F Herr, bei dessen Köchin sich der Maschinenbauer, der nebenbei gesagt, ein famoser und geschcidter Kerl ist und mit dem ich seit der Zeit gut Freund geworden bin, bei dessen Köchin, wollt' ich sagen, sich mein Maschinenbauer erkundigt hat, der alte Herr also sagt genau dasselbe und spricht von dem Cannabäus, als wenn er der Heiland oder gar der Herrgott selber wäre Was sagen Sie dazu, Herr Doktor?" Ein merkwürdiger Mann ist dieser Magnetisenr Cannabäus jedenfalls," sagte ich sehr ernst und nachdenklich. Das schien Herrn Mctzig nicht zu gefallen. Er begann, so leise, wie er das stets zu'thun pflegte, wieder ganz entsetzlich ans den Magnetisenr zu räsonniren. Er sei ganz bestimmt ein Bösewicht. Er, Mctzig, sei gewiß nicht abergläubisch, aber das glaube er sicher, daß dieser Cannabäus ein Hexenmeister, wenn nicht gar der leibhaftige Satan selbst sei. Warum sei er denn z. B. in gewissen Nächten im Jahre immer vollständig ver- >chwunden! In ivelchen Nächten?" fragte ich. Nun grade heute ist wieder so'ne Nacht gewesen. Sehen Sie, das weiß ich schon lange, das haben sich die Leute hier im Hause immer erzählt und auch der Junge, der Kunz, und die Wunder, Cannabäussen seine alte Hexe, hat's auch eingestanden. In der Christnacht und in der Sylvesternacht schließt sich ihr Herr Abends um 7 Uhr ein. Um 8 Uhr springt die Thür zu seiner Stube von selber weit auf und von ihm ist keine Spur zu entdecken zum Schlüsselloch oder zum Schornstein, oder weiß der Satan wie, ist er hinaus und ist längst über alle Berge. Uebrigens hat er noch mehr solche Nächte ich Hab' nur noch nicht herauskriegen können, welche das sind, aber ich wette, in der Walpurgisnacht ist er auch oben aus dem Blocksberg...." Herr Aloys Metzig machte eine bedeutsame Pause und schüt- telte sich, als wenn ihn Grauen und Abscheu übermannten. Ohne daß ich recht wußte, was ich sagte, entschlüpften mir die Worte:Mag dem sein, wie ihm wolle sie ist jedenfalls Werth, daß sie dem für ihren Körper und Geist gefährlichem Treiben ihres Vaters entrissen wird____" Ein Hauch von Lessings Geiste. (Schluß.) Zu einer Frage, welche grade in neuester Zeit vielfach Anlaß zu erbittertem Meinungsstreit gegeben hat, gelaugt Köberle im VII. Kapitel seines Buchs. Was ist Naturalismus? Und wieweit kann und darf er die Kunst beherrschen? Naturalismus schlechthin ist die Bezeichnung für jene Art des Be- treibeus einer Wissenschaft oder Kunst, welche nicht an der Hand eines strengen Studiums geschieht, sondern nur der natürlichen Begabung des betreffenden Wissenschasts- oder Kunstjüngers folgt. Diesen Natura- lismus, diesenMangel an sachgemäßer Schule" nennt Köberle den offenen Naturalismus. Wäre eines der hervorstechendsten Merkmale unsres Jahrhunderts nicht eine heillose Begriffskonfusion, die von nicht minder heilloser Denkfaulheit gesäugt und gehätschelt wird, so dürfte man den Versuch nicht mehr nöthig haben, gebildeten Menschen klarzumachen, daß in Zeiten höherer Geistesentwicklung nackter Naturalismus, gleichviel ob in Wissenschaft oder Kunst, ein Unding ist. Aber Köberle weiß sehr wohl, warum er sich auf die Einwürfe einläßt,eine allzustrenge Ver- dammung der Naturalisten könne uns in Widerspruch mit der Ent- stehung aller Kunst, also wohl auch der Kunst selbst, setzen." Die Künste seienursprünglich von Naturalisten ausgegangen". Erst aus schon vollendeten Meisterwerken habe man jadasjenige abstrahirt, was jetzt die Wissenschaft der Kunst oder die Schule genannt werde, nämlich eine Anzahl gewisser Regeln zur Darnachachtung für die Epi- gonen und nebenbei auch zn dem Zwecke, dem Kunstlaien die tieferen Schönheiten jener Meisterwerke begreiflich zu machen". Die dramatischen Musterschöpsungcn eines Aeschylos, Euripides und Sophokles würden schon seit mehr als 2000 Jahren bewundert; Gründer der Aesthetik, als einer systematischen Wissenfchaft des Schönen, sei erst der Hallenser Professor Baumgarten in der Mitte des achtzehnten Jahrhunderts, also vor wenig mehr als hundert Jahren geworden. Ein Kunstgenie müsse eben das Wesen der Natur ersaßt haben, bedürfe keiner Fachkenntnisse, trage, eine Kunstgesetze in sich selbst und lasse seinem künstlerischen Schapen keine ihm widerstrebende Regel aufdrängen. Die nächstliegende Entgegnung auf solche Einwendungen ist: auf dem Gebiete zeder Kunst sind sehr viele als Talente zu schaffen berufen, sehr wenige aber als Genies auserwählt, eigne Bahnen zn wandeln. Aber selbst für die weißen Raben, welche man Genies nennt, kann nackter Naturalismus als bausicheres Fundament für ihre Kunst- schöpsiingen nicht anerkannt werden: desto weniger, je weiter die Kultur Ich nahm sofort wahr, daß es besser'gewesen wäre, wenn ich geschwiegen hätte. Aloys Metzig ließ meine Nase, deren Spitze er eben mit Zeigefinger und Daumen� erfaßt hatte, um sie seiner mir unerklärlichen Gewohnheit gemäß bald rechts, bald links, gelegentlich auch in die Höhe zu biegen, wie erschrocken fahren, trat mit dem Rasirmesser in der hocherhobenen rechten Hand einen Schritt zurück und fixirte mich scharf. Sie?" fragte er.Sie? und werth, entrissen zu werden? Na, entschuldigen Sie gütigst, Herr Doktor, aber ich will nicht hoffen, daß sich so'n schwergelehrter Mann, wie Sie, von der Hexe wird kapern lassen." Der Rasenr traf mich an wunder Stelle.Herr Metzig," fuhr ich auf,ich muß doch sehr bitten--" Er entschuldigte sich eifrigst. Er wisse ja, daß ein Herr, wie. ich, zu so'ner furchtbaren Dummheit nicht fähig sei. Mitleid habe er mit dem Medium auch immer gehabt, aber seit er sich die Geschichte so von nahem betrachtet habe, hätte er sich doch sagen müssen, daß sie entweder eben so eine Schwindlerin sei, wie ihr Vater oder eine Hexe, wie der ein Hexenmeister. Und da wär's bei ihm mit dem Mitleid aus gewesen. Außer- dem Hab' ich so verschiedenes munkeln hören und wenn ich Ihnen das erzählen wollte, Herr Doktor--" Er war fertig mit dem Rasiren und ich mit meiner Geduld. Ich sprang auf: Ich danke, Herr Metzig. Für das, was die Leute munkeln, habe ich kein Ohr. Der große Haufe schwatzt Unsinn und ver- leumdet seine Mitmenschen selbst dann fast immer, wenn er laut und offen über ihn spricht; wo man aber nur munkelt, da weiß der Menschenkenner mit aller möglichen Sicherheit, daß es sich um baares und meist schmähliches Hirngespinnst handelt." Ich trocknete mich selber ab. Das und meine Worte im Ver- ein beleidigten Herrn Aloys Metzig tief. Mit einer Verbeugung, die noch viel geschwinder vor sich ging als gewöhnlich, nahm er Abschied und verschwand, ohne ein Wort noch zu sagen. (Fortsetzung folgt.) der Zeit und des Volkes vorgeschritten ist, in deren Rahmen die Genies wirken. Und wenn nichts weiter feststeht, als daß ein Genie, welches durch tiefeindringendes Studium in die Werke seiner Vorgänger, in die Bedürfnisse seiner Zeit und das Wesen der menschlichen Natur aus- gezeichnet ist, höher steht und nothwendig größere Werke schaffen wird, als ein anderes, von solcher Berührung mit derSchule" jungfräulich frei- gebliebenes Genie, so wird zugegeben werden müssen, daß auch für diese auf der höchsten Stufe menschlicher Begabung Stehenden die Schule, das Studium, ein dringendes Bedürfniß ist. Aber bei hohem Kulturniveau verhält sich die Sache noch viel ungünstiger: da sind die menschlichen Charaktere und Handlungen so mannichsaltig und kom- plizirt, in ihrem Wesen wie in ihren Motiven, bei den Einzelnen, wie bei den Massen sind hier die Ansprüche der Phantasie, dort die des Verstandes und an dritter bester Stelle die beiden zugleich so ge- steigert und verfeinert, daß jeder Künstler, mag seine Begabung auch noch so gewaltig sein, auf dem Piedestal der Erfahrungen seiner Vor- läufer stehen, sich emporarbeiten muß an den Leistungen der Kunst- denker aller Zeiten; welches letztere übrigens umso leichter ist, als die Menschheit an wahrhaft großen Kunfttheoretikcrn leider nicht halb so- viel in den 2>/z Jahrtausenden ihres Kulturlebens aufzuweisen gehabt hat, als Jahrhunderte verronnen sind. Wer das Studium der Werke unsrer großen Künstler und Kunst- denker verschmäht oder ungenützt läßt, wird heutzutage ein Stümper bleiben müssen, und wenn er auch mit der natürlichen Begabung eines Shakespeare oder Schiller oder Goethe ausgerüstet wäre. Die Geschichte des Lebens und Wirkens unsrer großen Kunstheroen beweist das Gewicht, welches sie selbst alle auf das Studium, die Schule, gelegt haben, auf das deutlichste. Bei Shakespeare freilich können wir höchstens aus der stetig zunehmenden Vollendung seiner Schöpfungen, soweit uns die Zeitfolge derselben bekannt ist, auf den Eifer seiner Studien schließen, von seinem Leben und dem Gange seiner geistigen Ausbildung wissen wir viel zu wenig; von Schiller und Goethe lehrt aber die armseligste Biographie, daß sie Zeit ihres Lebens durch ihre Studien, vornehmlich durch ihre genialen Bemühungen um die Ergrün- dung der Kunstgesetze auf dem Boden dessen, was ihre Vorgänger ge- leistet, ihren Werken eine immer festere Grundlage zu geben gewußt. Daß Köberle meint, die heutigen Stätten der dramatischen Kunst beherrschten nicht Meister, sondern Stümper, ist uns bekannt. Natura- listen sind nach ihm die Heroen unsrer Bühne. Anhänger des nackten oder, wie unser Kunsttheoretiker sagt, offnen Naturalismus sind die tonangebenden Dramatiker der Gegenwart aller- dings nicht, aberverhüllte Naturalisten", d. h.Dramatiker, welche, sei's aus Mangel an wissenschaftlicher Bildung überhaupt, sei's aus