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und unschlüssig den Heimweg an,— ihm ist beinahe, als sollte er, um ganz sicher zu gehen, bis zum Morgen vor dem Hause Wache halten.-- Am Abend des Tages, der dieser ereignißvollen Wasserpartie folgte, haben sich die Freunde mit Ausnahme Curts bei Reinisch versammelt und man scherzt über Tatjana, die es so wenig ver- standen hatte, ihren Aerger zu verbergen und die von einem wahren Fieber von Ungeduld ergriffen worden war, als Curts Verschwinden bemerkt wurde und der arglistige Reinisch konsta- tirte, daß auch das kleine Boot fort fei, er also nur annehmen könne, daß Curt sich aus irgendeiner Laune für eine der Sänge- rinnen interessirt und versucht habe, etwas Näheres über dieselbe in Erfahrung zu bringen. Sie hatte nur wegwerfend die Achseln gezuckt, aber sie hatte doch die Zähne tief in die Unterlippe ge- drückt, war wortkarg, mißmuthig und bitter geworden und hatte keine Ruhe mehr gehabt; man war zeitiger, als ursprünglich beabsichtigt, wieder aufgebrochen. Die Auskunst darüber, wes- halb Curt so Plötzlich und verstohlen aufgebrochen sei, verweigert der Maler, aber er befindet sich unverkennbar in froher Auf- regung und Spannung. Man will eben zu lesen beginnen, als es an die Thür klopft und— Curt in Begleitung einer Dame und eines etwa fünfjährigen bildhübschen Knaben eintritt, der sich zärtlich an ihn anschmiegt.„Meine Braut, Fräulein Leontine Lux," stellt er vor,„und hier mein Junge Johannes, von dessen Existenz ich alle die Zeit her nicht die leiseste Ahnung gehabt habe. Reinisch hat mir gebeichtet, daß er die verzeihliche In- diskrction begangen habe, euch meine Geschichte zu erzählen. Diese Geschichte erhält also jetzt einen versöhnenden Schluß- Nachtrag. Gestern Stacht, als wir im Walde lagerten und Fräulein Tatjana grade ihr bestes that, mich zu fangen, hörte ich die Verlorengegebene plötzlich singen, setzte ihr nach, holte sie ein, ermittelte ihre Wohnung und begab mich heute früh zu ihr, mit dem festen Vorsatz, ohne ihr Jawort nicht wieder von bannen zu gehen. Auf der Treppe kommt mir der kleine Wildfang da m den Wurf; er hatte einen japanischen Bogen mit leichten Rohr- Pfeilen in der Hand und wollte ihn im Hofe probiren. Der Anblick des kleinen Kerls gab mir förmlich einen Schlag aufs Herz; ich glaube, niemand, der uns nebeneinander sieht, kann auch nur einen Moment über unsere blutsverwandtschaftlichen Beziehungen zu einander in Zweifel sein. Ich fragte ihn, ob in diesem Hause ein Fräulein Lux wohne, und da sagte er in denselben Accenten, die ich so oft von seiner eigensinnigen Mama gehört, in halb lustigem, halb wichtigen Tone: ,Ach, der Herr will zu Mama?' Ich hielt ihn nun auf, plauderte mit ihm und
bestimmte ihn, mit dem Probiren seines Bogens noch eine halbe Stunde zu warten und mich zu seiner Mutter zu führen. Er stürinte dann hinein und meldete jubelnd: Mama, da ist ein Herr, der mir ein kleines, milchweißes Pferdchen mit blauem Sattel schenken will; er will dich besuchen!' Und dann kam er wieder zu mir gelaufen und ich nahm ihn bei der Hand, und so traten ivir vereint vor seine Mutter, die mit einem Aufschrei emporfuhr und halb ohnmächtig in meine Arme sank. Unter Lachen und Weinen hat sie mir dann erzählt, daß sie kurz vor der prager Katastrophe von einer Verwandten noch ein paar tausend Gulden geerbt hatte und sich nach ihrer Flucht in einem kleinen Provinzialstädtchen in der preußischen Lausitz niederließ, wo ich sie gewiß nicht gesucht hätte. Hier weilt sie seit einigen Wochen auf Besuch und wird nicht wieder in ihre freigewählte Verbannung zurückkehren, denn als sie erfuhr, daß ich, statt mich über ihren Verlust zu trösten und die kleine hübsche Comtesse zu heiraten, grade das gethan habe, was sie verhindern wollte, daß ich den Soldatenrock ausgezogen und meine Karriere aufgegeben habe, um mich ruhelos und unbefriedigt bei Indianern und Türken herumzuschlagen, und daß mich in diesen sechs Jahren keine Frau in die Versuchung gebracht hat, ihr untreu zu werden, da fiel das schöne Kartenhaus der heroischen Entsagung in nichts zw sammen, und es hätte der Frage, ob sie ein Recht habe, unser« Buben den Vater vorzuenthalten, nicht bedurft. Ihre große, schöne, edle Seele hatte es gut gemeint und unter unerhörten Schmerzen die eigne Liebe ans Kreuz geschlagen, und nun muß sie selber bekennen, daß sie damit nichts erreicht hat, als— sechs Jahre des Glücks, des in und für einander Lebens aus der Geschichte unsres Daseins auf Erden zu streichen, und mich wun- dert nur, daß ich es nicht fertig bringe, ihr deshalb ernstlich böse zu sein, und nur heilfroh bin, sie wiedergefunden zu haben." Der Maler, der mit leuchtenden Augen das schöne Paar maß, fragt, mit seiner Bewegung kämpfend: „Nicht wahr, Fräulein Lux, es ist ein gewagtes Unternehmen, tvenn eine Frau für den Geliebten Schicksal spielen will, statt ihm zu vertrauen und sich seiner Führung zu überlassen? Es kommt nichts dabei heraus, als Kummer und Herzeleid." Leontine nickt erröthend, und birgt ihr schönes, noch immer jugendliches Gesicht an der Brust Curts, der seine Hand schmeichelnd über die dunkle Haarfülle gleiten läßt. Mendt aber ruft: „Wann ich mich verloben werde, das wissen nur die ewigen Götter,— so mögen sie denn heute springen, die sechs Marko- brunner im Keller, denn bei einem bessern Anlaß können sie doch nicht getrunken werden!"
Irrfahrten. Von Ludwig Rofenberg.
(Schluß.)
„,Ja, wer hätte das gedacht/ sagte ein alter Mann an Elisabeths Seite.— ,Aber so geht es! Es kommt immer anders, wie man denkt."— Dabei blinzelte er mit dem einen Auge und betrachtete heimlich Morgenroth, der noch immer nicht mit seinem ersten Zwieback zu Ende war; dem es vor den Augen schwirrte und flimmerte und der mit jedem Augenblicke unruhiger wurde und nach der Uhr blickte.—.Der Tag ist heute sehr heiß/ sagte zur Belebung der Unterhaltung Marianne's Vater. — ,Es ist mir so, als ob wir noch ein Gewitter bekommen. Dadrüben steigt es schon langsam grau und schwarz herauf. Morgenroth sah von neuem nach der Uhr. Es Ivar 2 Uhr; um 6 Uhr fuhr der Eisenbahnzug von L.. zurück.— ,Fort, fort, fort/ so rief eine Stimme in ihm. ,Fort, du sitzst als Unglück- licher und Betrübter allein unter Glücklichen iiud Fröhlichen! Was hast du hier zu suchen?— Dir gehört nichts als das Ge- fühl deiner Verlassenheit, das Gefühl deines Opfermuthes. Hin- aus! Hinaus!— Denn Verbrechen ist es, der Geliebten zu be- gegnen, Verbrechen der Gedanke, dich an ihrem Anblicke zu weiden, ihre Ohren mit deinen Reden zu füllen, Verbrechen, sie in dein eigenes Unglück durch wehmüthige Blicke und melancho- lisch gesprochene Worte hinabzuzerren. Schauspieler, der du bist! — Heuchler du, der du mit deinem Jammer auf den Markt gehst, damit zu prahlen und dich bewundern zu lassen. Fort! Fort!'--- Ohne daß es jemand auffällig geworden wäre, verließ er das Zimmer.—— Zu seinen Ohren gellten noch
immer die lauten und fröhlichen Stimmen von Marianne's Ver- wandten, als er schon draußen vor dem Dorfe war;— vor seinem Auge stand Elisabeths Bild— ihre großen Augen suchten in sein Herz einzudringen— sein Herz zu zerstechen! ,Und wenn sie ihm nicht zugeneigt ist, wenn sie ihn selbst nicht einmal freundschaftlich liebt?'— rief er laut hinaus in die Landschaft. Er sah nicht, was um ihn herum vorging, er hörte nichts,— er lief, wie von Hunden gehetzt!—— Zuweilen blieb er stehen. — Dann sprach er aufgeregt mit sich und klagte sich als einen Verbrecher an. Das hättest du nicht thun sollen, sie öffentlich als Braut zu bezeichnen, du hättest sie gehen lassen, ihren Weg sich selbst suchen lassen! Sünder, dreimal Sünder, der du bist! — Und er lief, daß der Schweiß aus allen Poren raun.— Er schlug den nächsten Weg über Felder und Wiesen ein.— Die Landlcnte, die besorgt ob des Gewitters zum Himmel empor- schauten, sahen den Irrenden. Sie riefen ihm zu. Aber er hörte nichts. Schon schlugen ihm schwere Regentropfen ins Gesicht. Er lachte laut auf. ,So recht, der Himmel gibt zu meiner Flucht sein Konzert. Himmlisch! Köstlich!'-- Und er rann weiter, stolpernd über Erdschollen und triefend vor Nässe. Der Regen goß in Strömen hernieder.— Einen Landmann, der sich unter einen Baum geflüchtet und sich mit einem Sack vor dem Regen geschützt hatte, fragte er nach dem Wege. Er hatte sich verlaufen. Er war eine halbe Stunde Wegs zu weit nach rechts gegangen. Der Mann schaute verwundert den erhitzten, dampfenden und