Diese Thürme sind durch Schwibbogen miteinander verbunden, auf welchen der über die beiden Flußarme laufende Wehrgang ruht, von welchem aus die Armbrustschüßen in gedeckter Stellung dem Ansturm wehren konnten. Der ursprünglichen Eigenschaft als Festungsobjekte verlustig, dienten die Thürme später zu Gefängnissen. Diese ganze Partie, bei allen Malern und Alterthumsforschern wohl bekannt, heißt Am Henkersteg, weil in der Nähe des rechts im Vordergrunde sichtbaren Stegs, welcher den Trödelmarkt mit dem Unschlittplay verbindet, ehe­mals der Henker wohnte. Das Privathaus auf der linken Seite, ein malerischer Holzbau, ist interessant als Typus der alten Wohnhäuser Nürnbergs  , deren Erdgeschoß aus Sandstein, deren obere Stockwerke aber in Riegelwerk aus Holz hergestellt waren. Die beiden spißen Thürme im Hintergrunde gehören der Sebalduskirche an, deren In­neres Skulpturen von Adam Kraft  , Glasmalereien von Veit Hirsch­ vogel  , Bilder von Dürer   und Hans von Kulmbach  , Schnitzereien von Veit Stoß  , aber wohlgemerkt, auch das Sebaldusgrabmal birgt, das höchste Heiligthum deutscher   Kunst jener Zeit, ein Meisterwerk des be­rühmten Erzbildners Peter Vischer  , der es mit fünf Söhnen nach drei­zehnjähriger Arbeit 1519 vollendete.

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Dr. M. T.

Das bei Sandefjord   in Norwegen   ausgegrabene Wiking­schiff.( Bild Seite 624.) Wir haben den Lesern der N. W.   von den Bewohnern der Pfahlbauten, den ersten Schiffern des Süßwassers, und von den Phöniziern, den ersten Bezwingern der Salzfluth erzählt, und auch schon der Normänner als der ersten Entdecker Amerikas   er­wähnt, aber das bei Sandefjord   in Norwegen   im Laufe dieses Som­mers ausgegrabene Wiking- oder Kriegsschiff, welches unser Bild dar­stellt, bestimmt uns, noch einmal auf die Normänner, das erste seefah­rende Volk im Mittelalter, das aber auch schon in der Ur- und Vor­zeit mächtig in die Geschicke unseres Erdtheils eingriff, zurückzukommen. Das Leben dieser ältesten unserer Vorfahren, wie ihre Schiffe einge richtet waren, welchen Beschäftigungen sie darin oblagen, auf welche Weise sie sich ernährten, sich wehrten und wie sie im Kampfe ums Da­sein fortschreitend sich entwickelten das sind Fragen, deren Beant­wortung in alten Bergamenten vergebens gesucht würde, denn in jenen Tagen roher Thatkraft gab es keine Geschichtsschreiber, weil das Schreiben damals eine unbekannte Sache war. Zum Glück gibt uns das bei Sandefjord   aufgefundene Wikingschiff, welches die Erde über tausend Jahre in ihrem Schoße geborgen hat, Aufschluß darüber. Solche Schiffe, in denen sich die Wikinger begraben ließen, und die, mehrere Meter hoch mit Erde bedeckt, Hünengräber heißen, sind bereits früher aufgefunden worden, so im Jahr 1863 bei Nydam in Schleswig  und 1867 zu Tuno in Norwegen  . Was dem jüngsten Fund bei Sande­ fjord   in Norwegen   ein besonderes Interesse verleiht, ist, daß das Schiff nicht allein viel größer und besser erhalten ist als jene, sondern daß es auch eine Menge von ziemlich gut erhaltenen Gegenständen in sich birgt, welche Aufklärung über das Leben und die Sitten der alten Normannen zu geben vermögen. Vom Vorder- bis zum Hintersteven hat das Fahrzeug 75 Fuß Länge. Das Gerippe desselben besteht aus 20 Spanten; nimmt man an, daß bei der vordersten und hintersten Spante keine Riemen( Ruder) gewesen sind, so ergibt sich, daß das Fahrzeug wahrscheinlich durch 36 Ruder vorwärts getrieben worden ist. Berglichen mit unseren schwimmenden Hotels, die mit allen An­nehmlichkeiten des Lebens zur Ueberfahrt nach Amerika   und Australien  ausgerüstet sind, und den Tod und Verderben speienden und eisen­gepanzerten Kriegsschiffen ist unser Wikingschiff eine zerbrechliche Nuß­schale, deren Gefährlichkeit nur der Umstand erweist, daß es damals feine Strandbatterien gegeben hat, so daß ein normännischer Pirat, wie uns französische Chronisten berichten, ungehindert aus dem Kanal La Manche die Seine hinauf bis Paris   segeln konnte. Aehnliche Raub­fahrten werden vom Rhein  , der Weser   und der Elbe   gemeldet. Der Sachsenspiegel( III, 44) und die Vorrede zur Sage Hylfaginning be­stätigen die normännische Einwanderung im nordwestlichen Theil Deutsch­ lands  , die ebenfalls nach Seeräuberart bewerkstelligt wurde. Doch kehren wir zu unsrem Schiffe zurück. Daß die Wikinger   die Arbeit der Ruderer durch Segel unterstüßten, beweisen die Bruchstücke der Masten. Die Mitte des Schiffes wird von dem Block ausgefüllt, in welchem der Mast ange­bracht war. Letzterer hat nach hinten niedergelegt werden können; derselbe ist ziemlich schwer, in einer Höhe von 3 Fuß mißt er 3 Fuß im Um­kreis; das untere Stück, welches an seinem Plaze stand, hatte eine Höhe von fast 11 Fuß. Das obere Stück, welches abgehauen im Fahr­zeug lag, mißt 32 Fuß; falls fein Zwischenstück fehlt, ist die ganze Höhe des Mastes etwa über 30 Fuß gewesen, was im Verhältniß zur Länge des Schiffes( 75 Fuß) nicht viel ist; wahrscheinlich fehlt jedoch

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ein Zwischenstück. Interessant ist, daß vor dem Mastenblock die Ueber­reste einer Spille( Winde) aufgefunden worden sind, welche ohne Zweifel dazu verwendet worden ist, den schweren Mast zu heben und zu senken. Vor dem Hauptmast lag unter anderm ein fupferner Kessel von der Größe einer halben Tonne, mit zwei großen Traghenkeln; ferner stieß man auf ein großes Gefäß aus Holzstäben, wahrscheinlich ein Wasser­faß, dann auf einen zusammengenieteten eisernen Kessel von ganz aus­gezeichneter Arbeit sowie eine Menge Holzgegenstände. Von den letzteren sind besonders erwähnenswerth einige eigenthümliche Einrichtungen von Manneslänge, die vielleicht als Bettstellen dienten. Die Dalekarlier, die ältesten Bewohner der skandinavischen Halbinsel, deren braune Haare und Augen auf ihre keltische Abstammung schließen lassen, sind hoch­beanlagte Holzschniger. Unter den vielen geschnißten Holzsachen, die man auf dem Wikingschiff gefunden hat, befinden sich ein Paar breite Planken, deren Schnißereien mit mehreren Farben in der Weise bemalt sind, wie es die Darlekarlier noch heute thun. Ein geschnigtes Stück, welches vielleicht eine Ruderpinne gewesen ist, endet in einem Thier­kopf. Ferner sind zierliche Trinkkellen mit furzen geschnitten Hand­griffen zu erwähnen. Hinter dem Mast befindet sich eine 5 Ellen lange Grabkammer, wie ein Satteldach geformt, dessen Rücken sich in der Richtung der Langseite des Fahrzeugs erstreckt. In der Grabkammer find mehrere Menschenknochen, einige kleine Gegenstände aus Eisen und etwa ein halbes hundert Beschläge von zum Theil ausgezeichneter Arbeit gefunden worden. Die letteren zerfallen in zwei Klassen, die eine er­hält Stücke aus massivem vergoldeten Silber, die andere aus vergol­deter Bronze; in jeder Klasse scheinen die Beschläge wieder zwei Gar­nituren zu bilden, eine größere und eine kleinere, zu Gürtel- und Reit­zeug gehörend. Die silbernen Beschläge sind ziemlich einfach ornamen­tirt, mit eingravirten Kreisen, geometrischen Motiven und in den Ecken Portraits en face. Da sich das Material der ,, unterirdischen Geschichts­forschung" von Tag zu Tage durch neue Funde mehrt, haben die Alterthumsforscher die Kunsterzeugnisse bereits in Stilarten eingetheilt, welche sie nach ihren Fundorten benennen. Die in Sandefjord   ent­hüllten Bronzebeschläge gehören dem vom Fund in Borre bekannten prächtigen Stil an, mit eigenthümlichen Thiermotiven und Arabesken. Besonders hervorzuheben ist ein Paar der kleineren Beschlagstücke; es sind zwei Beschläge in je zwei Typen durchbrochener Arbeit. Die eine stellt eine ganze Thierfigur mit rückwärts gebeugtem Kopf dar, die andere einen Reiter auf galoppirendem Pferd; der Reiter hat seine Lanze zum Angriff ausgelegt, und die Arbeit ist so fein ausgeführt, daß sich troß der geringen Größe Sattel und Bruſtriemen des Pferdes und die Kleidung des Reiters deutlich unterscheiden lassen. Dieses Stück ist eine der besten Metallarbeiten, die man aus der Heidenzeit im Norden kennt. Das Schiff mit Inhalt ist, in zwei Theile getheilt, von seinem Hünengrab in die Hauptstadt Norwegens  , nach Christiania  , transportirt und im Garten der Universität aufgestellt worden.

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Dr. M. T.

Die Leichenkaravane. Noch unheimlicher und düsterer, als die Nacht, welche über unser Bild( Seite 625) zu lagern beginnt, ist der durch die öde Ebene sich langsam und stumm fortbewegende Zug. Die verhüllten Gesichter der Führer, das seltsame Gepäck der Lastthiere lassen uns auf den ersten Blick erkennen, daß es der Feind alles Leben­digen und doch zugleich die Vorbedingung des Lebens, der Tod ist, der hier die Bürde abgibt. In unsrer nüchternen, realistischen Zeit zuckt man wohl manchmal die Achseln über unsere unpraktischen Alt­vordern, die vor tausenden von Jahren alles anwandten, um die Leichen der geliebten Angehörigen zu konserviren, und kolossale Bauwerke auf­führten, in denen die körperlichen Reste von besonders geehrten Personen den kommenden Geschlechtern aufbewahrt wurden. Es ist eben jene unsere Vorfahren auszeichnende und durchaus erklärliche und entschuld­bare Naivetät, welche der Pietät diese Opfer brachte, ein Spiel der menschlichen Phantasie, mithervorgegangen aus der Rathlosigkeit, in der sich der Mensch befand gegenüber den ihm unerklärlichen Natur­gesezen. Ist es nicht heute noch so? Und wird es nicht immer so sein? Glaubenswahn ist es übrigens, der unsre Karavane durch die verlassenen Gefilde früherer Herrlichkeit treibt, nach jenem südlich von dem alten Babylon und Niniveh   liegenden Grab des Kalifen Ali ben- Abi- Taleb, des Schwiegersohns Muhameds   und Begründers der Sekte der Schiiten. Zur Lebenszeit wallfahrtend nach dem Grabe ihres Propheten, machen sie jetzt die letzte Reise, um an dem Ort, wo die Gebeine des Stifters ihrer Religion ruhen, den ewigen Schlaf zu schlafen. Man erzählt, daß jährlich ganze Schiffsladungen von Leichen über das Kaspische Meer gebracht würden, unterwegs und am Ort ihrer Bestimmung, unter­stützt durch die sumpfigen Niederungen, die Best verbreitend.

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nrt.

Inhalt. Idealisten, von Rudolf Lavant  ( Schluß). Irrfahrten, von L. Rosenberg( Schluß). Eine Nacht in der Bayerhütte auf dem Ortler  , von Dr. J. E. W. Dem Schicksal abgerungen, Novelle von Rudolph von B......( Schluß). Von der Gewerbe­ausstellung in Düsseldorf  , von Ingenieur W. H. Fabian( Schluß). Gottfried Wilhelm   v. Leibniz  ( Schluß). Johann Joachim Winkelmann ( Schluß). Am Henkersteg zu Nürnberg  ( Schluß). Das bei Sandefjord   in Norwegen   ausgegrabene Witingschiff( mit Illustration).- Die Zeichentaravane( mit Illustration).

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Verantwortlicher Redakteur: Bruno Geiser   in Leipzig  ( Südstraße 5). Expedition: Färberstraße 12. II. in Leipzig  . Druck und Verlag von W. Fink in Leipzig  .

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