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die Domherren und die Chorknaben sich bei der Hand faßten und tanzten, während sie zugleich Danklieder sangen. Besonders waren es, wie schon erwähnt, die Tage der Winter- und Sommersonnenwende, an welchen in heidnischer wie in christ- licher Zeit religiöse Tänze beliebt waren. Man tanzte in der Weih- nachtswoche auf den Kirchhöfen und am Vorabend des Johannis- tages um die an dem letzteren Tage ursprünglich zu Ehren des Sonnengottes Wodan angezündeten Feuer. Diese Sitte wurde die Veranlassung zu den später so berüchtigten St. Veits- und Johannistänzen, welche die Menschen, Männer und Weiber, mit einer Art wahnsinniger Wuth ergriffen und zu tanzen zwangen nnd die namentlich in der Rhein - und Moselgegend lange Zeit ihr Wesen trieben. Von diesen und ähnlichen Uebertreibungen und krankhaften Entartungen des religiösen wie profanen Tanzes wird weiterhin noch näher die Rede sein, hier möge nur noch Erwähnung finden, daß nach einem weit und lange verbreiteten Aberglauben der Tanz am Johannistage das Haus, in welchem es geschah, ein ganzes Jahr hindurch vor Feuer und dem Ein- schlagen des Blitzes schützen sollte, was wiederum ein Rest alt- heidnischen Götterglaubens und nur eine letzte verdunkelte Er-

innerung daran ist, daß gerade dieser Tag ehemals dem ober- stcn Gotte, dem Sonnen- und Feuergotte, dem Beschützer des Hauses und Herdes, Wodan, geweiht war. In christlicher Zeit trat Johannes der Täufer dann an die Stelle des Heidin- sehen Gottes, dem zu Ehren der Johannistag auch seinen jetzigen Namen erhalten hat, wie man in die Zeit der Wintersonnenwende, jenes anderen großen heidnischen Festes, das Geburtsfest des Heilandes, das christliche Weihnachtsfest verlegte. Der Tanz am Johannistage selbst sollte in christlicher Zeit an jenen, aus der biblischen Geschichte her bekannten Tanz der Herodias , der Tochter des Herodes erinnern, welcher Johannes dem Täufer einst den Kopf kostete. So müssen die alten, unzerstörbaren Sitten der Heidenzeit dem Christenthume zu Trägern seiner Ideen dienen und dem neuen Eroberer gleichsam ihr eigenes, von ihnen bisher beherrschtes Gebiet mit erobern helfen. So baute man an der Stelle, wo ehemals eine heidnische Opferstätte sich befunden, gern eine christ- liche Kirche, ein Kloster oder ein Bethaus, und so bediente man sich des alten Aberglaubens, um ihn für die Zwecke der neuen Lehre zu benützen und in ihrem Sinne zu deuten.

Dem Schicksal abgerungen.

Novelle von Wudolph von ZZ.

(Fortsetzung.)

Während die beiden von der wilden Begleitung des langen Joseph sich so stritten, war noch eine ganze Anzahl mehr von den Leuten angelangt. Der Erstangekommene erzählte nun, daß er den Jrrenhauswärter da hinein in das Hinterhaus habe gehen sehen, denselben, welcher vorhin die Prügelei angefangen habe. Einige von den Burschen, die Klinke's derbe Fäuste zu fühlen gehabt hatten, wollten daraufhin gleich in das Haus hineinstürmen. Der Wirth aber vertrat ihnen sehr energisch den Weg und erklärte, in dem Hintcrhause hätten Fremde garnichts zu thun, das wäre abgeschlossen, die Gaststube sei vorn und er würde sich gegen jeden Hausfriedensbruch mit allen Kräften zur Wehr setzen. Alsogleich rief er auch seine beiden Knechte herzu, stämmige Burschen, die ihm auf das Wort zu gehorchen gewöhnt waren, und da ihn die mitgekommenen Oberwaltersdorfer sehr gut kannten und ihm das Wort redeten, so wagte zunächst von den andern keiner, zu offener Gewalt zu schreiten. Inzwischen waren auch der lange Joseph und Hampel nach- gekommen. Des letzteren erstes Wort war die Frage, ob der Jrrenhauswärter allein gewesen sei. Der Bursche, der diesen er- kannt hatte, verneinte und sagte, ungefähr vier oder fünf Leute wären sonst noch dabei gewesen. Auf diese Mittheilung hin warf der amerikanische Schulmeister seinem langen Kumpan einen triumphirenden Blick zu.Da hätten wir sie also!" sagte er. Nun begann der Krakehl mit dem Wirthe von neuem. Dieser ließ sich aber so wenig einschüchtern, wie vorher, und schon wollte der lange Joseph ihm selbst gegenüber zu Thätlichkeiten über- gehen, als Hampel intervenirte. Er nahm den Joseph beiseite und sprach eine Weile leise mit ihm. Der Erfolg dieser Unter- redung war, daß der Lange mit sonderbarem Grinsen von seinem gewaltthätigen Vorhaben abstand und mit der Drohung, die Kerle aus dem Verrücktenhause sollten ja in ihrem Mauseloche drin bleiben und sich nicht blicken lassen, sonst würde es ihnen verdammt schlecht gehen, in die Gaststube ging, um sich und den andern da auf Kosten des amerikanischen Schulmeisters gütlich zu thun. Der Wirth traute anfangs dem Landfrieden garnicht und beobachtete den Langen und den Dicken er kannte den Schulmeister auch nicht bei Namen unaufhörlich. Dabei be­merkte er, daß der erstere mit mehreren von seinen Leuten leise zischelte und daß die sich fortschlichen und das Hinterhaus von allen Seiten umgingen und umschnüffelten, als ob sie heimlich hineinzukommen versuchen wollten. Das machte ihm aber keine Schmerzen. Das Haus hatte nur eine alte, eisenfeste Eichenthür und die Fenster des Erdgeschosses waren mit starken Eisengittern gegen alle Versuche, durch sie ins Innere einzudringen, mehr als ausreichend geschützt. Drum beauftragte der Wirth einen seiner Knechte, im Hofe zu bleiben und genau acht auf die sich überall herumtreibenden Burschen zu geben, und schlüpfte selber in einem Momente, während dessen er sich und die Thür des Hinterhauses

unbeobachtet glaubte, hinein, um die darin Eingeschlossenen über die Lage der Dinge zu beruhigen. Hier fand er ziemlich schwere Arbeit vor. Der Doktor Wendelin und die Wärter, allen voran Klinke, empfanden es, nachdem der Eindruck der Ueberraschung überwunden war, wie eine Schmach, hinter Schloß und Riegel sich vor einer Anzahl angetrunkener Menschen zu verstecken; alle wollten heraus und der junge Arzt hoffte, doch wenigstens einige anständigere und besonnenere unter den Leuten zu finden, die sich durch vernünftige Vorstellungen von der Thorheit und Unwürdigkeit brutaler Ausschreitung über- zeugen lassen würden. Der Wirth aber kannte seine Pappenheimer besser, und wider- rieth auf das allereindringlichste, die Sicherheit seines wohl- verschlossenen Hinterhauses zu verlassen. Noch viel heftiger aber war er gegen das Vorhaben Fritz Laniers, der allein hinaus- gehen wollte, weil er der Meinung war, daß die Leute hauptsächlich oder eigentlich allein auf ihn ergrimmt seien wegen des bewußten verhängnißvollen Zeitungsartikels. Er dürfe unter gar keinen Verhältnissen hinaus; seine Gefährten dürften ihn bestimmt nicht hinauslassen, sagte er; wenn sich überhaupt nur einer von ihnen draußen zeigte, käme es gewiß zu Mord und Todschlag, während, wenn sie ruhig in ihrem Verbarg blieben, die Leute da draußen endlich doch abziehen würden. Auf dieses Abziehen aber meinten der Doktor Wendelin und die andern unbedingt nicht mehr lange warten zu können, weil ihrer wichttge Arbeit harre, und erst, als der Wirth, der keinen andern Ausweg aus der vertrackten Situation wußte, versprach, sofort einen Boten nach dem Gute des Herrn von Bergen-Felseck schicken zu wollen, damit dieser eine Anzahl bewaffneter Leute sende, unter deren Schutz der Doktor mit den Seinen vor der Roheit des langen Joseph sicher sei, konnten sie zu einmüthiger Verabredung kommen. Der Wirth ging darauf wieder in den Hof, nachdem er sich vorsichtig durch's Schlüsselloch der Thür erst vergewissert hatte, daß in deren Nähe sich niemand herumtrieb, von dem gewalt- sames Eindringen in das Haus zu besorgen war. Die zwei oder drei uniherspionirenden Burschen genirten ihn wenig, sie dachten nicht daran, sich mit ihm in ein Handgemenge einzulassen, und mit so ein paar jungen Kerlen wäre auch der robuste und ent- schlossene Mann leicht genug fertig geworden. Den einen seiner Knechte sandte er nun auf der Stelle, der Verabredung gemäß, ins nächste Dorf, mährend er den andern auf seinem Beobachtungsposten im Hofe beließ. Als er in die Gaststube zurückkehrte, hätte er bemerken können, daß der Schulmeister einen raschen Blick auf ihn und dann auf den langen Joseph warf und diesem etwas ins Ohr flüsterte. Er achtete aber nicht darauf und stellte sich ruhig hinter dem Schenktisch auf, wo er sofort mit Einschenken von Bier und Brannt- wein reichlich zu thun bekam.