- 9
und berauschende Schönheit der Natur bei einem Sonnenuntergange, so herrlich, wie ihn selbst mein Führer noch nicht gesehen zu haben behauptete, völlig überwältigte.
Hier laß uns Hütten bauen," rief ich dem biederen Sohne der majestätischen Alpenwelt zu, indem ich ihn, total aus meiner junggelehrten Ueberlegenheit herausgeworfen, in die Arme schloß. Der Brave glaubte, mir sei unwohl, nöthigte mir einen Schluck aus der Cognacflasche auf und brachte mich nach der nächsten Sennhütte. Nachdem ich mich davon überzeugt hatte, daß es eine pure Unmöglichkeit sei, in irgend einer Gletscherspalte den Sommer über ein beschauliches Dasein zu führen, miethete ich mich bei der Sennerin ein, die mir für schweres Geld eine Art Stall abtrat, in welchem ich mich häuslich einrichtete.
Nun lebte ich allein der Natur und mir. Die Sennerin hätte mich daran nicht gehindert, wenn sie auch zwanzig Jahre jünger und so sauber gewesen wäre, wie Venus Anadyomene, als sie jungfräulich aus schäumendem Meer ans Licht stieg. Auch fremde Besucher thaten es nicht, denn die gab es so gut wie garnicht. Aber Nebel, Regen und eisigkalte Windschauer thaten es oft genug. Indeß, da mir mein Führer im Verein mit der Sennerin erklärt hatte, hier oben hielte so ein verwöhnter Städter es nicht acht Tage aus, während ich mich zu zweimonatlangem Aufenthalt einquartirte, und da ich nicht blos Genie, sondern auch Charakter haben wollte, so harrte ich aus, wie ein Held, aß Brot und Käse, trank Milch dazu und suchte Trost und Rettung aus der Pein der Langeweile und Vereinsamung bei meinen geliebten Büchern, deren ich mir einen großen Koffer voll hatte nachkommen lassen. Ich las wieder und wieder Homer und Horaz , Virgil und Ovid , und vertiefte mich in die unabsehbaren Abgründe und bodenlosen Gedankenmeere der griechischen Philosophie.
Ich kam mir vor, wie Jesus in der Wüste. Und da ich jedenfalls, ähnlich wie er, nur in modernem Sinne mit moderner Aufgabe, durch meine hohe Begabung bestimmt war, auch so etwas zu werden wie ein Heiland für die Menschen, oder wenigstens, bescheiden geurtheilt, für mein Volt, so war gegen eine schwere Prüfungszeit nicht das geringste einzuwenden.
Als sie vorüber war, kam ich mir wirklich vor wie ein Heiliger. Meine Mutter meinte sogar, ich entwickle auf den staubigen Straßen des schönen Cannes soviel Würde, wie ein junger Gott. In der That waren mir die Vergnügungen wie die Menschen in dem Klimatischen Kurorte am Mittelmeere viel zu wenig philosophisch, als daß sie mir hätten Geschmack abgewinnen können.
Ich eilte daher, sobald ich konnte, nach der Universitätstadt X. und ließ mich bei der philosophischen Fakultät immatrikuliren.
In den ersten beiden Semestern hörte ich nur die Philosophie des klassischen Alterthums. Dann sah ich ein, daß auch die moderne Philosophie nicht zu verachten sei und ging zu Bacon und Cartefius, Spinoza , Kant und Hegel über. Im vierten Semester merkte ich, daß die Weisheit und die Welt mit der Philosophie allein nicht erschöpft sei, daß man die Natur nicht nur gelegentlich aus der Vogelperspektive einer Sennhütte ein Schock Tage lang betrachten, sondern daß man sie auch in allen ihren Reichen studiren müsse, hübsch akademisch studiren, in Hörsälen und durch die Brille berühmter Professoren hindurch, wenn man erfahren will, was die Welt im innersten zusammenhält.
Daher warf ich mich im fünften und sechsten Semester auf die Naturwissenschaften, mit all der Arbeitsenergie, welche mein Gesicht bereits längst um die für einen Gelehrten ohnehin unpassende alpenbraune Hautfärbung und meinen Körper um den größten Theil seiner Fleischbekleidung gebracht hatte.
Diese Energie war auch der Grund, daß ich am zweiten Juli 1876 mir nur das Prädikat„ garnicht übel" beilegen konnte, als ich seit langer Zeit zum erstenmale mein Aeußeres einer scharfen Besichtigung im Spiegel unterzog. Ich war unzweifelhaft nicht blos beträchtlich weniger mustulos als Herkules und beträchtlich weniger beleibt, als man den Bacchus meines geliebten Hellenen volkes darzustellen beliebt, sondern ich war sogar nicht um ein geringes magerer, als der Apoll vom Belvedere, und konnte nur in der Gesichtsfarbe mit solch einer Marmorstatue einigermaßen konkurriren, was mich wenig tröstete, da sie mich versichert hatte, nur alte Jungfern, angehende Blaustrümpfe und allenfalls noch purpurwangige Mezgersgattinnen, welche die Kontraste lieben, hätten heutzutage noch eine naturividrige Schwäche für die ehemals so interessante Blässe.
-
-
Sie! Da wäre ich denn glücklich auf meiner Gedankenreise um den Aequator meiner Lebenskugel da wieder angelangt, von wo ich ausgegangen oder vielmehr ausgeschwärmt bin.
-
Ich liebte eine Liebe, wie ich sie bis vor sehr kurzer Zeit für eine jämmerliche Thorheit und für eines Mannes, insbesondere eines Mannes, der infolge glorreich bestandener Doktorpromotion in die geschlossenen Reihen zünftiger Wissenschaftspächter eingetreten war, gänzlich unwürdig gehalten hatte.
Und das Schlimmste dabei war, daß ich selbst mit dem Aufwand all' meines Scharfsinns nicht dahinter zu kommen vermochte, welchen absonderlichen Umständen ich diese Liebe zu verdanken hatte.
Der Gelehrte in mir hatte anfänglich nicht üble Lust gezeigt, sie für eine Art von Geisteskrankheit zu halten. Aber um mich frank erklären zu können, war mein Allgemeinbefinden ein zu gutes, es war ein durchaus normales. Meine Arbeitsfähigkeit und Schaffensfreudigkeit war nicht vermindert, sondern eher erhöht, mein ganzes Wesen und Sein durchleuchtete und durchwehte ein Frohmuth, wie ich ihn weder in der folianten- und handschriftengesegnetsten Bibliothek, noch auf den Alpen in der Sennhütte, oder auch vor dem wunderbar großartigen Naturschauspiel des Sonnenunterganges hinter glitzernden Firnen je nur in leisen Spuren empfunden.
Und wenn es noch ein außergewöhnliches Wesen, ein Götteroder Idealweib gewesen wäre, welches mich in Ketten und Banden geschlagen!
Mich hatte die Liebe gepackt plötzlich und mit unwiderstehlicher, unbegreiflicher Gewalt, und dennoch war ich nicht einmal blind für die Fehler meiner Gelieben geworden.
Mein Mädchen war hübsch, recht hübsch, aber sie war nicht schön in des Wortes klassischer Bedeutung, geschweige denn eine Schönheit ersten Ranges. Reizend war sie, besonders für mich, aber weshalb besonders für mich?
Mein Mädchen war klug und gut, aber sie war weder blendend geistvoll, noch imponirend kenntnißreich, und daß sie an Seelengüte weit über die große Menge der besten ihres Geschlechts hinausrage, das anzunehmen hatte ich nicht den mindesten Grund.
-
Sie war auch nicht reich im Gegentheil. Sie war desgleichen nicht von edler Geburt, einer Beamtenfamilie entsprossen, deren Geschichte sich schon mit dem Urgroßvater Thorschreiber in das undurchdringliche Dunkel der Proletariereristenzen des vorigen Jahrhunderts verlor und die in dem Vater, dem unlängst zu früh dahingegangenen Postsekretär Ernst Ranke , ihre höchste Stufe gesellschaftlicher Geltung und materiellen Erfolges erklommen haben mochte.
-
Sie neben mir neben des Glückes verschwenderisch ausgestattetem, verhätschelten Sohn!
Und doch wenn ich neben ihr stand, fühlte ich nicht, als wäre ich der Arme, der Unbedeutende, der Bettler um einen lieben Blick, der Hungrige nach einem süßen Wörtchen von den rothen Lippen des Mädchens, der überschwenglich Gesegnete, wenn die Lippen nicht nur sprachen, nicht nur so traut flüsterten und lispelten, sondern wenn sie einmal gar geruhten, sich berühren, sich füssen zu lassen?
Es war ein Räthsel, in dessen Wirrnisse ich mich unlöslich verstrickt hatte unlöslich
-
-
Aber losreißen mußte ich mich wenigstens von dieser Träumerei von diesem Versteigen und Versinken in tumultuarischen Gefühlen und durcheinander wirbelnden Gedanken.
-
Ich hatte ja auch sehr Nüchternes zu thun, Nüchternes und doch so Angenehmes.
-
Eine neue Wohnung mußte ich mir miethen. Eine neue Wohnung in der Nähe ihrer Wohnung, daß ich sie öfter sehen, bequemer sprechen könnte fortan.
-
Als ich so wieder geistig glücklich auf den Boden prosaischer Wirklichkeit gelangt war, sprang ich auf von dem Lehnstuhl, welcher als Hauptzierde meines im übrigen spartanisch einfach ausgestatteten Arbeitszimmers prangte, und machte mich hastig zum Ausgehen bereit.
Ich hatte zwanzig Minuten zu laufen, ehe ich in die ersehnte Gegend tam. Die rasche, anhaltende Bewegung that mir wohl; ich fühlte mich viel ruhiger als zuvor, ich kam mir wieder etwas verständiger und verständlicher vor.
3wei elegante Zimmer zu vermiethen, parterre links," las ich an dem großen Portale eines stattlichen Hauses.
Ich durchschritt eine hochgewölbte, mit pompejanischer Wanddekoration reich geschmückte Hausflur und bemerkte linker Hand eine eichengestrichene Flügelthür, an der sich ein großes, glänzendes Metallschild präsentirte mit der Inschrift: Chlodwig Cannabäus, Magnetiseur.