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Alle Anwesenden wurden in Verwunderung, dann aber auch in heitere Laune versetzt.

Nur Andersen sah mißmuthig darein. Er war mürrisch darüber, daß man so taktlos gewesen, außer ihm noch Einen einzuladen, der ihm unfehlbar seine Bewunderung fürze  , die ihm doch werden müsse, wenn er eines seiner Märchen vorgelesen hätte.

Er war im Begriff, seine Zusage zurückzunehmen, einem so unvor­sichtigen Hauswirth und seiner Gesellschaft den Rücken zu kehren. Nur auf Bitten der jungen Damen ließ er sich erweichen, von seinem Ent­schlusse abzustehen.

Welche hohe Meinung seine übertriebene Einbildungskraft von sich geschaffen, zeigte sich besonders noch in dem Moment, als sich höchst bescheiden die in Leipzig   lebenden lyrischen Dichter Adolf Böttger   und Hermann Marggraff   in der Gesellschaft einfanden und dem dänischen Dichter zugeführt wurden.

Er benahm sich gegen dieselben sehr zugeknöpft und spröde, was darin seinen Grund hatte, daß ihm die beiden nicht einen Besuch ab­gestattet und ihre Reverenz bewiesen hatten, indem er doch schon mehrere Wochen in Leipzigs   Mauern verweile.

Ehe er zu lesen begann, stellte er die Bedingniß, daß in der Ge­sellschaft die größte Ruhe herrsche, was von einer hochgebildeten Gesell­schaft ohnehin zu erwarten war.

Es herrschte eine wahre Kirchenstille. Als es jedoch einem der Zuhörer einmal einfiel, sich zu schneuzen, warf ihm der Vorleser von der Cheopspyramide seines Selbstbewußtseins Blicke zu, die eben so zornig waren wie diejenigen, welche sich auf dem gastfreien Schlosse zu Magen bei Dresden   zeigten, wo er bei dem Major Serre und dessen Familie offene Herzen und offene Thüren fand.

Der Major hatte häufig eine gewählte Gesellschaft auf seinem Landsize, wo Andersen nicht fehlen durfte. Er las natürlich wieder seine Märchen vor und sein ganzes Wesen wurde zum krankhaften Superlativ, wenn er merkte, daß außer ihm noch ein anerkannter Dichter oder Künstler anwesend sei, der ihm ein Defizit in seine per­sönliche Wichtigkeit bringen könne.

In solchen Momenten schien sich ihm Cäsars Grundsatz: Lieber im kleinsten Neste der erste, als in Rom   der zweite, ganz besonders aufzu­drängen.

Eine Episode von gleicher Farbe, welche 1855 zu München   spielt, sei schließlich noch erwähnt.

Daselbst hatte der bekannte Maler, Professor Vogel von Vogel­ stein  , zeitweilig Gesellschaft von Herren und Damen bei sich. Auch Andersen, der sich einige Wochen lang in München   aufhielt, wurde mit Einladungen zu Gesellschaften beehrt, wo es nicht an Huldigungen fehlte. mit ver Eines Tages erscheint er wieder in dem Kreise und klärtem Antlitz. Ich hätte," beginnt er seine Rede, ich hätte doch nicht gedacht, daß meine Märchen so tief in das Volk, und namentlich in die Kinder­welt gedrungen, denn wenn ich mich jetzt auf Plätzen und Straßen sehen lasse, kommen immer Kinder herbei und küssen mir ehrfurchtsvoll die Hand."

Es war dies eine gewiß urkomische Täuschung. Die Kinder hielten ihn für den bekannten katholischen Priester Döllinger, mit dem Andersen allerdings viel Aehnlichkeit hatte.

Mithin eine Verwechselung der Personen, was der Dichter aus dem verstohlenen Lächeln vieler der Anwesenden hätte bemerken können, unter denen sich der Dichter und Schriftsteller Julius Große  , jezt Generalsekretär der Schillerstiftung, befand. ( Schluß folgt.)

Die erste Rheinbrücke.( Bild Seite 556-557.) Alpen! Alpen­luft, Alpenschnee, Alpengrün. Wer hört diese Worte und kennt die Begriffe aus eigner Anschauung und fühlt nicht das Herz lauter pochen. Der Athem wird freier, das Auge heller, der Geist klarer und gesunder, denn helle und kräftige Gedanken tauchen in der Seele auf. Die mäch­tige Fee Phantasie, entführt uns mit ihrem Zaubergespann aus der norddeutschen Ebene und läßt uns sanft am Gotthard   nieder, jenem Knotenpunkt, in welchem alle Alpenketten unseres Welttheils zusammen­laufen, denn in ihm verknüpfen sich von Norden herkommend die Höhen­züge von Schwyz  , Unterwalden, Uri   und dem Berner Oberland  , von Often die Gebirge Graubündens   und von Süden die Alpen   der savoyi­schen Lande. Das ist der gewaltige Hintergrund unseres Bildes, dessen glitzernde Firnen sich mit dem Himmel vermählen. Den größten Ruhm erhält aber der Gotthard durch den Umstand, daß er der Vater der schönsten Ströme ist, welche durch Frankreich  , Deutschland  , Desterreich und Italien   fließen. Südwärts sieht man vom Gotthard   den Tessin  durch Schluchten und Thäler nach Italien   wandern, während sich west­wärts von dem Furkagletscher die blaue Rhone   zum Genfersee   wendet, um später in ihrem südlichen Lauf den herrlichsten Strom Frankreichs  zu bilden. Noch weit ergiebiger strömen seine Wasseradern nach Norden, die Aar, welche den Brienzer  - und Thunersee   bildet, die Reuß, die Mut­ter des Vierwaldstädtersees, und der Rhein  , der Vater des Bodensees. Die Sprachforscher erzählen uns, daß Rhein   von Rinnen abzuleiten sei und daß dies Rinnen verwandschaftliche Worte in der uralten kel­tischen und in der modernen deutschen Sprache habe, wie denn die Rhone   auch nichts anderes ist, wie ein solcher wässeriger Renner. Das Element, welches nachher den Rhein   bildet, rinnt nicht allein als

Vorderrhein, Mittelrhein   und Hinterrhein   dreifach, sondern hundert und tausendfach aus namenlosen Quellen zusammen. Jenen großen Gebirgszug entlang, den die alten die Adula nannten, und dem auch im Osten, in der Bernina der Inn   entströmt, liegen diese un­zähligen namenlosen Quellen des Rheins, denn es ragt dort Eiskuppe an Eistuppe, es drängt sich dort Gletscher an Gletscher, weil die Wolken durch Regen und Schnee immer wiedergeben, was die erwär­mende Sonne ihnen strahlenleuchtend an quellendem Wasser nimmt. Aus diesem viel geäderten Quellengeriesel greifen wir zur Erklärning unseres Bildes den Niederrhein   heraus. Der Niederrhein   entspringt im Tavsetscher Thal zwischen den Höhen des Crispalt und Baduz, dessen Gletscher drei Wasserfäden entsenden, die sich am Tomasee, einem von hohen starren Felsen umgebenen Behälter, zusammenfinden, welche wie­derum den Rhein   bilden und ihn gestärkt in die Ferne schicken. Der junge Geselle stößt aber bald auf ein Hinderniß, das sein kurzes Lebenslicht auszublasen droht. Der Fuß des Gämergletschers verstellt ihm in Gestalt einer Moräne( Grieseis und Schutthalde) den Weg, der unbändige Alpensohn verleugnet eine zeitlang seinen gewaltthätigen Charakter und schleicht sich wie ein Dieb unter der Halde durch und ver­hilft dadurch derselben zu der Benennung der ersten Rheinbrücke. In Gesellschaft von Bächen, von denen sich der eine oberhalb des Dörfchens Clamus aus dem Gämerthal, der andere aus dem Cornerathal kom­mend, mit ihm vereinigt, zieht er wohlgemuth weiter. Bei Dissentis verbindet er sich mit seinem ersten Namensbruder, dem Mittelrhein  , der dem Lukmaniergletscher entstürzend im Cadlinthal aus mehrerea in kleinen Seen sich sammelnden Quellen, die bei Stinsch zusammenlaufen, entspringt und durch das Medelser- oder Liebfrauenthor in die Arme der Verwandten eilt. Später kommen ihm thalabwärts aus verschie­denen Einschnitten der Adulakette noch einige Spielgenossen zugesprudelt, unter denen ein Bach, der aus dem Sumwigerthal strömt, dann die Ulatsch, der Glenner, welcher das schöne waldige Lugnezthal durch­braust, und die aus dem Saffien kommende Rabiusa die vornehmsten sind. Daß den jungen Strom abwärts die herrlichsten landschaftlichen Reize begleiten, wird mir wohl der Leser aufs Wort glauben. Von seinen Ursprüngen bis nach Dissentis rauscht er zwar durch eine öde Steinwelt, wie man auch schon aus unserm Bilde ersieht, von dort aber öffnet sich das Thal und dehnt sich mächtig in die Breite, indem es sich zugleich mit allen jenen Reizen schmückt, welche der Natur der Alpen  in so hohem Grade eigen sind. Auch an historisch interessanten Orten fehlt es nicht. Dissentis ist eine uralte Benediktiner   Abtei, aus welcher schon im siebenten Jahrhundert das Christenthum in die umliegenden Gelände getragen wurde. In Truns   wurde der graue Bund( Grau­ bünden  ) beschworen. Als die erste Stadt am Rheine   folgt Flanz, dann kommen die Ortschaften Flims  , Tries und Tamiens, indeß hie und dort alte Burgenreste wie Schwalbennester an den Felsen kleben, die uns an die wüste Zeit des Faustrechts erinnern. Glücklicherweise ist es schon lange her, seit der Hirt den letzten adeligen Straßenräuber er­schlagen! Im Angesichte der Schneepyramide des Tödi vereint sich bei dem Orte Reichenau   das Drillingspaar Vorder, Mittel- und Hinter­ rhein  . Der lettere, der kräftigste von den dreien, hat auch eine schöne Berg und Thalfahrt gemacht und kann von vielen interessanten Hindernissen erzählen. Der Kampf der Elemente tobt unaufhörlich an der Wiege des Hinterrheins. Rechts von der Straße, die über den Bernhardin nach Italien   führt und die zu Zeiten des römischen Kaisers Augustus   von seinen Stiefsöhnen Tiberius   und Drusus   mit dem Blute der Gebirgsbewohner überschwemmt wurde, erstreckt sich die ungeheure Masse des Rheinwaldgletschers, über dem das Moschelhorn und der Vogelberg sich als stolze Felsenkegel erheben und Lawinen und Wasser unaufhörlich in die Tiefe senden. So ist hier Stoff für unerschöpfliche Quellen, deren auch zwölf in rauschenden Bächen darunter hervor brausen, um den Hinterrhein   zu bilden. An seinem Ursprunge liegen Himmel und Hölle neben einander; der erstere besteht in einer Gebirgs= wand, die zweite aus einem bodenlosen Abgrunde. Der junge Drillings­bruder kümmert sich indeß nicht um beide und stürmt in das Rhein­waldthal, wo das Dorf Splügen   liegt, das mindestens acht bis neun Monate Winter hat. Dann bricht er durch die sturmzerfressenen Roflafelsen, an welchen er einen ansehnlichen Wasserfall bildet, in das freundlichere Schamserthal, wo er an den Orten Andeer   und Zillis   vorbeiströmt und die Wasser der Ferreraschlucht aufnimmt. So feck er auch auf diesem Wege dahingewirthschaftet hat, indem er das Urgestein der Roflawände zerklüftete, so beginnt doch jetzt erst die kühnste That des Alpensohnes, der Gang durch die Via mala( schlimmer Weg). Was die Natur an wilder und graufiger Schönheit zu schaffen vermag, das ist hier erschöpft. Ein gewaltiges Kalfsteingebirge, das sich von Piz Beverin  zum Mutterhorn hinzieht, schließt das Schamserthal gegen Norden. Feuer und Wasser, von unseren Vorfahren als Riesen gedacht, die den Himmel stürmen wollten, haben einen tiefen klaffenden Spalt von beinahe tausend Fuß in den schwarzen Felsen gerissen. Millionen von Jahren gehören dazu, wenn die Wellen mit ihrem Anprall allein die Schlucht ausgenagt hätten; die scharfen Kanten der linken Wand jedoch, welche den Vertiefungen der rechten entsprechen, lassen auf die Nachhülfe eines Erdbebens schließen. In diese entsetzliche Schlucht wirft sich der Hinter­ rhein   mit tausend Sprüngen und fällt unter Tosen und Brausen, mit Bischen und Wirbeln von Klippe zu Klippe. Wunderbar wie die Kühn­heit der Natur ist die Kühnheit des Menschen. Sie ist dem Strome nachgegangen und hat eine Straße zwischen diesen Bergmassen in der Höhe und den siedenden Fluthen in der Tiefe gebaut, die das Gestein

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