Die Zene Woll

No 8.

Illustrirtes Unterhaltungsblatt für das Volk.

Erscheint wöchentlich.

Viertes Kapitel.

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Preis vierteljährlich 1 Mark 20 Pfennig.

In Heften à 30 Pfennig.

Zu beziehen durch alle Buchhandlungen und Postämter.

Die Schwestern.

Roman von M. Kautsky.

Elvira hatte, wie es ihre Schwester errathen, durchaus nicht die Absicht, den Schullehrer durch ihre rosenfarbene Schleife in Entzücken zu versehen, sie hütete sich sogar, seinem Hause allzu nahe zu kommen, und wendete sich, aufwärts steigend, dem Kirch­hofe zu, dessen rückwärtige Umfriedung sie passirte, um dann, die Wiesen entlang, am Waldesrand einen Theil des Buchbergs zu umgehen. Wieder abwärts steigend, kam sie an das, am äußersten Ende der Vorstadt gelegene Haus der Hofräthin, ohne die Stadt berührt zu haben, ohne irgend jemand begegnet zu sein. Vor dem Gartenzaun an der Straße stand ein kleines, hölzernes Bänkchen. Sie setzte sich darauf und wartete. Es war sechs Uhr. Mit lustigen Augen blickte sie auf den Weg, der von hier aus eine Weile eben ging und dann nach rechts in sanften Win­dungen ansteigend, nach einem schönen Buchenwald   führte, der den Hügel bis zu seinem Gipfel bedeckte. Auf der Ostseite desselben, in einer weiten Lichtung, lag die Villa des Baron Hellenbach, von der die Hofräthin in so preisenden Worten ge­sprochen. Elvira wußte nichts davon, daß ihr Besizer demnächst erwartet wurde, und hätte sie's gewußt, sie würde nicht weiter daran gedacht haben. Sie war hierher gekommen in der über­müthigen Neugier, Alfred Depauli zu sehen, von dem sie soviel gehört und der sich absichtlich allen Blicken entzog. Nicht, als ob sie sich besonders für seine Person interessirt hätte, aber er war aus der Residenz und er war Künstler, er war der Bruder ihrer Freundinnen, er konnte ihr vielleicht einmal nützlich werden. Aber weshalb sogleich weitere Schlüsse ziehen? so forrigirte sie sich selbst, ich will ihn mir vorerst einmal besehen. Wenn er heute aber nicht diesen Weg genommen, wenn er garnicht hier vorüber käme? Was weiter, ich werde dann einen kleinen, sehr angenehmen Spaziergang gemacht haben. Wieder sah sie nach dem schön gebahnten Wege, der von hier in den Wald führte, dann sprang sie mit einemmale in die Höhe. Es machte sie doch ungeduldig, ihn hier zu erwarten. Und was habe ich davon, wenn er hier an mir vorüber rennt? kalkulirte sie. Begegnen wir uns unterwegs, ist eine Anknüpfung viel leichter möglich, natürlich muß ich sie ihm überlassen.

Sie sette ihr Hütchen etwas tiefer in die Stirn und schlug den einen Zipfel ihres Radmantels über die Schulter, was ihre schlanke Gestalt sehr malerisch kleidete, dann schritt sie aufrechten Ganges   den Weg hinan. Sie sah etwas unternehmend aus, diese Elvira, und man hätte fast vermuthen dürfen, daß sie diese

1881.

[ 1880]

( 7. Fortsetzung.)

gewünschte Anknüpfung nicht ihm und auch nicht dem Zufall allein überlassen werde.

Die Sonne stand am Rande der das Thal umschließenden Hügel; eine große, glühende Scheibe, die der Landschaft einen flammenden Scheidegruß zuwarf und alles in warme, röthliche Farben tauchte. Ein leiser Abendwind hatte sich erhoben und umspielte erfrischend Elvira's heiße Wangen.

Langsam, sehr langsam schlenderte sie den Fußweg entlang, immer aufwärts steigend, dem Walde zu. Einigemale blieb sie stehen und horchte. Ein Vogel oder ein anderes Thier war durch das Gebüsch geschlüpft, dann ward wieder alles still; nur hie und da ertönten einzelne Lockrufe eines verliebten Sängers. Auch sie drängte es, ihrem jungen Uebermuth in Tönen Luft zu machen, aus voller Brust ein Lied zu singen, das die Lüfte von ihren Lippen hinweg in unendliche Fernen trügen. Schon wollte sie anheben, da fiel ihr ein, daß dieser gramverstörte, die Einsamkeit suchende Maler dadurch grade verscheucht werden könnte. Der ist im stande und geht mir und meiner schönen Stimme grade aus dem Wege, und ich habe das Nachsehen, und nicht einmal das. Sie lachte in sich hinein. Nein, nein, ich muß ihn so plötzlich überkommen, daß er sich garnicht zu fassen weiß; ich werde dann Muße haben, ihn sehr genau zu betrachten, und das übrige wird sich finden. Ganz stille ging sie also vorwärts, erwartungsvoll, horchend, aber es regte und rührte sich nichts, nichts verkündete die nahende Ankunft eines Menschen. Sie blieb stehen und sah sich nach der Sonne um. Da sie selbst höher gestiegen war, stand sie, wie vorher, noch in voller Majestät am Bergesrand. Es bleibt noch eine Weile Tag, aber allzulange möchte ich doch nicht ausbleiben, murmelte sie. Eine Falte des Verdrusses zeigte sich über den noch ebenvorher so fröhlichblickenden Augen. Er wird nicht kommen, und ich will auch nicht länger seiner harren; ich gehe zurück. Sie ging gleichwohl immer vorwärts, aber mit stetig wachsender Ungeduld. Der Weg machte eine Krümmung nach links, ein weitverästeltes Gebüsch wuchs hier hervor, sie konnte den Weg erst weiter übersehen, sobald sie dasselbe erreicht haben würde; es schien ihr Endziel zu sein. Plötzlich fuhr sie zusammen. Waren das nicht Tritte eines Nahenden, hatte nicht das alte, vorjährige Laub darunter ge­raschelt? Sie horchté, nichts mehr; aber sie lief nun die kurze Strecke bis zu dem Gebüsch hinan, und hinter demselben hervortauchend, übersah sie den Weg, bis er sich im Walde ver­lor. Und richtig, da kam er des Weges, er, den sie hier finden

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