unterjochten Völkern besondere Beherrscher in der Person seiner Söhne, die aber in drückender Abhängigkeit von ihrem Vater standen; der älteste, Pipin, der sich dieser politischen Bevormundung widersetzte, wanderte nach der beliebten Methode ins Kloster, hinter dessen Mauern er, wie alle seine Vorgänger, spurlos verschwand. Im selben Jahre ( 780) büßten 4500 aufrührerische Sachsen ihren Freiheitstraum mit dem Leben. Auf der Höhe seiner Macht fehlte dem ländergierigen Nimmersatt Karl nur noch die Befriedigung des sehnlichsten Wunsches seines Großvaters Karl Martell , die Wiederherstellung des abendländi schen Kaiserthums. Doch auch dabei blieb er nicht stehen. Um das Abendland und das Morgenland unter seinen Hut zu bringen, war er gar nicht abgeneigt, die ihm angetragene Hand der alten Irene, die als Kaiserin von Griechenland in Byzanz( Konstantinopel ) residirte, anzunehmen. Eine Revolution, welche Irene vom Throne stieß, brachte die Welt um das seltene Schauspiel der durch einen Franken wiederher gestellten römischen Weltherrschaft. Zu Weihnachten des Jahres 800 ließ sich Karl in Rom vom Papste Leo dem Dritten zum Kaiser des Occidents( Abendland) krönen. Die ungeheuere Volksmenge, die ihn zum Cäsar und Augustus ausrief, ahnte nicht, daß sie alle Gräuel der Cäsarenwirthschaft herbeilockte. Die Meinung, welche die Päpste von diesem Augenblicke an bis auf unsere Tage auf alle Weise zu erhalten bemüht waren, daß der Fürst der Kirche allein die königliche Gewalt verleihen könne, folglich über dem Kaiser stehe, hat in dem vielhundert jährigen Kampfe der Welfen und Weiblinger hunderttausenden das Leben gekostet und spielt heute noch in dem Kulturkampf seinen letzten Trumpf aus. Der hinfällig gewordene Recke sah alle seine Söhne, mit Ausnahme Ludwigs des Frommen, den er noch bei Lebzeiten zum Mitregenten annahm, ins Grab sinken, bevor er am 28. Januar des Jahres 814, im 71. Jahre seines Lebens und im 47. seiner Regierung ihrem Beispiel folgte. Seine Furcht, daß sein Reich nicht lange dem Andrang der Feinde widerstehen würde, hat sich bald bestätigt. Der fromme Ludwig, der selbst für seine Zeit sich mehr als nothwendig mit dem Himmel befaßte, war nicht der Mann, die bluterkaufte Errungenschaft des Vaters zu behaupten. Karl war der größte, aber auch der legte Held seines Stammes.
Aus der Geschichte gold'nem Spiegel strahlt
Des Kaisers Bild, auf blut'gem Grund gemalt.
Der Hintergrund unseres Bildes, die Schweizerstadt Zürich am Limmat , im Vordergrunde mit seinem Münster und am fernen Hori zonte die nebelblauen Firnen, bestimmt uns zu der Erklärung, daß es fein gemaltes, sondern ein lebendes Bild ist, welches wir im Holzschnitt wiedergeben, ein lebendes Bild, wie es bei dem originellen züricher Frühlingsfest, das Sechseläuten genannt, von den Zünften unter der Serie ,, Bilder aus Zürichs Vorzeit und Gegenwart" dieses Frühjahr vorgeführt wurde.
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Dr. M. T.
Das russische Bublikum in russischer Darstellung. Die vom Nihilismus tief aufgewühlte russische Gesellschaft hat bei den Zeitungslesern aller Länder das Interesse für das Parteigezänk des westlichen Europas in den Hintergrund geschoben. Ueber die Verkommenheit des wirklichen und scheinbaren russischen Publikums lesen wir in der russi schen Zeitung ,, Molwa" eine beachtenswerthe Erörterung. Der Feuilletonist schildert, wie er das wirkliche, eigentliche Publikum gesucht, es aber nirgends gefunden habe. Dafür habe er aber die Entdeckung gemacht, daß die Breßreferenten sich ein eigenes, künstliches Publikum zurecht gemacht hätten, in der Art der schreienden Eisenbahnpuppen der Amerikaner. Von den Leiden und Freuden, Sympathien und Antipathien dieser Publikumpuppe" machen die Journalisten viel Geschrei und benutzen sie als bequeme Stüge. Ohne hinter dem Schreibtisch hervorzukommen, ohne sich darum zu kümmern, was wirklich in der Welt vorgeht, oftroyiren sie ihren eigentlichen Zorn oder ihr eignes Wohlwollen, ihre Gedanken und Gefühle je nach ihrer Gemüthsstimmung und den Erfordernissen ihres journalistischen Handwerks ihrer bequemen Puppe. Wenn uns z. B. der Schah von Persien besucht, so setzt sich der Wächter der öffentlichen Meinung" besagter Puppe gegen über und schreibt mit Begeisterung von den enthusiastischen Empfindungen des Publikums bei dem Anblick des theueren Gastes, von der geistigen Verwandtschaft zwischen den slavischen Brüdern" und den persischen Brüdern" u. s. w. In Wirklichkeit drückt sich der ganze Boltsenthusiasmus auf der Straße in den Worten aus: Boz tausend, Bruder, sieh' mal, was der für Diamanten an sich trägt, es ist fabelhaft!" Dem Journalisten kommt es nicht auf die Wahrheit, sondern nur auf einen tönenden Artikel an, der von hier an bis dahin" reicht, ohne bei der Censurbehörde anzustoßen. Das sind die Folgen der ge Knebelten Presse! Weiter heißt es: Wenn der Sumpf unseres schläf
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rigen öffentlichen Lebens durch irgend einen großen Diebstahl aufwallt, wenn ein Juchanzew seine Hand gar zu fühn in eine öffentliche Kasse steckt und sich einige hunderttausend Reisegelder nach Sibirien oder in die minder entfernten Gouvernements herausholt, dann entrüstet sich unser sogenanntes reines Publikum nicht so sehr über das außerordentliche Ereigniß', als es sich über die zeitweilige Unterbrechung der allgemeinen Langeweile freut, ähnlich, wie nach Heinrich Heine's Deutschland die gelangweilten aachener Hunde den Wanderer um einen Fußtritt anflehen, weil sie sonst vor tödtlicher Langeweile sterben. Das nach Skandal gierige, sich unsagbar ennuyirende Bublikum verhält sich in einem Fall, wie dem obenerwähnten, sehr herablassend gegen einen kühnen Dieb, sieht ihn als einen jungen Mann von interessantem Aeußeren an, als einen neuen Rocambole, der Wunder diebischer Tapferkeit verrichtet und sein Leben in Orgien unter Cocotten und feurigen Zigeunerinnen, verbrannt hat. Und dieses alles verzeihende Publikum stürzt kopfüber auf die Auktion, in die verödeten Appartements des diebischen Kassirers, betrachtet mit fieberhafter Neugier seine Einrichtung und kauft seine verschiedenen Nippessachen auf, die es nicht minder hochschätzt als den Degen Napoleons , den Stock Balzac's oder die Stiefel Friedrichs des Großen. So geartet ist dieses Publikum, welches jedes über das Alltagsleben hinausreichende Ereigniß, sogar jedes Verbrechen als ein Kapitel aus dem Lebensroman im Geschmack eines Xavier de Montepin ansieht, aus einem Roman, der es zerstreut und seine abgeſtumpften, verholzten Nerven leicht aufregt. Was singen indessen die verschiedenen Pharisäer und Tartüffes der Presse in Veranlassung eines solchen Ereignisses für ein Lied? Mit nassen Schnupftüchern am Auge, mit erregter Stimme und in erregtem Stil bringen sie zur Kenntniß ihrer Leser, daß ein unerhörter, kolossaler Diebstahl in dieser oder jener Bank oder Rentei die ganze Bevölkerung der Stadt vom Greise an bis zum Säugling in den Zustand des Entsetzens versetzt und den Ausbruch einer allgemeinen Entrüstung hervorgerufen habe. Viele Bürger seien bis in die Tiefe der Seele durch das freche Verbrechen des Attentäters gegen fremdes Eigenthum erschüttert, krank geworden und ins Hospital befördert, ein ehrenwerther Greis von edlen Lebensregeln, Vater einer zahlreichen und eben so edlen Familie, habe die sittliche Erschütterung nicht ertragen können und sei infolge eines Schlagflusses eines raschen Todes verblichen.... So oder ähnlich wird immer geschrieben und gesprochen über unser Publikum, welches extremer Aeußerungen seiner Gefühle wirklich nicht beschuldigt werden kann und immer anständig- apathisch und wohlgesinnt zurückhaltend in seinen Meinungsäußerungen ist, wenn es sich um irgend welche öffentliche Erscheinungen oder allgemeine Fragen handelt. Warum verleumdet man dieses unser armes Publikum in dieser Weise, unser Publikum, welches dieses Leben wie einen schlechten und langweiligen Roman erträgt, von diesem Leben nur Spielzeug und Zerstreuung fordert und bei welchem die Fluth jeglicher Begeisterung und jeglicher Erregung rasch deren Ebbe Platz macht. Hat der Gewährsmann von der Molwa" recht, so fürchten wir, daß die Lohe der Erregung, welche der Nihilismus entzündet, im moralischen Sumpfe des russischen Volkes alsbald erlöschen wird. Und der Grund dieser Versumpfung? Rußland zerfällt in zwei sehr ungleiche Theile: die Klasse der Gebildeten, die ohne Auswahl alles verschlingt, was der Westen an ,, Kultur" produzirt, und die schwarze Brut", Tschorni narod, unreif und deshalb unempfänglich für alle Aufklärung; erstere zählt höchstens eine halbe, lettere sechzig millionen Menschen. Peter der Große konnte es nicht abwarten, sein Volk aus der Wurzel zu veredeln, er pfropfte deutsche und holländische, die Kaiserin Katharina französische Reiser auf die Krone. Diese trägt nun ihre südlichen Früchte, der derbe und gesunde Stamm und seine weitausgebreiteten Zweige treiben die alten Holzäpfel fort. Die plößlich und gewaltsam eingeführte westeuropäische Civilisation ist nirgends in die unteren Schichten der Gesellschaft eingedrungen. Im Musterlande der Gleichheit, in England, sehen alle Stände äußerlich gleich aus, nicht einmal der Bauer trägt eine besondere Tracht. Dabei ist eine allgemeine Bildung durch alle Klassen verbreitet, welche die geistige Verschiedenheit ausgleicht. In Rußland stehen die Unterschiede schroff neben einander: Paläste neben Hütten, prachtvolle Städte in öder Gegend, eine hundert Meilen lange Eisenbahn( Petersburg- Moskau), die zwischen Anfang und Ende keine bedeutende Stadt berührt, Ananashäuser, wo kein Korn wächst, parquettirte Fußböden und halsbrechendes Straßenpflaster, kurz, Ueberfeinerung neben Roheit. Im Angesicht dieser Thatsachen entsteht die wichtige Frage, ob man die Civilisation fremder Nationen und anderer Klimas immer weiter verbreiten oder ob man versuchen will, das ungebildete, aber gelehrige Volk aus sich selbst zu kultiviren. Man muß gestehen, daß die russischen Machthaber Unglaubliches geleistet haben in der Berkümmerung des Volkes. Dr. M. T.
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Inhalt. Die Schwestern, Roman von M. Kautsky. Albert Lorging. Eine Künstlerbiographie von Theodor Drobisch ( mit dem Porträt Lorgings). Die Ameisenstadt in Pennsylvanien, von Prof. Dr. L. Büchner. Mein Freund, der Klopfgeist. Eine Spiritistengeschichte aus dem letzten Drittel des 19. Jahrhunderts, von H. E.( I.) Heißsporne und Sicherheitskommissarien im Gebiete der Naturwissenschaft, von Bruno Geiser. Falsche Erziehungsmethode und zu frühzeitige geistige Anstrengung. Chongil, das chinesische Schach. Unterseeisches Observatorium und elektrische Lampe( mit Juustration). Der gefangene Riese, Gedicht von Rudolf Lavant . Die Herde des Hungers im schlesischen Eulen- und sächsischen Erzgebirge , von Dr. Max Vogler. Karl der Große und sein Gefolge( mit Illustration). Das russische Publikum in russischer Darstellung.
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Verantwortlicher Redakteur: Bruno Geiser in Leipzig ( Südstraße 5). Expedition: Färberstraße 12. II. in Leipzig . Druck und Verlag von W. Fink in Leipzig .
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