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so verglich er die Staatsmänner, welche sich seines Beifalls rühmen durften, mit sich selbst, mit Aloys Mezig, dem ,, Raseur und approbirten Heilgehülfen". Gleich ihm, meinte er, seiften sie alle Welt ein Freund wie Feind. Gleich ihm rasirten sie alles, was ihnen überflüssig schiene; wenn es noththue, mit scharfer Klinge. Gleich ihm schnitten sie zuweilen, mitunter sogar tief, ins Fleisch, aber nie schnitten sie sich, sondern immer andere, und gleich ihm wären sie immer unschuldig an diesen Schnitten das Schicksal, dieses Karnickel, setzte er hinzu, hätte immer die Schuld allein. Und so führte er die Vergleiche noch weiter aus bis zum Aderlaß und den Schröpfköpfen, und man sah ihm an, daß er fest überzeugt war, er thue den großen Herren eine Ehre an.

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Beim Abwaschen und Trocknen ging er gewöhnlich zu kommu­nalen und Bildungsangelegenheiten oder zu Theater und Musik über. Den Polizeidirektor lobte er stets, weil dieser in muster­hafter Weise für die Ruhe und Ordnung sorgte und darauf hielt, daß die Polizisten im Dienst stets glatt rasirt erschienen; dem Bürgermeister war er dagegen nicht grün, und zwar weil der die Steuerschraube immer stärker andrehte und, was noch viel schlimmer war, weil es ihm ganz egal war, ob die Magistrats­beamten sich täglich oder wöchentlich oder garnicht rasiren ließen. Musikalisch war Alloys Meßig ungeheuer; es wurde damals wohl keine Oper in Deutschland aufgeführt, aus der er mir nicht im Laufe unseres Verkehrs umfangreiche Passagen vorgepfiffen hätte. Die Schauspieler waren ihm auf der Bühne nicht kunst­verständig und in ihrem Privatleben nicht ernst genug; die Schau­spielerinnen mochte er garnicht leiden. Sie wären noch schlimmer, als die Geistlichen, meinte er seufzend, bei den letzteren dürfe man sich zwar nie nach ihrem Handeln, sondern nur nach ihrem Reden richten; das Reden der Schauspielerinnen, die doch nur dann ihren Beruf nicht verfehlt haben würden, wenn sie auf der Bühne Musterbilder guter Hausfrauen, Mütter, Töchter und Schwestern lieferten, tauge aber auch nichts mehr, seit die moralischen Dramen des großen Iffland und seiner herrlichen Nachfolgerin, der Charlotte Birchpfeiffer, dem Greuel der Offenbachiaden hätte weichen müssen. Beim Zusammenpacken seiner Utensilien kam Aloys Meßig stets auf den Magnetiseur zu sprechen. Er haßte ihn beinahe so, wie den Bürgermeister und die Schauspielerinnen. Er hatte aber auch Grund dazu. Rasiren ließ sich Chlodwig Cannabäus nie, und nach seinem Reden und Handeln konnte man sich auch nicht richten, weil man von beiden so gut wie nie etwas zu merken bekam. Chlodwig Cannabäus war also ein Geheimniß främer, und das fand Aloys Meßig abscheulich. Und dann war Chlodwig Cannabäus ein Rabenvater, er war es Aloys Mezig vermuthete es. Von Familie besaß Cannabäus nämlich nichts weiter, als eine Tochter sie war in den Zwanzigen, diese Tochter hielt der Unmensch- meinte Aloys Mezig wie eine Gefangene, sie sähe daher auch entsetzlich elend aus, obgleich sie bildschön wäre, und dazu magnetisire er sie immer­fort und mache ihr ganzes Nervensystem kaput, sodaß sie ent­schieden überschnappen müsse, wenn sie nicht schon übergeschnappt jei. Was das für ein herzloser Kerl sei, dieser Cannabäus­Herr Mezig, der im übrigen seine Mittheilungen und Belehrungen in möglichst lauter Weise von sich zu geben pflegte, dämpfte seine schrille Stimme regelmäßig bis zum Flüsterton, wenn er von meinem Wirthe sprach das ginge schon daraus hervor, daß er nie ,, meine Tochter" sage, wenn er von dem Mädchen trotz

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seiner Zugeknöpftheit doch einmal sprechen müsse, sondern nur mein Medium".

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,, Was sagen Sie dazu, verehrter Herr Doktor?" fragte er Stellen mich, indem er sich in eine theatralische Pose warf. Sie sich vor, Sie hätten eine erwachsene, schöne, leidende Tochter, Hand aufs Herz, Herr Doktor, würden Sie sie jemals, mein Medium nennen können?" Er hatte das beste Zutrauen zu den in meiner Brust schlummernden Vatergefühlen, denn er wartete meine Antwort garnicht erst ab, wie er das überhaupt nie that, und sagte sehr entschieden: Nein, Sie würden das nicht. Aber dieser" er wies mit der ausgestreckten Hand nach der Richtung der Wohnung des Magnetiseurs und machte gleichzeitig seine ungeheuer behende Abschiedsverbeugung gegen mich, dieser Mensch- na, gebe Gott , daß Sie den nie näher kennen lernen." Eines Tages erzählte mir Herr Aloys Mezig Näheres von Cannabäus' Leben und Treiben.

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,, Sehen Sie, Herr Doktor," sagte er ,,, was thut dieser Mensch? Von früh bis abends magnetisirt er. Ist das eine Beschäftigung für einen anständigen Menschen?"

Zum erstenmale seit unserer Bekanntschaft fragte ich Herrn Mezzig etwas: Wen, was oder wie magnetisirt er?" Mezig zuckte die Achseln.

,, Sie wissen das nicht, Herr Doktor? Nun, wie man über­haupt magnetisirt. Er sieht sein Opferlamm scharf an, er läßt ihn wohl einen großen, blizenden Diamanten, weiß der Himmel, woher er ihn hat, ansehen, er legt seine Hände auf und murmelt dazu wer weiß, was?"

,, Wer sind die Opferlämmer?"

,, Nun, die Leute, die zu ihm komen, um geheilt zu werden. Leute mit allerlei Leiden. Lahme und Blinde, Schwindsüchtige und Leberkranke. Und wenn keine da sind, dann magnetisirt er seine Tochter. Magnetisiren thut er immerfort."

,, Dabei verdient der Herr Cannabäus wohl außerordentlich viel Geld?"

,, Ja, wenn das noch wäre, dann sähe man wenigstens, daß seine Magnetisirerei ein Geschäft wäre, wie andere ehrliche Ge­schäfte auch. Aber keine Spur davon. Er nimmt niemals einen Pfennig für seine Kuren!"

,, Glücken diese Kuren denn zuweilen?"

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" Das ist eben auch die verdächtige Geschichte. Sehen Sie, Herr Doktor, das wissen Sie ja am besten, und ich will mich nicht überheben, aber wozu wäre ich approbirter Heilgehülfe,- ich gehöre doch so ein bischen zum Metier, aber grade deswegen weiß ich, daß einem richtigen Doktor die wenigsten Kuren ge­lingen, aber sehen Sie, bei dem gelingt alles, wie nämlich die Und alles in der Leute sagen, die er in Behandlung nimmt. Welt hat er schon furirt, Menschen, an die ich schon nicht mehr einen einzigen lumpigen Schröpfkopf riskirt hätte, die also von Gottes und Rechtswegen das werden Sie mir zugeben, Herr Doktor hätten sterben müssen, bald sterben müssen, aber ich sage Ihnen, Herr Doktor, was mich da die Leute schon aus­gelacht haben, wenn ich gesagt hatte, der und der muß sterben, er hat das hippokratische Gesicht, bis zum nächsten Frühjahr ist er' rum. Glauben Sie, daß sich, seit der Cannabäus hier wohnt, auch nur ein Mensch damit zufrieden gab? Gott bewahre! Sie rannten zu dem und im nächsten Frühjahr kam der Betreffende zu mir, lachte mich aus, fragte mich, wie mir sein Gesicht gefiele, und es fiel ihm im Traum nicht ein, zu sterben."( Fortsetzung folgt.)

Die Herde des Hungers im schlesischen Eulen- und sächsischen In den Dörfern unserer Gegenden, wo sonst der Webstuhl fast in jedem

Erzgebirge .

Von Dr. Mar Vogler. ( Fortsetzung.)

,, Das Zusammendrängen der Menschen in engen Wohnungen ist enorm; in Altwasser , einer Stadt von achttausend Einwohnern, sollen bis zu sechszehn Personen in einer Stube wohnen. Solche Zustände sind in einem zivilisirten Lande, in der letzten Hälfte des neunzehnten Jahrhunderts möglich!" 2c. Indem ich noch einige Belege für die traurige Lage, wie sie schon damals( Anfang März 1878) in den schlesischen Weberdistrikten herrschte, gebe, wähle ich als Quelle mit Absicht gerade solche Zeitungen, die gar kein Interesse daran hatten, etwa tendenziös Grau in Grau zu malen. Der ,, Grenzbote"*) schreibt:

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*) Damals seitens der Schlesischen Zeitung" und der Schlesischen Presse" als Quelle für eigene Berichte benutzt; ebenso der ,, Gebirgsbote".

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Hause, ja, in jeder Stube lustig klapperte, herrscht traurige Stille. Nur sehr vereinzelt, da und dort ist ein Weberschiffchen in Bewegung. Die sonst so fleißigen Arbeiter sind fast gänzlich ohne Beschäftigung. Dieser Zustand dauert nun schon Jahre lang, und noch ist nicht die geringste Aussicht auf Besserung und Hebung der Leinwandgeschäfte vorhanden. Was Wunder, daß in den meisten Weberhütten ein sehr unliebsamer der Hunger. Es und doch so zudringlicher Gast eingekehrt ist ist traurige Thatsache, daß viele Familien nicht mehr satt Brod essen können. Wer jetzt durch diese Dörfer geht, begegnet recht vielen bleichen Gesichtern, welche den Stempel des Hungers und Kummers unverkennbar tragen.... Diese bittere Noth ist in vielen Ortschaften eine allgemeine. Heut sprach ich einen glaubwürdigen Mann aus einer nahen Ortschaft der Grafschaft Glaz*). Dieser äußerte: ,, Unser Ort zählt über

*) Ueber die jebige Lage der Weber in der Grafschaft Glaz wurde beispiels­weise der ,, Neuen Gebirgszeitung" aus Lewin mitgetheilt: Die Lohnweber der hiesigen Stadt und Umgegend arbeiten fast ausschließlich drei Stoffarten, und zwar Büchen ,