude. Sie glauben noch daran," sagte er in einem Tone, als wäre ihm ein Stein vom Herzen genommen.Die Namen der Herren von Bergen und Steinach thun ihre Wirkung. Hoffent- lich geschieht es überall so!" Wo die Noch am größten ist, da klammert sich die Hoff- nung an jeden Strohhalm," meinte der Arzt.Wenn die Lage der Leute da oben nicht eine so total verzweifelte und das Ver- derben in so grausiger Gestalt an sie herangetreten wäre, wer weiß, ob sie so leicht dem Blatte Papier   geglaubt hätten!" Das Boot war in einen reißenden Strom gekommen; es befand sich an einer Stelle, wo die Dorfftraße ziemlich steil bergab ging das Wasser mußte hier außerordentlich tief sein. Trotzdem kamen sie nur langsam vorwärts. Es kostete harte Arbeit, sich hindurchzuarbeiten durch die Trümmermengen, welche hier auf der Oberfläche des Wassers herumtrieben und gleich- zeitig die umstrickenden Aeste der kleineren Chausseebänme zu vermeiden, deren Gipfel nur eben vom Wasser bedeckt wurde, Alle arbeiteten mit dem äußersten Aufgebot ihrer Kräfte. Plötzlich hielt Fritz Lauter inne. Haben Sie nichts gehört?" fragte er den Arzt, der mit ihm auf derselben Bank saß und nicht minder eifrig ruderte und von dem Boote alle schivimmenden oder festgewurzelten Hindernisse abzuhalten suchte, als er. Es war mir so, als hörte ich rufen, doch habe ich keine Ahnung, aus welcher Richtung die Rufe gekommen sein mögen." Einer von den andern Männern setzte jetzt auch auf einen Augenblick seine Thätigkeit aus. Ich will einmal hinhören," sagte derselbe, der älteste unter den auf dem Boote befindlichen Jrrenhauswärtern.Ich sehe zwar nicht gut, höre aber um so besser." Er legte die eine Hand, um den Schall besser aufzufangen, an das Ohr und horchte. Auch die übrigen wurden aufmerksam alle stellten sie einen Moment die Arbeit ein und lauschten ihr nasser Pfad war ohnehin jetzt ein wenig freier und das Wasser hatte die Fortbewegung des Kahns ivieder selbst übernommen. Es schien, als hätte Fritz Lauter sich getäuscht von mensch- lichen Lauten ließ sich nichts vernehmen, die wenigen Häuser, welche das Wasser noch verschont oder überfluthet und dem Auge entzogen hatte, sahen öde und leer aus und machten, wie sie so dastanden Spiel und Opfer des erbarmungslos wüthenden Elements, einen unheimlichen, schaurigen Eindruck. Schon wollten die Männer die Ruder wieder einsetzen, da-- schrillte wirklich ein Ruf, ein erschütternder, herzzerreißender Schrei durch Sturm und Regenschauer hindurch ein Schrei nach Hülfe. Die Männer im Boote sprangen auf von ihren Sitzen, so daß dieses in heftiges Schwanken gerieth; auf allen Gesichtern spiegelte sich Mitleid und Entsetzen. Von dorther von dort," riefen der alte Wärter und Fritz
Lauter zu gleicher Zeit. Der Arzt hielt seinen Krimstecher mit vor Erregung zitternder Hand vors Auge, aber er vermochte nichts zu sehen, das Unwetter war grade in diesem Augenblick gar zu arg. Da tönte noch ein Schrei ebenso schrill und herzzerreißend durch die Lust und diesmal nicht einer allein es war, als wenn die eine Stimme sekundirt würde von einer zweiten und dritten Jetzt griff alles zu den Rudern Dort hinüber, ihr Männer," rief Fritz Lauter,zwischen den zwei hohen Bäumen müssen wir hindurch da hinter dem Laub hervor sehe ich die Ecke eines Giebels, das ist das Haus, von dem die Schreie zu uns herüberschallen drauf und dran" Ein paar Minuten lang sprach keiner mehr ein Wort, alle arbeiteten auf Tod nnd Leben mit stierem Blick und bleichen Gesichtern-- als sie zwischen den beiden großen Bäumen waren, wurden die Ruder unbrauchbar sie verwickelten sich bei jedem Schlage in die Aeste es blieb nichts übrig, als das Boot vorwärts zu ziehen, die Ruder als Haken gebrauchend und mit deren Griffende von Ast zu Ast sich weiterschleppend. Sie hatte kaum fünf Minuten gedauert die mehrere hundert Schritt weite, wider Strömung und Wind ankämpfende Fahrt von der Dorfstraße rechts hinüber, und doch erschien es allen, als wären sie verzweifelt langsam nur vom Platze gekommen, als hätte es eine Ewigkeit gedauert, endlich, endlich wehrte der mächtige Baumschlag nicht mehr den mit ängstlicher Spannung aus- spähenden Blicken-- Um Gotteswillen, rasch, ihr Leute!" schrie der Arzt. Er hatte recht, es stand für eine ganze Familie verzweifelter, halbtodt geängstigter Menschen das Höchste auf dem Spiele. Hülfe kommt!" schrie Fritz Lauter mit auf das gewaltsamste angestrengter, weithinschallender Stimme.  Haltet fest alle jedes wird gerettet." Wieder tönten helle Schreie von dem Dache des kleinen Hauses her, das auf einer ganz niederen Anhöhe gelegen war, unweit von dem Ufer des grade hier sich dem Dorfe am meisten nähernden, in weiten Schlangenwindungen an demselben vorüberziehenden Perleflusses. Diesmal jedoch klangen sie wie Jubelschreie diese gellenden Töne aus gequälter Menschenbrust sie kam, ja, sie kam wirklich die, eine furchtbar lange, mit Todes- schauern erfüllte Stunde hindurch, mit allen Fibern des trotz Roth und Elend wie mit eisernen Ketten am Leben hängenden Herzens herbeigesehnte, herbeigeschrieene Rettung, die so entsetzlich lange ohne eine Spur von Autwort auf die lautesten Jammerrufe aus- geblieben war, die Rettung Es war eine Familie von fünf Menschen, die auf dem schrägen, morschen, regendnrchweichten Schindeldache hing und jeden Augen- blick von den das Balkenwerk der altersschwachen Hütte schütteln- den und rüttelnden Fluthen fortgespült zu werden gefaßt sein mußte ein älterer Mann und eine ältere Frau beide mit grauen Haaren und nothgefurchten Gesichtszügen, ein junges, wohl achtzehnjähriges Mädchen und zwei Kinder das jüngste nicht mehr als vier Jahre alt.(Fortsetzung folgt.)
Daö Rathhaus der prager Judenstadt.(Bild S. 544.) Die meisten Geschichtsschreiber haben ein schlechtes Gedächtniß für die furcht- bare Leidensgeschichte der Juden im Mittelalter, und doch ist sie ein so ungeheures Trauerspiel, daß alles, was wir vom Martyrium der Christen unter den Heiden wissen, dagegen wie ein Kinderspiel erscheint. Wenn es eine Stufenleiter der Leiden gibt, so hat Israel   die höchste Staffel erstiegen; wenn die Dauer der Schmerzen und die Geduld, mit welcher sie ertragen worden, adeln, so nehmen es die Juden mit den Hochgeborenen aller Länder auf; wenn eine Literatur reich genannt wird, die wenige klassische Trauerspiele besitzt, welcher Platz gebührt dann einer Tragödie, die anderthalb Jahrtausende währt, gedichtet und dargestellt von den Helden selber? Die einzelnen Szenen dieser wirklich erlebten Tragödie, die sich in Spanien   unter der Regie der Inquisition  , oder in Frankreich   und Deutschland  , mit Zuhülsenahme der Straßen- räuber, die man Ritter   nennt, begeben haben, können wir selbstverständ- lich nicht schildern, sondern müssen uns, um nicht aus dem Rahmen unseres Bildes zu treten, aus die Leidensgeschichte der prager Inden beschränken. Die Juden Böhmens   repräsentiren eines der ältesten Elemente der Bevölkerung. Wahrscheinlich kamen sie mit den Römern an die Donau  , und infolge ihres ausgesprochenen Handelstriebes auch au die Elbe   und Moldau. Schriftliche Aufzeichnungen über die Jahres- zahl der Einwanderung existiren nicht. Die erste Urkunde über die Ansässigkeit der Juden in Böhmen   datirt aus der zweiten Hälfte des zehnten Jahrhunderts, worin ihnen die slavischen Einwanderer(Czechen), die vielleicht schon seit den Zeiten der Bojer   und Markomannen be-
stehende Gemeindeverfassung gewährleisten. Auch die späteren Regenten aus dem Hause der Przemysliden tasteten die Vorrechte der prager Judengemeinde nicht an. sodaß sie gewissermaßen einen Staat im Staate bildete, der außerhalb der Landesgesetze stand und lediglich von jüdischen Rechtsanschauungen geleitet wurde. So regierte das Aeltestenkollegium von Prag   aus sämmtliche Juden Böhmens  , bis die Kreuzzuge dieser Autonomie ein schreckliches Ende bereiteten. Einige fahrende Ritter aus Deutschland  , die mit ihrer Zeit nichts Besseres anzufangen wußten, als sie auf einem Pilgerzug nach Jerusalem   todt- zuschlagen, singen im Jahre 1096 auf ihrer Kriegsfahrt durch Prag  Handel mit den Juden an. Vom einheimischen Pöbel unterstützt, artete der Zank m eine mehrtägige Metzelei aus, welche die Massenauswan- o�mlg der Juden nach Schlesien   und Polen   zur Folge hatte. Ter blutdurstige Instinkt der Czechen war entfesselt und führte, vom reli- gtosen Fanatismus gestachelt, im Jahre 1290 zu neuen Greuelszeneu. f/l �l'n�""Ilde fortan von den weltlichen und geistlichen Be- Hörden als uuversiegliche Einnahmequelle betrachtet. So oft der flotte Luxemburger, König Johann von Böhmen  , in Geldverlegenheit war, trug er gar kein Bedenken, solche Judenhetze» zu organisiren, um sich seinenSchutz" so theuer wie möglich bezahlen zu lassen. Ein sehr beliebtes Verfahren damaliger Zeit bestand darin, daß die christliche! Priester Meßgewänder und Altargefäße bei Juden versetzten und dann eine JudenHetze in Szene setzten, während welcher die versetzten Gegen- stände ohne� Untersuchung weggenommen und der Kirche unentgeltlich wieder zugestellt wurden. In der Zeit desSchwarzen Todes", jene'