die Lektüre der tieckschen Uebersetzung des weltberühmten satirischen Romans ,, Don Quixote  " von Cervantes   und diejenige der ,, Reisen Gullivers  " von Swift. Daß das erstgenannte Werk überhaupt das erste war, welches dem verständiger gewordenen Knaben in die Hände fiel, hat wohl nicht wenig die früh schon rege gewors dene Neigung Heine's zur Satire befördert.

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Als die Zeit kam, um welche sich Heine   über die Wahl eines Lebensberufes entscheiden mußte, begann damit für ihn eine der qualvollsten Perioden seines Lebens. Seine eigene Neigung zum Universitätsstudium konnte nicht befriedigt werden, weil sein Vater nicht die dazu nötigen Mittel besaß. Er mußte sich daher dem Handelsstande zuwenden und kam im Jahre 1815 zunächst in ein Bankhaus zu Frankfurt am Main  , wo er indes nur zwei Mo­nate blieb. In dem Bankhause selbst ist er gar nur vierzehn Tage gewesen, da ihm das einförmige Treiben daselbst nicht das geringste Interesse abzunötigen vermochte, obwol er später ein­mal äußerte: ,, Gott   weiß, ich wäre gern Bankier geworden, es war zuweilen mein Lieblingswunsch, ich konnte es aber nie dazn bringen." Auch hat ihn die maßlose Bedrückung seiner jüdischen Stammesgenossen in der Handelsstadt am Main   zum Teil mit veranlaßt, der letzteren den Rücken zu kehren. Nachdem er sich wieder einige Zeit im Aelternhause aufgehalten, ging er im Jahre 1816 oder 1817 es fehlen uns über diesen Lebensabschnitt des Dichters genauere Nachrichten nach Hamburg  , um, da eben nichts anderes übrig blieb, es aufs neue mit der kaufmän­nischen Carrière zu versuchen. In Hamburg   gründete er zu Anfang des Jahres 1818 unter der Firma Harry Heine& Co." ein Kommissionsgeschäft, welches aber schon im Frühling von 1819 in Liquidation kam. Er gefiel sich in Hamburg   womöglich noch weniger als in Frankfurt  , und seine späteren Briefe und Schriften sind voll von rücksichtlosen Ausbrüchen übelesten Miß­muts über diese poesielose Stadt der Krämer und Bankiers", an die er wider Willen gefesselt war wie im Eise des Alster bassins   die armen weißen Schwäne, denen man die Flügel ge­brochen hatte, damit sie im Herbst nicht auswandern könnten nach dem warmen Süden, wo die schönen Blumen, wo die gol­denen Sonnenlichter, wo die blauen Bergseen", und zu alledem kam noch eine andere Pein, die um diese Zeit zum ersten mal sein Herz erfaßte und es sein ganzes Leben lang nie wieder ganz verlassen hat. In welchem Dichterleben spielt sie nicht eine hervorragende Rolle, die alte Geschichte  ", die ewig neu" bleibt und die seit Heinrich Heine's jungen Leiden" fast sprichwörtlich geworden ist.

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Alle Welt weiß jeßt, daß ich von Heine's   unglücklicher Liebe rede. Es ist uns lange unbekannt geblieben, wie das Mädchen hieß, welches der Gegenstand dieser tiefen Neigung gewesen, jetzt wissen wir, daß es eine in Hamburg   wohnende Cousine des Dichters war. Heine   selbst hat ihren Namen in den Privat­briefen an seine vertrautesten Freunde niemals genannt. Diese Liebe hat sie ihm ins Herz gehaucht, jene Lieder voll glühenden, schwärmerischen Verlangens, dämonischen Zorns, unheimlicher Todesahnung und wehmütiger Grabessehnsucht, und es war ein ganz andrer Ton, eine ganz andre Gewalt in den meisten dieser von Heine   unter einem Pseudonym am Anfang des Jahres 1817 zuerst in der Zeitschrift ,, Hamburgs Wächter" veröffentlichen Lieder, als in jenen schwachen Nachahmungen der Gedichte der romanti schen Schule, mit denen er sich bereits früher versucht hatte: ,, Ei, kennt ihr noch das alte Lied, Das einst so wild die Brust durchglüht, Ihr Saiten, dumpf und trübe? Die Engel, die nennen es Himmelsfreud', Die Teufel, die nennen es Höllenleid, Die Menschen, die nennen es Liebe!"

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Auch Heine's   Verwandten in Hamburg  , namentlich sein Onkel, der Bankier Salomon Heine  , begannen jetzt immer mehr einzu sehen, daß der junge Dichter zum Kaufmann verdorben sei, und legztgenannter Onkel versprach dem dummen Jungen", wie er den Neffen scherzweise gern nannte, endlich die Mittel zu einem dreijährigen Universitätsstudium. Er stellte dem Harry, als er ihm seine Unterstügung versprach, die Bedingung, daß er das Studium der Rechte ergreife, den Doktorgrad erwerbe und dann sich in Hamburg   als Advokat niederlaffe.

Heine gab sich vorläufig damit zufrieden und eilte, beglückt, daß er dem ihm verhaßten Berufe entsagen durfte, zunächst in seine Baterstadt( Sommer 1819), wo er sich vorerst einige Monate lang durch Privatunterricht noch weiter auf die Hochschule vor­bereitete. Auch sein poetisches Talent entwickelte sich in dieser

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stillen Zurückgezogenheit immer mehr, und sie klangen weniger düster und etwas beruhigter, die Verse, die er jetzt schrieb, was wol zum guten Teil mit auf den besänftigenden Einfluß zurück­zuführen ist, den seine Mutter wieder auf ihn übte:

,, Und immer irrte ich nach Liebe, immer Nach Liebe, doch die Liebe fand ich nimmer Und kehrte um nachhause, krank und trübe. Doch da bist du entgegen mir gekommen, Und ach, was da in deinem Aug' geschwommen, Das war die süße, langgesuchte Liebe...."

Im Spätherbst von 1819 begab sich Heine   mit seinem Freunde Joseph Neunzig nach Bonn  , um die dortige ausgezeichnete Uni­versität zu beziehen. Nach leidlich bestandener Maturitätsprüfung, der er sich unterwerfen mußte, weil er kein Abgangszeugniß von einem Gymnasium besaß, wurde er am 11. Dezember 1819 als Student der Rechts- und Kameralwissenschaften immatrikulirt. Ein sogenannter ,, flotter Bursche" ist Heine   nie gewesen; er beschränkte sich in seinem Umgang auf wenige Freunde, sprach wenig und wenn er es that, nur in furzen, drolligen Bemerkungen und Wizen; er war stets bestrebt, die große Weichheit seines Gemüts durch ein schroffes, zuweilen abstoßendes Verhalten zu verbergen, weshalb man ihm von mancher Seite Eitelkeit und Stolz vorwarf, er rauchte nie und befleißigte sich schon damals in Hinsicht auf den Genuß geistiger Getränke der größten Mäßig­feit, vor allem mochte er vom Bier nicht viel wissen; nur den Fechtboden hat er fleißig besucht, ohne es jedoch zu besonderer Fertigkeit in der Kunst des Fechtens zu bringen. Heinrich Heine  , sagt Adolf Strodtmann  , des Dichters Biograph und Heraus­geber einer kritischen Gesammtausgabe seiner Werke*), schloß sich in Bonn   der Burschenschaft   an, ohne jedoch an den Exzentrizi­täten einer hohlen Deutschtümelei oder gar an den Aeußerlichkeiten einer auffallenden Kleidertracht Geschmack zu finden. Er trug freilich während seines Aufenthalts auf der Rhein- Universität das schwarz- rot- goldne Band, das bald nachher als Abzeichen burschenschaftlicher Gesinnung so streng verpönt ward; niemals aber sah man ihn im damals üblichen altdeutschen Rocke, in welchem Menzel, Jarcke und die meisten anderen Studiengenossen einherstolzirten.

Das Studium der Rechte vermochte den jungen Dichter nicht zu erwärmen. Der trockne Inhalt alter und neuer Gesezesbücher flößte ihm keinerlei Interesse ein, und so besuchte er schon nach einigen Wochen nur ganz selten noch ein juridisches Kolleg. Mit um so größerem Eifer wandte er sich dagegen dem Studium der Geschichte und Literatur zu, und da waren es wieder die damals neuerwachten Bestrebungen zur Erforschung der alt- und mittelhochdeutschen Poesie- die sogenannten germanistischen Forschungen, denen er mit großer Aufmerksamkeit folgte. Neben Heine's wissenschaftlichen Strebungen blieb seine Muse nicht untätig. Die Traumbilder, Lieder und Romanzen der " Jungen Leiden", des ersten Abschnitts des Buchs der Lieder, haben ihre Entstehung zwar zum größten Teil schon in Hamburg  und dann in Düsseldorf   gefunden, jedoch sind manche derselben erst in Bonn   gedichtet worden, und hier entstanden auch die meisten der Sonette. Er brauchte diese lettere Strophenform in ganz eigentümlicher Weise, indem er in gellenden Tönen seinen Liebesschmerz in sie hineingoß und sie zum wunderlichen Kleid seines wilden, trozigen Weltwehs, zum Ausdrucksmittel für seinen beißenden Spott und Hohn über das Dasein und die Menschen seiner Zeit machte, und nur ganz zuleßt, in dem schönen Sonett: Ich möchte weinen, doch ich kann es nicht", kommt eine sanftere, mildere Seelenstimmung zur Geltung. Noch weicher und elegischer erscheint diese Stimmung in der Tragödie ,, Almansor  ", die er damals begann und gegen Ende des Sommersemesters 1820 weiter fortführte.

Ueberraschenderweise faßte Heine   im Herbste des genannten Jahres den Entschluß, Bonn   zu verlassen, ein Entschluß, den er auch schon im September ausführte, indem er sich zunächst zu seinen Eltern begab und nach kurzem Aufenthalt bei diesen zu Fuß durch Westfalen nach Göttingen   wanderte. Diese Fußreise erfrischte ihn und heiterte ihn auf, und noch lange Zeit nachher hat er der lieben, guten Westfalen, ein Volk, so fest, so sicher,

*) Ad. Strodtmann, Heinrich Heine's   Leben und Werke, 2 Bde, 2. Aufl. Stuttgart   1874( 6 Mark)." ,. Heine's sämmtliche Werte. Krit. Ausgabe, 21 Bde, Hamburg   1861-66( 38 Mark)." sämmtl. Werke. Volksausgabe, 12 Bde. Hamburg   1876( 18 Mart)."

H. Heine's