Rebe und Rose.

In dem Garten am Meer ein Rebenstrauch In Blüthe stand,

An ihm sich eine Rose wand

In Lieb' entglüht empor

Und klagte ihm mit duft'gem Hauch Jns Ohr:

,, Wenn ich vor Sommerabschiedsgruß So frühe schon verwelken muß, Du trittst hinaus erst in die Welt, Dann wirst du erst ihr Götterheld. Wann du geworden bist der Wein, Die Rose wird vergessen sein, Dir wird man Ehre schenken, An mich wird niemand denken!"

In dem Rebenlaub mit süßem Schall Eine Nachtigall

Die Antwort sang.

Sie zog die Töne mit Zücken, das klang:

Glühe, Rose, glühe!

Blühe, Rebe, blühe!

Wann du worden bist zu Wein,

Wird in dir die Rose sein,

Wird ihr Duft dir geben

Wonnigliches Leben.

Aber du zu ihrem Ruhm

Ewig in dir blühe.

Wirkest, daß die Wunderblum'

Glühe, Rose, glühe!"

Leop. Jacoby.

Der Freidenker Moses Mendelssohn . Don Dr. Mar Vogler.

( Hierzu das Porträt Mendelssohns S. 592.)

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Mit dem leztvergangenen Jahre verknüpften sich mehrere, nicht blos für Deutschland , sondern für die ganze civilisirte Welt hochbedeut­same Erinnerungen: in demselben waren es 150 Jahre, seitdem zwei der größten Aufklärer und edelsten Menschenfreunde aller Zeiten, Gott­ hold Ephraim Lessing und Moses Mendelssohn , geboren worden, und 100 Jahre, seitdem das erhabenste Geisteswerk des ersteren ,,, Nathan der Weise ", dieses Grund- und Textbuch echter Humanität, erschienen. Die Neue Welt" hat über den Schöpfer des Nathan" bereits eine ausführliche Arbeit aus der Feder ihres Redakteurs gebracht und sie wird demnach nur eine nahe liegende Pflicht erfüllen, wenn sie jetzt auch ihren Lesern das Lebens- und Charakterbild des merkwürdigen jüdischen Philosophen in kurzen Zügen vor Augen führt.

In dem schlichten Hintergebäude des Hauses Askanischestraße Nr. 10 zu Dessau liegt im Erdgeschoß ein kleines, armseliges Stübchen, in welchem vor anderthalbhundert Jahren der Schreiber und Elementar­lehrer Mendel, ein unbemittelter, in den dürftigsten Verhältnissen leben­der, aber wegen seines stillen und makellosen Wandels in der Gemeinde hochgeachteter Mann, seine Wohnung hatte. Im vorigen Jahre ist das ganze Grundstück von der Mendelssohnstiftung erworben worden, um, nachdem die darauf stehenden Gebäude auf das nothwendigste restaurirt, um- und ausgebaut sein werden, einem Asyl für alte, ver­verdiente, arme Gelehrte als würdige Stätte zu dienen. Hier hat Moses Mendelssohn am 6. September 1729 das erste mal die Augen dem Lichte geöffnet. Er ist also auch einer von jenen Sternen, die aufgegangen, wo es niemand ahnte, und die bestimmt waren, nachher um so heller die Welt zu erleuchten. Troß seiner Armuth ließ der Jude Mendel seinem Sohne eine sorgfältige Erziehung angedeihen, theils unterrichtete er ihn selbst, theils geschah es durch den gelehrten Rabbiner Fränkel. Neben der Bibel und dem Talmud , die ihm natür­lich am nächsten lagen, wendete sich der kleine Mendel schon sehr zeitig den religions- philosophischen Schriften des Judenthums, insbesondere dem berühmten ethischen Werke des Maimonides ,,, More Nebochim" ( Führer der Jrrenden") zu, welches er mit solchem Eifer studirte, daß er in eine Nervenkrankheit verfiel, aus der er infolge nachlässiger Be handlung ein gekrümmtes Rückgrat und eine stets schwächliche Gesund­heit davontrug.

Da ihn sein Vater nicht ernähren konnte, begab er sich in seinem vierzehnten Lebensjahre nach Berlin , wohin sein Lehrer Fränkel als Oberrabbiner berufen worden war. In der preußischen Hauptstadt lebte er nun mehrere Jahre in der äußersten Dürftigkeit, erfreute sich aber des Umgangs von freigesinnten Männern, die bestimmend und weiterbildend auf seine Geistesrichtung einwirkten. Unter diesen ragen hervor Israel Moses, ein tiefsinniger Denker und ausgezeichneter Mathe­matiker, der wegen seiner Freimüthigkeit verfolgt, ein Märtyrer der Wahrheit, in gleicher Armuth lebte und seinen jungen Glaubensgenossen vor allem auch in die griechische Philosophie einführte, der Arzt Kisch,

der ihn zur Erlernung des Lateinischen ermunterte und ihm selbst Unterricht in dieser klassischen Sprache ertheilte, Dr. Gumperz, der ihn in die neuere Literatur einführte, und verschiedene talentvolle junge Männer, mit denen er über alle möglichen Gebiete des Wissens, vor allem aber über philosophische Themata, schon damals ernste Gespräche pflog.

Seine äußerlichen Verhältnisse besserten sich erst wesentlich, als ihn im Jahre 1750 der reiche israelitische Seidenhändler Bernhardt als Erzieher seiner Kinder in sein Haus nahm und nebenher als Auf­seher in seiner Fabrik beschäftigte. Vier Jahre später wurde er Buch­halter im bernhardt'schen Geschäft und schließlich Theilhaber desselben. Seine verbesserte materielle Lage trieb ihn eifriger an, jede Spanne freie Zeit, die ihm blieb, mit desto größerem Fleiße zu benußen, indem er sich namentlich auf das Studium der philosophischen Systeme eines Wolff und Locke, Spinoza und Leibniz warf. Von entscheidender Be­deutung für sein bald beginnendes schriftstellerisches Wirken wurde die Bekanntschaft mit Lessing ( 1754), die in der einfachen Weise zustande kam, daß man ihm diesen als trefflichen Schachspieler empfohlen hatte, aus der sich aber jene treue Freundschaft entwickelte, die beide für das Leben verband, und als deren nächstes wichtigstes Ergebniß das Er­scheinen des ersten mendelssohn'schen Werkes anzusehen ist. Dieses Werk nämlich, die Philosophischen Gespräche"( Berlin 1755), war Lessing von seinem Freunde im Manuskript zur Durchsicht mitgetheilt worden; jener aber beförderte es ohne Mendelssohns Vorwissen zum Druck, da sich dieser, wie er glaubte, in seiner Bescheidenheit wohl schwerlich zur Veröffentlichung der werthvollen Schrift entschlossen haben würde. Mit dem Jahre 1755 beginnt auch seine äußerst erfolgreiche Thätigkeit für die Bibliothek der schönen Wissenschaften" und die ,, Briefe, die neueste Literatur betreffend", zwei Zeitschriften, die so recht als Pfadbahner für das klassische Zeitalter unseres Schriftthums be­zeichnet werden dürfen. Als ich" schreibt Friedrich Nicolai , der Herausgeber der genannten kritischen Blätter, selbst die Biblio­thek der schönen Wissenschaften anfing, war er es zuerst, und nach ihm Lessing , der mich in meinem Vorsage, durch freimüthige Beurtheilung neuer Schriften der deutschen Literatur einen stärkeren Schwung zu geben, befestigte. Moses lieferte so manchen thätigen Beitrag zu den ersten vier Bänden, die wir mit gemeinschaftlicher Bemühung heraus­gaben.... Der Gedanke, die allgemeine deutsche Bibliothek heraus­zugeben, erschreckte ihn anfänglich wegen der Größe des Unternehmens und wegen den Schwierigkeiten, die er damals für unübersteiglich hielt. Da er mich aber entschlossen sah, so unterstüßte er mich freundschaftlich. Die ersten Bände dieses Werkes, worin einige sehr vorzügliche Rezen­sionen von ihm stehen, sind Zeugen davon." Wir können uns heut kaum eines Gefühls tiefer Beschämung erwehren, wenn wir die Kritiken lesen, die Mendelssohn und Lessing in diesen Organen veröffentlichten, dieser aus aufrichtigem Interesse am Gegenstande hervorgegangenen, von innerster Schaffensfreude beleben, vom höchsten Ernst der Gesin­nung getragenen, tief in die Sachte eindringenden und dieselbe nach allen Seiten hin beleuchtenden kritischen Analysen mit ihrem klaren, ebenmäßigen Stil und ihrer Begeisterung für wahre Erkenntniß, gegenüber dem faden, handwerksmäßigen Geschreibsel journalistischer Fasel­hänse, die heute den Anspruch erheben, die Leiter und Wegweiser unserer Literaturbewegung zu sein. Was Lessing durch solche Kritiken für die Läuterung und Bereicherung unserer Muttersprache gethan, ist bekannt genug, und es braucht nur hinzugefügt zu werden, daß ihm Moses Mendelssohn in diesem echt patriotischen Streben getreulich zur Seite stand.

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Neben diesen Rezensionen schrieb Mendelssohn in den folgenden Jahren noch einige weitere philosophische Schriften geringeren Umfangs; zu allgemeinerer Anerkennung in wissenschaftlichen Kreisen gelangte er erst durch sein von der Akademie der Wissenschaften zu Berlin ge­fröntes Werk: Von der Evidenz der metaphysischen Wissenschaften" ( 1763), das sich in seinen Aufführungen zwar im ganzen an die leibniz­wolff'sche Schule anlehnte, doch auch die Selbständigkeit seines philo­sophischen Denkens, die Schärfe und Gründlichkeit seines Geistes und vor allem die Gewandtheit und Vollendung seines Stils erkennen ließ. Den letteren Vorzug wird man ihm besonders hoch anrechnen, wenn man überlegt, daß die deutsche Sprache ihm eigentlich eine fremde war, denn von Haus aus hatte er nur das ganz verwahrloste Jargon seiner damaligen Glaubensgenossen gesprochen wenn man zurüd­denkt, in welchem Zustande die deutsche Prosa in den Jahren, in wel­chen seine ersten Werke erschienen, war.

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Seinen Ruhm nicht nur über ganz Deutschland , sondern auch ins Ausland zu verbreiten, war seinem nächsten, berühmtesten und bekann­testen Werke: Phädon oder über die Unsterblichkeit der Seele in drei Gesprächen"( Berlin , 1767) vorbehalten, welches während kürzester Zeit in alle modernen und mehrere alten Sprachen übersetzt wurde. Men­ delssohn hatte diese philosophischen Dialoge dem gleichnamigen Werke Plato's, des schönheittrunkenen griechischen Idealisten, nachgeschaffen, ohne indessen etwa blos die Gedanken desselben wiederzugeben; viel­mehr hat er sich angelegen sein lassen, alles, was nach Plato über das beregte Thema geschrieben worden, heranzuziehen, zu beleuchten und mit seinen eigenen Ideen in Zusammenhang zu bringen. Freilich dürfen wir auch in seinen Untersuchungen keine in jeder Hinsicht etwa befriedigende Beantwortung jener mit den Kardinalproblemen mensch­lichen Forschens zusammenhängenden Frage zu finden hoffen; dieselben sind vielmehr, was ihren positiven Inhalt angeht, von Mendelssohns