erfahren. Mein Berus führte mich auf einige Jahre nach H...... der „Stadt der Schulen", wie die Eingebornen mit Stolz sagen— von Fremden nicht ganz mit Unrecht„Stadt der Bleichsucht" genannt. Schon nach dreimonatlichem Besuch der dortigen Schule bekam meine Tochter die heftigsten Kopfschmerzen, die nur während längerer Ferien wiche». Nach einem Jahr gesellte sich hierzu Schwäche und Blutarmuth. Damals noch unbefangen genug, zu glauben, daß Eisen- und Stahl- tropfen zur Erzeugung normalen Blutes beitragen können, hatte ich nichts gegen den Gebrauch dieser Medikamente einzuwenden. Gar bald jedoch sollte ich mich überzeugen, daß diese Kunstprodukte schadeten, indem sie nachtheilig auf Appetit und Stuhl wirkten. Ich versuchte daher ein rationelles Mittel: mich auf die während der Ferien sich stets einstellende Besserung stützend, suchte ich durch Verminderung der geistigen Thätigkeit zu wirken, indem ich die Kleine von einigen, mir nicht nöthig scheinenden Schulstunden dispensiren ließ, und siehe: jdie Uebelstände verringerten sich allmälich, und sind jetzt, nach gänzlichem Aushören des Schulbesuches völlig geschwunden. Die früher bleiche, kranke Gestalt ist nunmehr gesund und blühend, und zwar ohne Eisen- und Stahlgebrauch, durch geistige Ruhe und rationelle Nahrung. Durch zu frühzeitige Ueberladung der kleinen Köpfe werden die Kopfnerven viel zu sehr angestrengt. Es ist daher auch kein Wunder, wenn, wie ärztlich konstatirt, 50—60 pCt. der Kleinen an nervösem Kopsschmerz und Kurzsichtigkeit leiden. Mit solchen Krankheitserscheinungen ist es jedoch noch lange nicht abgethan. Häufig entstehen dann durch das viele, meistens zusammengekrümmte Sitzen im stark gefüllten Schul- räum und infolge ungenügender Ventilation und Körperbewegung: Blutarmuth, Abniagerung, Lungenkrankheiten w., die, wenn nicht recht- zeitig und rationell eingeschritten wird, allmälich einen ernsten Charakter annehmen, ein langes Siechthum, wenn nicht noch Schlimmeres herbei- führen können. Fürwahr, man kann, so lange die Schule nur für die geistige Nahrung der Schüler, und zwar, wie erwiesen, in allzu- reichlicher Weise Sorge trägt, den Eltern in Bezug aus das leibliche Wohl der Kleinen nicht genug Vorsicht empfehlen. Was nützt alle Ge- lehrsamkeit, wenn sie ein siecher Körper birgt? Nur richtiges Maß- halten in geistiger und körperlicher Richtung kann das allgemeine Wohl- befinden fördern.„Jedes Zuviel stört die Harmonie", sagte Pytha- goras schon von L'/s tausend Jahren. Die Alten, namentlich Griechen und Römer, sahen in erster Linie auf die Ausbildung des Körpers, von der sehr richtigen Anficht ausgehend: daß nur ein gesunder Körper einen gesunden Geist beherbergen könne. Und doch vernachlässigten sie bei solcher Erziehungsweise keineswegs den Geist. Wir finden, wie be- kannt, im 6. und 5. Jahrhundert vor Christo geistige Größen, welche denen des 19. Jahrhunderts nach Christo in nichts nachstehen. Jene hatten aber den Vortheil, daß sie infolge einer vernunftgemäßeren Er- ziehung meistens ein Hohes, durch keine Krankheit gestörtes Alter er- reichten, welches Glück der Heuligen Generation verhältnißmäßig nur selten zu theil wird. Warum nehmen wir uns die Alten nach dieser Richtung nicht zum Vorbild? Warum fassen wir, gleich ihnen, die körperliche Ausbildung nicht mehr ins Auge, anstatt den Kopf mit zu Vielem zu beschweren? Warum wird in unseren so gut geleiteten Schulen— außer Turnen— gar nichts für die Gesundheits- pslege gethan?„Einer Krankheit vorbeugen, ist leichter, als sie heilen". Und wie vielen Krankheiten könnte vorgebeugt werden-, wenn man die Jugend bereits in der Schule mit den Entstehungsursachcn bekannt machte. Aber:„Jugend hat nicht Tugend"; und„dem Ge- sunden ist schwer Moral predigen", höre ich viele sagen. Gleichviel! Man mache uur einmal den Versuch, widme dem Geist etwas weniger, dem Körper etwas mehr Aufmerksamkeit und der Erfolg wird sowohl bezüglich des körperlichen als auch des geistigen Wohlbefindens ein überraschender sein. Es ist ganz unbegreiflich, daß die so vielfach zu vernehmende Mahnung: der Gesundheitspflege ein kleines Plätzchen in dem Stundenplan der Schulen einzuräumen, so gänzlich ungehört ver- hallt. Freilich würde, wenn solch' berechtigten Mahnungen Folge ge- leistet werden sollte, der gesainmte Lehr- und Stundenplan eine voll- ständige Umgestaltung erfahren müssen. Wie sich der Schreiber dieser Zeilen eine solche Umgestaltung denkt, darüber ein nächstes mal. Carl Griebel.
Chongil, das chintsische Schach. Nicht immer waren die Chi- ncse» ein so geistig träges Volk, wie heutzutage; es gab eine Zeit, die freilich durch Jahrtausende von der unsrigen getrennt ist, in der sie viele Erfindungen machten, zu denen wir Europäer erst weit später gelaugten, wie den Buchdruck, das Pulver u. s. w., und so darf es uns auch nicht wundern, daß von ihnen das geistreichste aller Spiele, das Schachspiel, stammt. Was wir bis jetzt darüber wußten, be- schränkte sich, wie überhaupt unsere Kenntniß vou China , auf sehr Geringes. Erst seitdem Japan sich uns geöffnet hat, haben wir durch diesen Rivalen China's genauere Kunde über das himmlische Reich und so auch über das Schachspiel erbalten.— Das Chongil, wie es in Japan und China heißt, gelangte bald nach seiner Erfindung zu jenem Jnselrcich, und that so den ersten Schritt seiner Wanderung, welche es später durch die ganze Welt hin antreten sollte. Allerdings hat es nur noch Aehnlichkeit mit unserm Schachspiel, aber die Reihe der Jahre, die seit seiner Erfindung verflossen, die Menge der Völker, welche es vor uns erhielten, erklären dies leicht.— Zuvörderst wird dasselbe aus einem quadratischen Brett von 81 Feldern, statt wie bei uns von
64 Feldern, gespielt. Zu bemerken ist dabei, daß diese von einerlei Farbe, nicht, wie bei uns, zweifarbig sind: das bekanntlich sehr scharfe Auge der Chinesen bedarf dieses Erleichterungsmittels zum Ausfinden der Bahnen nicht. Ferner bedienen sie sich nicht geschnitzter Figuren, sondern glatter, eckiger Holzstückchen, die vorn zugespitzt und mit dem Namen des betreffenden Steines beschrieben sind. Auch diese haben einerlei Farbe, und die Parteien unterscheiden sich nur durch die Rich- tung der Spitze des Steines: diese ist stets dem Gegner zugekehrt. Die Figuren selbst sind ihrer Größe nach unterschieden.— Jeder der beiden Spieler hat 20 Steine, deren Namen wir hier folgen lassen: 1 Königsgouverneur �—, soviel wie unser König im Schach- spiel, geht auch, wie dieser, einen Schritt nach jeder Richtung; 2 Goldoffiziere, deren Gangart sich am besten durch beigefügtes Zeichen beschreiben läßt, es bedeutet einen Schritt nach jeder der durch Striche angedeuteten Richtungen; 2 Silberoffiziere X; 2 Pferde, die wie bei uns springen, aber nur vorwärts gradeaus nach rechts und links; 2 Speere"j", gehen über das ganze Brett gradeaus; 1 Eckengehcr X» geht wie unser Läufer; 1 fliegender Wagen oder, wie ihn mein japanischer Gewährsmann freier übersetzen wollte, ein Dampswagcn-s-, geht ganz wie unser Thurm. Und außerdem 9 Soldaten|, welche die Stelle unserer Bauern vertrete», gehen einen Schritt vorwärts, gradeaus, und schlagen ebenso. Die Aufstellung dieser Steine erfolgt in drei Reihen und ist folgender- maßen:
X 4- TYX���XYT In der letzten Reihe sind von links nach rechts: Speer, Pferd, Silber- osfizier, Goldoffizier, Königsgouverneur, Goldosfizier, Silberofsizicr, Pferd, Speer. In der vorletzten Reihe stehen vor den beiden Pferden: Ecken- geher und fliegender Wagen; Eckengeher stets links. In der drittletzten Reihe neun Soldaten. Soweit wäre das Chongil noch ziemlich übereinstimmend mit unserm Schachspiel. Jetzt kommen wir aber zu einigen Eigenthümlich- leiten desselben, die unser Schach schon vor langer Zeit verloren haben muß, denn es finden sich nur sehr schwache Spuren von ihnen vor. Jeder Stein nämlich erhält, wenn er bis in die feindlichen Reihen vorgedrungen ist, den Grad eines Goldoffiziers, wovon der König natürlich ausgenommen ist; Eckengehcr und fliegender Wagen behalten außerdem ihre weite Bahn bei. Diese Umwandlung wird durch Um- drehen des Steines bezeichnet, auf dessen Rückseite der Name resp. das Zeichen eines Goldosfiziers steht. Bei unserm Schach wird nur der Bauer, wenn er bis in die letzte feindliche Reihe vorgedrungen ist, zu demjenigen Offizier, dessen Stelle er aus dem Brett einnimmt. Ganz geschwunden ist aber bei uns die Einrichtung, daß jede feindliche ge- nommene Figur als eigne überallhin eingesetzt werden kann, die Sol- baten jedoch nur dann, wenn in der betreffenden Reihe kein anderer von der eigenen Partei steht. Außerdem kann der Spieler sich frei- willig zu Ansang einiger Steine entäußern"), betrifft dies aber eine Figur, die in ihrer Art zweifach vorhanden ist, so müssen beide Steine weggelassen werden. Wer dies thut, hat das Recht, anzufangen.. Dem König wird nach denselben Gesetzen, die heut noch üblich sind, Schach angesagt, und das Spiel ist beendet, wenn er schachmatt ist.— Es ist von Interesse, sich ein solches Schach zu verfertigen, und fällt das Spielen desselben sehr leicht, wenn man die Steine mit den von uns angewandten Zeichen versieht.— Das Chongil erhält durch das Ein- setzen der genommenen Figuren eine weit größere Lebhaftigkeit, als unser Schachspiel, und erfordert auch größere Geistesgegenwart, da der Plan des Spielers sich durch die plötzlich neu austretenden Gegner oft und schnell ändert. Man muß nicht nur, wie beim Schachspiel, gegen einen offen dastehenden Feind kämpfen, sondern auch gegen einen unsicht- baren, den der Gegner noch in der Hand hält und bei jeder sich zeigenden Blöße aus uns einbrechen lassen kann. Mitten im eigenen Lager steht plötzlich der Feind; der König ist verloren, wenn nicht Angriff und Vertheidigung gleich stark betrieben wurden.— In China und Japan Ot das Chongil sehr beliebt und wird in beiden Ländern von Alt und Jung eifrig gespielt, auch sollen Vereine, in denen das Spiel gepflegt wird, vorhanden sein.— Von wem es aber erfunden ist, konnten wir nicht erfahren, jedenfalls war es ein geistreicher Kopf, wie man ihn heut wohl schwerlich in China finden wird, der Sohn eines Volkes, auf das damals, wie heut wohl nur auf die Japanesen, das bismarcksche Wort paßt:„Cez sont petites gens, mais grands hommes." E. W.
*) Wohl ein Figuren- Vorgeben, wie bei nnsrem Schach, eine Konzcsston stär?''rer Spleler an schwächere zum Zwecke des Ausgleichs der beiderseitigen Spielstärke. Red.