Pianosaiten heraustrommelte, weiß ich wahrhaftig nicht mehr; ich dachte und fühlte eben zu orkanhaft rasch und gewaltig, als daß der bedächtige Kleinkrämer Verstand, der die Leidenschaften dütchenweise verkauft, mit seinem Buchhalter und Hausknecht Gedächtniß hätte nachfolgen können.

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Aber wer weiß es nicht?- die gestrengen Herren regie­ren nicht lange und des Wolkenbruchs Gewalt ist bald gebrochen. Auf einmal fand ich mich wieder mitten in einer jener wunderbar zum Herzen sprechenden Klaviersonaten Vater Haydns und ließ mich von der sanften Hand des ehrwürdigen Altmeisters im Reiche der Töne aus dem übermüthigen Jubel, der da in den ersten Akkorden des herrlichen Meisterwerks zum Himmel jauchzt, hinübergeleiten in das stille glückliche Behagen der Schluß­passagen.

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Ein tiefblauer Himmel lachte auf mich hernieder, die Sonne lugte von Südost her wärmend, nicht sengend, wie es sonst im Juli ihre Art ist, in das Zimmer meine Hände glitten von den Tasten hinab-- wer mich in diesem Augenblicke ge­sehen hätte, würde gemeint haben, ich sei recht recht glücklich; und, das Pianino weiß es und die Sonne, der Mond und die Sterne wissen es auch: ich war glücklich. -

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Das Glücklichsein war übrigens, wenn ich offen sein soll, bei mir feineswegs ein Ausnahmezustand ich war im Grunde immer glücklich gewesen; ich hatte es blos nicht gemerkt. Jezt aber, nachdem ich während eines kleinen halben Stündchens wahre Schäße von Gefühlen in den Tönen der Musik zum Fenster hinausgeworfen hatte, jetzt, da ich urplötzlich nachzudenken begann, so recht tief und gründlich, wie ich es sehr wohl konnte und an andern Gegenständen, als mir selber, oft genug geübt hatte, jetzt fiel mirs erst in seinem vollen Umfange und Gewichte ins Bewußtsein, was ich für ein Glückspilz war.

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Ich sprang empor und trat vor den Spiegel. Genau so wie sonst sah ich aus gar nicht übel, das durfte ich mir schon gestehen, ohne bei mir selbst in den Verdacht eines ein­gebildeten Einfaltspinsels zu kommen. Das Schicksal hatte mich in keiner Beziehung zu kurz kommen lassen.

Meinem Vater war es meines Wissens ebenso gegangen. Er hatte in seiner Jugend lange geschwankt, ob er Gelehrter oder Bankier werden sollte. Weil er sich zu einem von beiden nicht entschließen konnte, war er beides geworden. Er hatte das sich eines jahrhundertelangen Bestehens erfreuende Bankhaus meines Großvaters übernommen, nachdem er die juristischen Staats­examina absolvirt, und widmete sich ganz gelehrten Liebhabereien. Das Geschäft ging sozusagen von selbst. Goldgetreue Buchhalter, Kassirer und Prokuristen arbeiteten sich frumm, lahm und blind für den wohlbegründeten Ruf des Bankhauses Gottfried Eckarts Erben. Mein Vater sammelte Raupen, Steine, alte Bücher und Hand­schriften, stöberte mit besonderer Leidenschaft in staubzerfressenen Chroniken herum und machte Reisen durch ganz Europa , von Christiana bis Messina , von Moskau bis Lissabon , aber nur, um sich überall in modrige Büchereien und archivalische Motten­massenquartiere zu vergraben.

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Seine näheren Bekannten Freunde besaß er nicht und brauchte er nicht hatten ihn im Verdacht, er sammle Material für ein bis zehn große, weltbewegende Werke. Er selbst theilte diesen Verdacht, und wirklich, als er starb ich war noch nicht zwei Jahr alt, als ihn der Tod in seinem fünfzigsten Lebens­jahre hinwegraffte-hinterließ er ein wahres Himalayagebirge von Aufzeichnungen aller Art." Er mußte kolossal fleißig ge­wesen sein, ungeheuer viel studirt und gedacht haben, aber unter all' dem Niedergeschriebenen war nicht eine Zeile, die ein anderer als er selbst hätte verwerthen können alles zusammenhanglos und kunterbunt untereinander, Hinweise auf Bücher, die kein Mensch kannte, Citate in Sprachen, die niemand verstand.

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Meine Mutter war eine sehr praktische Frau; sie war dereinst eine berühmte Opernsängerin gewesen und pflegte von sich selbst zu rühmen, sie habe Verstand genug besessen, sich in dem Mo­mente von der Bühne zurückzuziehen, als sie auf der Höhe ihres Ruhmes angelangt war und kein Weg höher hinaufführte, dafür so mancher schier unmerklich abfallende Pfad hinab in den Ab­grund allmälichen Vergessenwerdens. Sie hatte also eines Tags meinen Vater geheiratet, nachdem sie ihm aus purer Neugierde ein paarmal in die Bibliothek des Hoftheaters nachgeklettert war, um zu sehen, was ein sonst recht gescheit aussehender Mann in moderschwangeren Dachkammern zu suchen habe. Mein Vater hatte sich um so lieber heiraten lassen, als ihm solch eine Prima­Sonna wie ein Buch mit sieben Siegeln erschien, das bis auf

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den Grund studiren zu können schon eine Messe werth sein mußte. Er hatte sich auch nicht verrechnet, denn er lebte nach oft wieder­holtem eigenen Geständniß sehr glücklich mit meiner Mutter ,,, zu glücklich," sagte einmal in meiner Gegenwart mit mysteriösem Lächeln unser Hausarzt, der Hofrath Wenzel. Zweifellos stand fest, daß er die Mutter zärtlich zu lieben anfing, nachdem er sie geheiratet hatte, und daß er sie zärtlich geliebt hat bis an sein seliges Ende. Sie ließ ihm allen Willen, alle Raupen, alle Steine, alle alten Pergamente, Papiere und Bücher; sie war so­gar so rücksichtsvoll, sich den größten Theil des Tages und Jahres außerhalb des Hauses aufzuhalten auf Promenaden und Visiten, in Konzerten und im Theater, auf Reisen und in Bädern, und er konnte zuhause bleiben, ganz ungestört, ganz un­beobachtet. Dafür aber, wenn die Mutter zuhaus war, durfte der Vater auch nicht von ihrer Seite weichen, sie konnte dann nicht eine Minute ohne ihn sein, so lieb hatte sie ihn. Der Hofrath hatte jedenfalls recht, dies Glück war zu groß für meinen Vater, darum starb er im dritten Jahre seines Ehelebens. Meine praktische Mutter nun um auf die gelehrte Hinter­lassenschaft meines Vaters zurückzukommen schenkte den Notizen­himalaya dem Hausknecht, damit dieser ihn nach dem Centner verkaufen könne, und der that es gewissenhaft. So kam die Frucht viertelhundertjähriger Gelehrtenarbeit unters Publikum und der Käsekrämer hatte seine Freude daran.

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Ich war nun als einziger Sohn ein zweiter kam nach, aber ging ebenso rasch wieder hinweg von dieser schönen Erde glänzend erzogen worden. Von frühauf hatte ich Lehrer für französisch und englisch , spanisch und italienisch, sodaß ich bereits mit sieben Jahren mit meiner Mutter, die in all' diesen vier Sprachen vor Zeiten gesungen, konversiren konnte. Im Klavierspiel, Gesang und Deklamation unterrichtete mich die Mutter selbst von der Zeit an, wo ich sprechen konnte und Hände und Mund dem von fremdem Wunsche geleiteten Willen folgten. Im Schreiben und Rechnen unterwies mich einer unserer Buch­halter und mit Weltgeschichte, Geographie und Naturlehre nährte meinen findlichen Geist eine schweizer Bonne, die im Gouver nanteneramen hartnäckig durchgefallen war, weil sie ihrer Ver­sicherung nach für die Examinatoren viel zu flug gewesen war.

So war ich denn bereits ein anerkanntes Wunderkind, als ich aufs Gymnasium kam. Hier bildete sich ein unbändiger Ehrgeiz aus, zu dem längst mit emsigster Bemühung die Keime gelegt waren. Ich war der allerbeste und wollte es bleiben. Häus­liche Unterstützung fehlte natürlich nicht. So blieb ich denn der primus omnium von der Sexta bis zur Prima; mit 18 Jahren machte ich mein Abiturienteneramen mit Nummer 1 und der gewiß außergewöhnlichen Bemerkung: Seine Kenntnisse reichen in allen Fächern weit über die Aufgabe des Gymnasiums hinaus.

Wäre ich nun ein gewöhnlicher Mensch gewesen, so wäre ich als Fuchs in das patenteste heidelberger Korps eingesprungen und hätte auch die goldenen Füchse springen lassen, mit denen mir meine splendide Mutter unermüdlich die Taschen zu füllen bereit war.

Aber das Korpsleben kam mir kindisch vor, meiner, des ge­bornen Gelehrten, gänzlich unwürdig. Zudem war mein Lebens­plan bereits fix und fertig. Ich eröffnete also meiner Mutter, daß ich mich zunächst für ein halbes Jahr auf Reisen begeben würde, um einmal Weltluft einzusaugen und zu Michaeli meine Studien zu beginnen. Meine Mutter hatte nichts dagegen und stellte nur die Bedingung, daß ich sie im Juni in Wiesbaden und im Sep­tember in Cannes , am Mittelmeer aufsuche, damit sie mich der Gesellschaft dieser Kurorte der noblen Welt als Sohn und Wunder­jüngling präsentiren könne. Ich versprachs und hielt mein Ver­sprechen. Während des ganzen Sommers trieb ich mich anfangs freuz und quer in der Welt herum. Heut war ich in Wien , morgen in Salzburg , um vier Tage darauf über Rügen nach Kopenhagen und Stockholm zu gehen. In dieser planlosen Hez­jagd lag System. Genial, wie ich nun einmal war, wollte ich erstens im Fluge Europa kennen lernen wie meine Westentasche, und dann mir den ersten Eindruck, der bei vielen Menschen, be­sonders aber bei genialen, sich als der allein richtige bewähren soll, durch Bekanntschaft mit der Kehrseite der Medaille nicht trüben lassen. Wo mich der erste Eindruck am mächtigsten er­greifen und wo die wenigste Gefahr sein würde, ihn durch un­wesentliche Kleinigkeiten hinterdrein zerstören zu lassen, wollte ich von meinen abenteuerlichen Reisen im Zickzack ausruhen.

Bald fand ich dazu die schönste Gelegenheit. Auf einem Alpengipfel in der Schweiz war es, wo mich die Großartigkeit