in den Gesichtskreis treten läßt. Reizende Villen, hier von Baumgrün, dort von Blumen bekränzt, mit Spiegelscheiben, Galerien, breiten Stiegen und aussichtsreichen Söllern, mahnen mit dem wachsenden Getriebe von Karossen, leichten Wagen, Reitern und Spaziergängern an die Nähe des Badeortes, dessen Architektur und Straßengewimmel den Sammelplatz der vor­nehmen, reichen Welt des Kaiserstaates verräth! Wer unter dem Laubdach der Doppelpromenade zwischen den Zelten reizender Blumen, Bilder- und Waarenläden die wechselnden Gruppen und Einzelgestalten der Kurgesellschaft ins Auge faßt, oder von der Karolinenhöhe den Grundriß des Marktes, das Silberband der Traun und die bewaldeten Berge überschaut, der wird nimmer des Paradieses vergessen, in dessen anmuthvollen Gefilden die Mächtigen der Erde, Fürsten , hohe Würdenträger, schöne Frauen, Edelherren, Künstler und Gelehrte mit Kindern des Volkes sich mischen, um der Wonnen des irdischen Daseins sich zu freuen. Auf der Wanderung nach Strobl bot der Ausblick auf die grünbelaubten Kuppen und steilaufragenden Felsgehänge, in deren Schluchten sich ein Jägertrupp verlor, auf der Seefahrt bis St. Wolfgang die Szenerie des felsenumgürteten Gewässers der Schaulust reichen Stoff; aber anziehender als Schafberg und Wisthorn däuchte mir im dämmerigen Chor der Kirche Michel Bachers Flügelaltar, den Schnaase in dem Fragment feines Nachlasses zu den großartigsten Leistungen der deutschen Kunst im Mittelalter zählt. Schon das Schnißwerk im Schrein die Krönung Mariä im Innern eines gothischen, durch Pfeiler, Bögen, Fialen und Fenster reichgegliederten, mit Engelsschaaren belebten Doms stellt eine Gruppe von wundervoller Schön­heit dar, die in den würdig aufgefaßten, plastisch durchgebildeten Seitenfiguren der Heiligen Benedikt und Wolfgang harmonischen Abschluß erhält. Ein Hauch der Poesie durchweht diese tief empfundenen Gestalten, denen sich die Rundfiguren St. Florian und St. Georg als Ideale des Ritterthums zur Seite stellen; poesievoll, wie die Legenden aus dem Marienleben, sind auch die trefflichen Kompositionen der Geburt, Beschneidung und Opfe rung Christi; wahrhaft ergreifend die Szene, welche den Tod Mariä auf goldenem Hintergrunde in warmen, leuchtenden Farben mit der trauernden Apostelgruppe vor das Auge des Beschauers stellt. Nicht minder wird der Freund altdeutscher Kunst in dem statuarischen, von formschönen Ornamenten umzogenen Giebel­und Predellaschmuck, wie in der wundervollen, mit Figuren ver­schlungenen Laubumrahmung stilvolle Verzierungen des prächtigen, eine kleine Bildergalerie umfassenden Altarwerkes finden.

Zu früh verdunkelten die Schatten der Abenddämmerung die goldenen Gewänder und Weihegeschenke der heiligen drei Könige, der Kirchenväter ernste Köpfe, die genrehafte Gruppe der heiligen Familie und die gewaltige Figur des Riesen Christophorus, der das Kindlein auf der Schulter über das Wasser trägt; der nächste Tag brachte reichere Augenweide, und das geräuschvolle Treiben im Peterbräu, der bei der Ankunft und Abfahrt des Schiffes einem Taubenschlage glich, bildete zu der feierlichen Ruhe im stillen Tempelraum einen nicht unwillkommnen Gegensatz. Behält doch das Weltleben seine hohe Berechtigung, ob es im Geleise der Berufsarbeit spurlos verrinne, ob es in Kunst und Wissen­schaft Unsterblichkeit erringe; und wenn in der Prosa ärmlicher Verhältnisse, in Mißgeschick und Trübsal des Glückes goldner Schimmer verblaßt, bleibt ihm noch jener beseligende Bauber, der hier als Hoffnung, dort als Glaube oder Liebe die Herbig­keit und das Leid der Gegenwart vergessen läßt.

Ein heißer Sommertag nahte seinem Ende. Bairische Pilger wandten sich nach dem Gebet zur Betrachtung einer Bilderreihe, welche die Wunderthaten des gefeierten Bischofs von Regens­ burg der Nachwelt aufbewahrt, als ihnen die Gestalt des Heiligen in seltsamem Dunkel entschwand, das unvermuthet Schiff und Chor der Kirche erfüllte. Von dem Vorplatz schaute der Meßner gedankenvoll bald zu dem Firmament, an dem sich düstere Nebel­flocken von Westen und Süden zusammenschoben, bald auf den See und einen kleinen, von Frauenhand getriebenen Kahn, der in der Richtung nach dem Leuchtthurm langsam weiter glitt. Kein Lufthauch fäuselte in den Blätterkronen, aber die Schwüle der Luft und die rasche Verdichtung des Wolkenschleiers ließen den Ausbruch eines Gewitters befürchten, dessen Vorboten gleich schwachen bengalischen Flammen da und dort den Horizont be leuchteten. Bald flüchteten Touristen, Spaziergänger, Land­bewohner zu Fuß und zu Wagen in das Dorf; unheimlichem Blätterrauschen folgte ein Windstoß, der Thüren und Fenster erschütterte, den Flaggenmast am Strande auf und niederbog

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und mit dem Klirren zerbrochener Scheiben, zerschmetterter Ziegel, das Stimmengetöse erschrockener Frauen in den Häusern über­tönte. Urplöglich, urgewaltig brach das Ungewitter los; schäumende, brausende Wellen jagten in rasender Hast über den blaugrauen Spiegel; schwarze, schwefelgelbgerandete Wolken senkten sich tiefer und tiefer auf die Wasserfläche, bis sie mit dem Staub und Gischt des entfesselten Elements zu undurchdringlichem Gewirr inein­anderrannen. anderrannen. Schauerlich der Sturm, schauerlicher der Heren­sabbat wildbewegter Wassergeister: Stück auf Stück der Fahne, Splitter auf Splitter des Flaggenschaftes verschwanden in dem Wirbel, der hier einen Kahn, dort ein Floß, eine Planke vom Ufer riß und auch die Schifferin auf dem Wege nach St. Gilgen zu verschlingen drohte. Hülfe, Rettung dem armen Weibe!" erscholl es hier und da aus den Haufen neugieriger Zuschauer, und im Nu sah man dreizehn Männer mit kräftigen Ruder­schlägen ein großes Boot dem Sturm entgegentreiben; doch nach wenigen Minuten war das Fahrzeug auf die Seite gelegt und vom Ufer unaushaltsam wie von Geisterhänden durch die Bran­dung tiefer in das Wogengeschäume gerissen, wo es inmitten rollender Wasserberge bald im Abgrunde verschwand, bald wieder aus der Tiefe tauchte, während der Schiffer verworrenes Geschrei, das Krachen betäubender Donnerschläge und das Brüllen des Orkans in dem zunehmenden Dunkel die Beängstigung der Dorf­bewohner wie das Herzeleid der Frauen steigerte, welche kaum mehr auf die Heimkehr ihrer Männer zu hoffen wagten. Da flog durch Finsterniß und Wogenschwall ein leichter Kahn mit Windesschnelligkeit heran; ein jäher Anprall, ein gellender Schrei und aus dem umgekippten Nachen fiel besinnungslos die Schifferin auf den Strand, zu deren Rettung jene Männer ihr Leben ein­gesezt und preisgegeben hatten. Bei diesem Anblick faßten auch die Ruderer frischen Muth, zur Flucht aus dem unheimlichen Wasserschlunde noch einmal alle Kräfte anzuspannen; durchnäßt, ermattet, tieferschüttert, betraten sie nach langem Kampf den Landungsplatz, ein gütiges Geschick hatte sie beschirmt, die Schrecken des Hochgewitters gebannt.

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Als am nächsten Morgen der Dampfer wieder seine breite Furche, Fischerkähne schmale Spuren auf den blauen Spiegel zeichneten, im Sonnenlicht zitternde Kräuselwellen wie Diamanten gliberten-war der grause Spuk verschwunden. Vor Sonnen­untergang sah man zwei Bursche ihr zierliches Schifflein an das Ufer steuern und, nachdem sie gelandet, den Weg zur Schenke verfolgen. Frohmuth des einen, der mit der Hahnenfeder auf grünem Hnt, rothseidenem Halstuch auf dem weißen Kragen, offenen, heiteren Blicks in das Zimmer trat und der Dienerin Frage: Ein Krügel, Mathes?" lachend bejahte; Selbstgefühl des andern, der die kräftigen Glieder mit schlichterem Bauers­kleide umschloß und den Gemsbart am schwarzen Filzhut trug­feiner Umriß der gebräunten Wangen, freie Haltung der elasti­schen Gestalten, lenkten aller Fremden Augen auf das Paar. Beide zogen sich an das Fenster zurück, den Gehalt des gold­braunen Gerstensaftes zu erproben und dann eines jener Alpen­lieder anzustimmen, die mit langnachhallendem Jodler der Liebe Lust und Leid, des Herzens ungestilltes Sehnen offenbaren.

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,, Grüß Sie Gott , Jungfrau!" unterbrach der jüngere die melo­dische Weise, als eine Maid in hellgrauem Kleide mit rosig an­gehauchten Wangen und blondem Ringelhaar am Tisch vorüber­ging, ein Theebrett mit Geschirr auf die Veranda am See zu tragen. Guten Abend,-schon wieder da?" gab ihre helle Stimme zur Antwort, indem sie zögernd stehen blieb. Mit dem Hansl... nicht zum Vergnügen...; aber wollen Sie heut mit uns trinken?" Und der blühende Jüngling schob ihr das ge­schliffene Glas mit artiger Handbewegung entgegen. Ein milder Blick aus blauen Augen kreuzte den Glutstrahl des Burschen, als sie den Henkel faßte und mit dem Spruch:" Die Gesellschaft soll leben!" am weißen Schaum die rothen Lippen nezte. Die Jung­frau daneben!" fügte der Begleiter unter Darbietung seines frisch gefüllten Kruges hinzu. Könnten's nit eine Weile bei uns bleiben?" Muß erst die Herrschaft bedienen, dann komm' ich wieder." So lassen's nit lang warten, bitt' gar schön, Jungfer Marie!"

Das Geplauder der Schiffer verstummte, die geleerten Gläser blieben ungefüllt: das Mädchen ließ sich nicht mehr blicken. Nach vergeblichem Harren zog Hans in leichter Ungeduld die Uhr aus der Tasche: ,, halber acht der Tasche: ,, Halber acht fahren wir heim!" ,, Bis um neun Uhr sind wir doch in Gilgen, wenn wir auch ein Viertelstündel länger rasten und noch ein Krügel trinken."

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