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öffentlich zu widerlegen, wofern er die wesentlichen Argumenta­tionen, womit die Thatsachen des Christenthums unterstützt sind, nicht richtig finde,- wofern er dieselben aber richtig finde, zu thun, was Klugheit, Wahrheitsliebe, Redlichkeit ihn thun heiße- was Sokrates gethan hätte, wenn er diese Schrift gelesen und unwiderleglich gefunden hätte." Man sieht, der züricher Diakonus denn das war er inzwischen geworden. an dessen aufrichtiger Be­geisterung für die Sache seiner Kirche nicht zu zweifeln ist, hatte es an einem guten Stück pfäffischer Schlauheit nicht fehlen lassen. Nun sollte man meinen, die Sache wäre von Mendelssohn's   Seite leicht ab­zuthun gewesen. Die Dinge lagen aber damals anders als heute, und Mendelssohn   befand sich wirklich in einer wenig beneidenswerthen Lage. Nie zugleich hat sich jedoch die Hoheit seines großen Geistes herrlicher offenbart, als gerade in diesem Falle. Konnte er auf der einen Seite als Jude die Schrift Bonnet's nicht widerlegen, ohne das Christenthum selbst anzugreifen und dagegen sträubte sich seine Duldung Anders­gläubiger und dadurch zu neuen Beschuldigungen und Verfolgungen seiner ohnehin arg bedrängten Glaubensgenossen Anlaß zu geben, so durfte er auf der anderen ebensowenig auf die kecke Aufforderung La­ vater's   schweigen, ohne sich den Vorwurf der Schwäche zuzuziehen und als in seinen Anschauungen besiegt angesehen zu werden.

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Mendelssohn gerieth in solche Aufregung, daß er in eine schwere Krankheit verfiel, die ihm vor der Hand jedes Arbeiten unmöglich machte. Seine Freunde, vor allem Lessing, der damals in Wolfenbüttel  weilte, waren über Lavater's   Auftreten geradezu empört. ,, Noch mehr aber bitte ich Sie," schrieb ihm der letztere ,, wenn Sie darauf antworten, es mit aller möglichen Freiheit, mit allem nur ersinnlichen Nachdrucke zu thun." Durch die Theilnahme aller Aufgeklärten und der Freunde wahrer Toleranz ermuthigt, entschloß er sich endlich, nach­dem er durch Beobachtung strengster Diät genesen, dem züricher Eiferer zu antworten.

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Zuerst macht er Lavater in feiner Weise über seine Indiskretion Vorwürfe: Sie erinnern sich der vertraulichen Unterredung, die ich mit Ihnen auf meiner Stube zu halten das Vergnügen hatte; wenn ich nicht irre, so sind Versicherungen vorhergegangen, daß von den Worten, die bei der Gelegenheit vorfallen würden, niemals öffent­licher Gebrauch gemacht werden sollte. Jedoch, ich will mich lieber irren, als Ihnen eine Uebertretung dieses Versprechens Schuld geben." ,, Die Bedenklichkeit," fährt er fort, ,, mich in eine Religions­streitigkeit einzulassen, ist von meiner Seite nie Furcht oder Blödigkeit gewesen. Ich darf sagen, daß ich meine Religion nicht erst seit gestern zu untersuchen angefangen." Jm weiteren führt er aus, daß es ihm bei der Beurtheilung eines Menschen nicht auf das religiöse Bekennt­niß, sondern einzig und allein auf den moralischen Werth ankomme. Ich habe das Glück, so manchen trefflichen Mann, der nicht meines Glaubens ist, zum Freunde zu haben. Ich genieße die Wollust ihres Umganges, der mich bessert und ergößt. Niemals hat mir mein Herz zugerufen: Schade für die schöne Seele!" Besser und schlagender konnte die jesuitische Schlauheit Lavater's nicht zurückgewiesen werden, als mit diesen unvergleichlich edlen Worten. Noch klarer tritt die Auf­fassung Mendelssohn's   in einem Briefe hervor, den er an einen Unge­nannten in dieser Angelegenheit richtete. Ein Christenthum, wie das Ihrige, mein Herr," heißt es da ,, würde unsere Erde in ein Paradies verwandeln, wenn es allgemein angenommen werden sollte. Und wer wird bei einer so wichtigen Sache sich bei einem Worte auf­halten? Soll man die reinste Sittenlehre: Christenthum nennen? Warum nicht, wenn dieser Name Nuzen bringen kann? Aber dies Christenthum ist wahrlich eine unsichtbare Kirche, die zum Theil aus Juden, Mohamedanern und Chinesen besteht, und wohin vornehmlich Griechen und Römer zu rechnen sind."... Ist das nicht eine hochherzige und geistvolle Auffassung des Christenthums? Gehet hin, und fraget alle Priester und Pasto­ren und alle eifrigen Förderer der äußeren und inneren Mission, wie viele unter ihnen es zu einer eben solchen gebracht.

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Die schonende und doch treffende Antwort fand allgemeine Billi­gung; selbst Mirabeau hat sie auszugsweise in's Französische übersetzt. Lavater aber hielt es für das klügste, sich in einem Briefe Mendels­ sohn   gegenüber zu entschuldigen, der sich nun seinerseits gern damit begnügte und dem frommen Schwärmer sogar ein öffentliches Ehren­zeugniß voller Güte und Anerkennung für Lavater's   Charakter aus­stellte. Liebte er doch so wenig das öffentliche Gezänk. Es ist unser Aller nicht anständig," hören wir ihn in einem dieser Angelegenheit wegen noch an Bonnet gerichteten Briefe vom 9. Februar 1770 fich ,, daß wir öffentlich wider einander auftreten, um dem müssigen Theile des Publikums einen Zeitvertreib, dem Einfältigen ein Mergerniß zu geben, und dem Verächter des Wahren und Guten ein boshaftes Bergnügen zu machen."

ausdrücken

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Unermeßlich sind die Verdienste, die sich Mendelssohn   um die Judenschaft erworben. Man wird dieselben erst recht zu würdigen wissen, wenn man sich vergegenwärtigt, wie damals noch die gesell­schaftliche Stellung derselben beschaffen war. In finstere, abgeschlossene Gassen waren sie zusammengedrängt, auf das tiefste verachtet und auf das härteste verfolgt. Mendelssohn   selbst hat die ganze Bitterkeit ihres Looses oft genug empfunden. Nach langem Harren und vielen Mühen hatte er endlich für sich, nicht zugleich aber auch für seine Kinder, im preußischen Königreiche das Privilegium eines Schuzjuden erworben, um welches er sich nur erst nach langem Zögern bemühte, da er vor

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seinen Glaubensgenossen nichts voraushaben mochte. Es thut mir weh" sagte er ,, daß ich um das Recht der Existenz erst bitten soll, welches das Recht eines jeden Menschen ist, der als ruhiger Bür­Jer lebt. Wenn aber der Staat überwiegende Gründe hat, Leute von meiner Nation nur in gewisser Anzahl aufzunehmen, welches Vorrecht kann ich vor meinen übrigen Mitbrüdern haben, eine Ausnahme zu erlangen?" Als die königliche Akademie der Wissenschaften ihn zu ihrem Mitglied ernannte, strich Friedrich der Große  , in dessen Staate angeblich jeder nach seiner Form selig werden sollte," seinen, des Juden, Namen von der Liste. Vor den Verfolgungen und Belästigun­gen des niederen Volkes war er ebensowenig sicher, wie die anderen Angehörigen seines Stammes, und es klingt rührend, wenn wir ihn in einem Schreiben an einen ihm befreundeten Benediktiner   auf dem Petersberge bei Erfurt  ( unterm 28. Juli 1780) klagen hören: ,, Allhier in diesem sogenannten duldsamen Lande lebe ich gleichwohl so einge­engt durch wahre Intoleranz, so von allen Seiten beschränkt, daß ich meinen Kindern zur Liebe mich den ganzen Tag in einer Seidenfabrik einsperren muß, und den Musen nicht so fleißig opfern darf, als ich es wünsche. Ich ergehe mich zuweilen des Abends mit meiner Frau und meinen Kindern. Papa! fragt die Unschuld, was ruft uns jener Bursche dort nach? warum werfen sie mit Steinen hinter uns her? was haben wir ihnen gethan?- Ja, lieber Papa! spricht ein anderes, sie verfolgen uns immer in den Straßen, und schimpfen: Juden, Juden! Ist denn dieses ein Schimpf bei den Leuten, ein Jude zu sein? und was hindert dieses andere Leute?- Ach, ich schlage die Augen unter, und seufze mit mir selber: Menschen! Menschen! wohin habt ihr es endlich kommen lassen? Weg von diesen Betrachtungen! sie machen mich ja unmuthig!"

Wie er an seiner Person bewies, daß auch ein Jude durch Bil­dung und edles Streben sich sehr wohl den anderen Bürgern des Staates ebenbürtig zu machen und Gutes zu leisten vermöge, so ging sein ganzes Bemühen dahin, seine Glaubensgenossen, was Gesittung und Intellekt anging, zu heben. Er that dies zuerst dadurch, daß er ihnen die richtige Kenntniß der deutschen Sprache beizubringen suchte, indem er gegen das abscheuliche Judendeutsch von damals eiferte und ihnen seine Uebersetzung des Pentateuch( 1780) und der Psalmen( 1873) in die Hand gab. In dieser Weise hoffte er ihnen das Deutschthum vertraut zu machen und damit zugleich dem Staate nützlich zu werden, indem er diesem die Möglichkeit gab ,,, eine Menge von Händen und Köpfen, die zu seinem Dienste geboren sind, auch zu seinem Dienste anzustrengen". In derselben Absicht verfaßte er im Auftrage der preußischen Regierung die ,, Ritualgeseze der Juden"( 1778) und gab die Schrift ,, Rettung der Juden"( 1782) heraus. Dem gleichen Stre­ben diente mittelbar das geistvolle Werk: Jerusalem  , oder über reli­giöse Macht und Judenthum  "( 1783), in welchem er insbesondere das Verhältniß zwischen Staat und Religion erörterte und jahrhundertealte Vorurtheile zu beseitigen suchte. Man hat ihn mit Recht dem Be­freier des jüdischen Volks aus der ägyptischen Sklaverei an die Seite gestellt. Es ist mehr als eine poetische Redensart," sprach sich einer seiner Glaubensgenossen bei Gelegenheit der hundertsten Wieder­fehr seines Geburtstags aus ,, sondern völlige Wahrheit, wenn man unseren Weisen einen zweiten Moses genannt und an die Sklaverei gedacht, aus der beide ihr Volk erlöst haben. Wie der Führer und Gesezlehrer des alten Israels  , so war es Moses Mendelssohn  , der das jezt lebende Israel   von den drückendsten Fesseln des Wahns und des Aberglaubens voller Umsicht und Muth zu befreien suchte."

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Außerordentlich wirkte Mendelssohn   auch auf die Bildung seiner Stammesbrüder durch seinen unmittelbaren persönlichen Einfluß. Wir haben schon gesagt, daß sein Haus oft die Stätte der Zusammenkunft wißbegieriger Männer und Jünglinge gewesen. Unter diesen bestand die Mehrzahl aus Glaubensgenossen, jüngeren und älteren Leuten aus Nähe und Ferne, mit denen er, ein echter Sokrates, der ja in jeder Beziehung ihm als Vorbild diente, über Erziehung und Menschenbil­dung weise und anregende Unterredung pflog. Insbesondere sagt einer, der daran persönlich theilgenommen seien die Verbesserung des Unterrichts und die Empfehlung der deutschen Muttersprache das Lieblingsthema seines Gesprächs gewesen. So war jenen, die zu ihm tamen, sein Haus ein heiliges Asyl, gleichsam eine Akademie der Wissen­schaften, und der Same, der hier gestreut wurde, verbreitete sich, kei­mend und fruchtbringend, in alle Länder hinaus. Im Jahre 1778 hatte er übrigens auch die jüdische Freischule, diese Musteranſtalt für viele andere Gemeinden, in Berlin   mit begründen helfen.

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Die Häuslichkeit des Philosophen ist überhaupt eine beglückte und beglückende zu nennen, wozu nicht wenig seine auf der Höhe seines Geistes stehende Frau beitrug. Es war seltsam gewesen, wie er diese Frau gewann. Mendelssohn   hatte im Bade Pyrmont   den Kaufmann Guggenheim aus Hamburg   kennen gelernt, der ihn nicht minder wie seine ganze Familie bewunderte. Vor allem aber verehrte seine Tochter den Philosophen. Nach Hamburg   zu Besuch eingeladen und im Guggenheim'schen Hause angekommen, wurde Mendelssohn   daher ganz besonders veranlaßt, die Tochter zu sprechen, welche augenblicklich bei ihm den günstigsten Eindruck hinterließ. Nicht so hingegen hatte seine Erscheinung auf das anmuthige, außergewöhnlich hoch gebildete Mäd­chen gewirkt, die vielmehr an seinem Buckel Anstoß nahm. Wie der Philosoph ihr nun das zweitemal gegenübersaß, richtete das letztere plöglich an ihn die Frage: Glauben Sie auch, daß die Ehen im Him­mel geschlossen werden?" antwortete Mendelssohn  . ,, Gewiß!"

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