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am Boden, es regte und rührte sich nicht stumm und starr, wie eine Leiche, blieb sie liegen.
Die alte Dienerin sprang zuerst auf von ihrem Plaze und, wie es schien, in höchster Aufregung rief sie:
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" Fort, fort auf der Stelle fort, alle. Sie stirbt sonst. Es ist ein Frevel geschehen, kein Mensch darf auch nur eine kein Mensch darf auch nur eine Minute im Zimmer bleiben, sonst ist sie todt. Fort, fort!" Und damit drängte sie die ihr zunächst Sißenden zur Thür. Und die Frauen halfen ihr alle, auch Aloys Mezig und mich faßten sie an den Armen und rissen uns mit sich fort, und ehe wir uns besannen, waren wir zur Thür hinausgewirbelt, die schwer hinter uns ins Schloß fiel.
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Ich war bis in die Hausflur gedrängt worden. Erst hier sah ich mich wieder um. Mein Barbier und der Handwerker, welcher zuletzt mitten im Zimmer gelegen hatte, verschwanden grade zusammen durch die Hausthür. Sie waren die ersten hinaus. Ich musterte die übrigen, welche nun auf mich nicht mehr acht hatten. Es war wohl niemand zurückgeblieben wie? Doch! Zwei Hauptpersonen fehlten: die ältliche Jungfrau und der alte Herr, sie beide grade, welche soeben mit dem Erscheinen von ihnen theuren Geistern beglückt worden waren.
Ich ging in mein Empfangszimmer und lehnte die Thüre nur an, ohne den Riegel ins Schloß fallen zu lassen. Ich war aus all meiner philosophischen Seelenruhe gebracht. In der furzen Zeit von zwei Stunden hatte ich das tollste Zeug erlebt, war aber vorläufig nicht auf die leiseste Spur gekommen, wie es wohl menschlich- vernünftig erklärt werden könnte. Zwar war mir vielerlei aufgefallen und einigermaßen verdächtig vorgekommen so hatte ich grade während der Geistererscheinungen ganz zu fällig meinen einen Fuß weit vorgestreckt und war dabei an etwas
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was es war, wollte ich eben genauer zu fühlen gestoßen, suchen, als der Schlußspektakel hereinbrach; als aber in derselben Minute noch Licht wurde, war auf dem Boden nirgend solch' ein Gegenstand des Anstoßes zu entdecken.
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Jedenfalls mußte ich mir jede Kleinigkeit, die ich heute wahrgenommen hatte, auf das genaueste merken. Ich nahm die mir ich von meinem Lieb' verehrte, gestickte Brieftasche hervor pflegte sie auf dem Herzen in der linken, inneren Seitentasche meines Rockes zu tragen, und begann sie zu öffnen, während ich mit aller Gewalt meine Gedanken zu sammeln versuchte. Aber was war das? Ein sonderbarer, zarter und dabei doch intensiver Veilchengeruch strömte mir aus der Brieftasche entgegen. Wie war dieser Duft, von dem die Brieftasche sonst nicht eine Spur aufzuweisen hatte, dahineingekommen? Ich schlug die ich fuhr darin eingehefteten Notizblätter auf- empor und traute meinen Augen nicht, aber es war einmal nicht anders!! Dicht unter den Zeilen, die ich noch mit eigner Hand vor faum vier Stunden niedergeschrieben hatte, standen in einer höchst eigenthümlich verzogenen, ausgeprägt charakteristischen Handschrift die Worte zu lesen:
,, Rette- rette sie!"
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da
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Ich stürzte mit dem Notizbuch in der Hand an meinen Schreibtisch. Aus einem geheimen Fache, zu welchem ich mir eigens ein kunstvolles Schloß hatte machen lassen, nahm ich einige Briefe, deren Schrift ich mit den auf mir gänzlich unerklärliche Weise unter meine Notizen gekommenen Zeilen verglich. Die Briefe waren von der Hand meines verstorbenen Vaters und Rette- rette fie!" war auch von der Hand meines Vaters!! ( Fortsetzung folgt.)
das
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Ein Hauch von Lessings Geiste.
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Ob es Leute gibt, welchen unsre deutschen Theaterverhältnisse als gut und in bester Ordnung erscheinen? Wahrscheinlich! Allerdings hat der Schreiber dieser Zeilen noch keinen einigermaßen urtheilsfähigen Menschen getroffen, der die Kühnheit gehabt hätte, das schlankweg zu behaupten. Dagegen kennt er sehr viele, auch sogenannt gebildete und in ihren Kreisen sogar für hervorragend gescheit geltende Menschen, welche sich über ein motivirtes Urtheil über Theaterangelegenheiten durch ein Achselzucken hinweghelfen. Sie die Achselzuckenden stehen ja eingebildetermaßen geistig so hoch, sind von soviel wichtigeren Dingen in Anspruch genommen, daß sie sich um Dinge wie die Komödie, nicht kümmern können. Die Schaubühne ist nach ihrer Meinung hundert Jahre nach Lessings und fünfundsiebenzig nach Schillers Tode immer noch nichts anderes als eine Anstalt zur Belustigung, ein Institut, welches dem gelangweilten oder durch seine Berufsarbeit ermüdeten einzelnen die schwere Arbeit des leidlich amüsablen Zeittodtschlagens für ein paar Stunden von den Schultern nimmt. Bestenfalls gestehen diese oft schwergelehrten Böotier gnädig zu, daß das Theater mehr sein könnte eine Volksbildungs- oder Erziehungsschule, auch wohl eine ,, moralische Anstalt", aber sie denken sich wenig oder garnichts dabei und sind der gemüthlichen Ueberzeugung, daß die Schaubühne in dieser ihrer edleren Eigenschaft sehr wohl auch vermißt werden könnte. Die Kulturbewegung geht unbekümmert um solche Kleinigkeiten, wie das Theater eine ist, ihren glorreichen Gang wir werden von Tag zu Tag gescheiter und besser und glücklicher wer merkte das nicht, und wer wagte daran zu zweifeln, seit sogar ein an sich geistreicher Gedanke dahin mißverstanden worden ist, daß es bei der Kulturentwicklung nur auf die wirthschaftliche Entwicklung ankomme, und daß diese sich vollziehe mit der Nothwendigkeit eines Naturgesezes, gleichviel, ob wir unsre Schulen gut oder schlecht, unsre Literatur claurensch oder goethisch einrichten, ob wir unser Theater mit den Machwerken der Offenbachs und Lindaus oder gemäß den Leistungen und Forderungen Lessings und Schillers ausstatten. Schade nur, daß diese Philosophie geistig vornehmthuender Bärenhäuterei uns den Beweis für ihre Allgemeinberechtigung, der sehr zwingend ausfallen müßte, gänzlich schuldig geblieben ist. Schade- oder um bei hochernſter Angelegenheit das Visir der Ironie einen Augenblick zu lüpfen: ein Glück ist es, daß die Masse des Volkes lange nicht ein seitig genug veranlagt ist, um ihre Bestrebungen auf ein Rad im tausendfältig verwickelten Maschinenwerk des Menschenlebens und Treibens zu konzentriren, und ein Glück ist es nicht minder, daß immer wieder einzelne sich erheben, um kulturwichtige Dinge, welche nicht auf der Oberfläche des Stromes der Tagesinteressen leicht und luftig dahertreiben, in den Bereich der öffentlichen Antheilnahme, auf die Bahn der Volksbestrebungen hereinzuziehen.
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gung der Theaterkalamität. An den Thatsachen dramaturgisch beleuchtet von Georg Köberle ," ein Buch, daß der deutschen Theatermisere mit anerkennenswerther Energie und durchweht von einem Hauche lessingischen Geistes zu Leibe geht.
Im Nachfolgenden sei, was das Werk will und was es leistet, für die, wie ich annehme, allesammt belehrungsdurstigen Leser der ,, Neuen Welt", so furz, als Stoffreichthum und Gedankentiefe zulassen, stizzirt. Der Verfasser kennzeichnet die Aufgabe, welche er sich gestellt, in der Meine Ouvertüre" überschriebenen Einleitung folgenderweise: ,, Vorerst will ich dem freundlichen Leser nur einen kurzen Rundblick über den gesammten Bereich der dramatischen Kunst bieten, will nur seine Aufmerksamkeit auf diejenigen Vorkommnisse hinlenken, welche den tonangebenden Theatern gemeinsam anhaften und als der eigentliche Typus der modernen Bühne zu betrachten sind. Um dem spröden Stoffe nach Möglichkeit auch eine angenehme, unterhaltende Seite abzugewinnen, habe ich als Form der Darstellung den lebendigen, die verschiedenen Tagesströmungen durch charakteristische Personen vertretenden Dialog gewählt. Die nachfolgenden Blätter erheben, als schlichte Einleitung zum Thema, nur den Anspruch, die eigentliche Aufgabe eines wahren Dramaturgen erörtern, d. h. die Fundamentalgesetze der Bühnenkunst klarstellen und die geistverlassene Hohlheit der zur Zeit die Bretter beherrschenden Modepoeten zergliedern zu wollen."
Neben dieser von edler Bescheidenheit durchleuchteten Umgrenzung des ebenso schweren wie in mehr als einer Beziehung undankbaren Unternehmens gibt Herr Georg Köberle in der ,, Ouvertüre" Rechenschaft von der Stellung, die er bisher den Theaterangelegenheiten gegenüber eingenommen hat.
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Schon 1872 hatte er ein Buch erscheinen lassen über ,, die Theaterkrisis im neuen deutschen Reiche", welches vielseitig Entgegnung fand. Bühnenfreunde in Publikum und Tagespresse, sowie diplomatische Wortführer der Kritik", wie er Leute gleich dem Hofrath v. Gottschall nennt, hatten die Berechtigung seiner Ansichten anerkannt, die Berufung zum Leiter der karlsruher Hofbühne war die hervorstechendste Folge gewesen, gleichzeitig waren aber auch alle ,, unlauteren Elemente der Theaterwelt", geführt von dem preußischen General- Theaterintendanten Herrn v. Hülsen, wider ihn in den Harnisch gerathen. Es begann nun, wie in solchen Fällen zu geschehen pflegt, ein reguläres Kesseltreiben auf den Störenfried des seicht- frivol- ideenlosen Theaterschlendrians. Zeitungen verschiedenster Parteischattirungen bildeten die Treiber, gehässige, auf Unwissenheit und Leichtgläubigkeit des Publikums spekulirende Kritiken und Denunziationen mehr oder weniger schmußiger Art die Geschosse und ,, literarische Raufbolde", wie sie gegenwärtig bei uns als tonangebende Muster und Meister im Reiche der literarischästhetischen Kritik gelten, zeichneten sich als die Jäger dabei aus. Der Erfolg blieb nicht aus: Dr. Köberle wurde seines Amtes als Hofbühnenchef enthoben, um, wie man hoffte, aus dem Tumulte der so kunstvoll So betrachtet der Schreiber dieses Artikels es als einen wahren erzeugten allgemeinen Entrüstung in das Dunkel der Vergessenheit Segen, daß soeben ein Buch erschienen ist, welches den Titel führt: zurückzutreten. Wie man die übliche Praxis bei der Behandlung der „ Der Verfall der deutschen Schaubühne und die Bewälti- Gegner des allgemeinen verrückten Konsenses, um mit Goethe zu reden,