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über einen civilisirten Postwagen herzufallen, ihn auszuplündern und Mann und Maus darinnen todtzuschlagen oder wenigstens zum ewigen Angedenken zu skalpiren, wohingegen wir christlichgermanischen Deutschen z. B. es schon für garnicht schön erachten, wenn einer auf der Post einmal ein kleines Brieflein erbricht und sich in den Mitgenuß des Gedankeninhalts setzt,-furz, sie unterscheiden sich recht zu ihrem Nachteile von uns, diese roten Leute jenseits des großen Wassers, deren Biederkeit der wackere Seume in dem erwähnten Gedichte ein Denkmal aere perennius dauerhafter, als wäre es von Erz- gesetzt hat. Um dem Kanadier sowol als unserm Seume gerechtzuwerden, müssen wir uns den Schluß des Gedichts noch einmal vor Augen halten: der Pflanzer hat sich auf der Jagd verirrt und findet nach langem Suchen in dieser Wildniß und zwischen schwarzen Felsenwänden, über Stock und Stein, durch Tal und Bäche", endlich eine kleine Behausung, deren Insassen er um Obdach bittet:
Kommt herein, versetzt der Unbekannte, Wärmt euch; noch ist Feuer in der Hütte! Und er führt ihn auf das Binsenlager, Schreitet finster troßig in den Winkel. Holt den Rest von seinem Abendmahle, Hummer, Lachs und frischen Bärenschinken, Um den späten Fremdling zu bewirten. Mit dem Hunger eines Waidmanns speiste, Festlich wie bei einem Klosterschmause, Neben seinem Wirt der Europäer . Fest und ernsthaft schaute der Hurone Seinem Gaste spähend auf die Stirne, Der mit tiefem Schnitt den Schinken trennte, Und mit Wollust trank vom Honigtranke, Den in einer großen Muschelschale Er ihm freundlich zu dem Male reichte. Eine Bärenhaut auf weichem Moose War des Pflanzers gute Lagerstätte. Und er schlief bis in die hohe Sonne. Wie der wilden Zone wildster Krieger, Schrecklich stand mit Bogen, Pfeil und Köcher Der Hurone jezt vor seinem Gaste, Und erweckt ihn, und der Europäer Griff bestürzt nach seinem Jagdgewehre; Und der Wilde gab ihm seine Schale, Angefüllt mit süßem Morgentrante. Als er lächelnd seinen Gast gelabet, Bracht' er ihn durch manche lange Windung Ueber Stock und Stein, durch Tal und Bäche, Durch das Dickicht auf die rechte Straße. Höflich dankte fein der Europäer; Finsterblickend blieb der Wilde stehen, Sahe starr dem Pflanzer in die Augen, Sprach mit voller, fester, ernster Stimme: Haben wir vielleicht uns schon gesehen? Wie vom Blig getroffen stand der Jäger, Und erkannte nun in seinem Wirte Jenen Mann, den er vor wenig Wochen In dem Sturmwind aus dem Hause jagte, Stammelte verwirrt Entschuldigungen. Ruhig lächelnd sagte der Hurone: Seht, ihr fremden, flugen, weißen Leute, Seht, wir Wilden sind doch besfre Menschen! Und er schlug sich seitwärts in die Büsche.
Wie reimt sich nun die, möchte ich sagen, heroische Humanität dieser Gastfreundlichkeit zu der Wildheit, Sittenroheit und Gefüllosigkeit für fremdes Leid, wie sie den Indianerstämmen, gleich allen Völkern auf tiefer Kulturstufe, notorisch eigen ist? Wer sich das Antworten leicht zu machen gewohnt ist, wird geneigt sein, den menschenfreundlichen Dichter schlankweg der Erfindung oder zum mindesten gröblicher Uebertreibung zu zeihen. Solche Huronen lebten nur in Seume's Kopfe, wird er sagen; einem Menschen, den man nicht leiden kann, der einen schlecht behandelt hat, erweist ja nicht einmal ein Kulturmensch Woltaten, viel weniger ein Wilder. Aber so einfach ist die Sache doch nicht abzutun, denn Seume brauchte sich die Huronen seiner Poesie nicht erst selbst zu schaffen, sondern fand sie wirklich wildwachsend vor in den Wäldern der britischen Besizungen in Nordamerika , die er als von den Engländern dem Kurfürsten von Hessen abgekaufter und von dessen Werbern auf der Landstraße gestolener Soldat kennen zu lernen das Vergnügen hatte.
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Die Rothäute sind roh, furchtbar, tierisch roh- das ist eine unbestrittene Wahrheit; sie sind aber vielfach auch von einer weit über unsere Kulturbegriffe hinausgehenden Gastfreundlichkeit das ist nicht minder wahr.
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Ein umherſtreifender Indianer hat nicht nötig, auf eine Einladung zu warten, wenn er hungrig ist und vor einer fremden Indianerwohnung steht; er fritt ein, wenn es ihm so gefällt, ohne zu grüßen oder sonst ein Wort zu sagen, schaut sich nach Speisen um und Trank, sättigt sich und geht darauf von dannen, ohne auch nur die leiseste Notiz von seinem freiwillig unfreiwilligen Gastgeber genommen zu haben. Ist er müde, so legt er sich zum Schlafe nieder und zieht sich erst ebensowenig ceremoniös zurück, wenn er ausgeruht ist.
Die Indianer sind übrigens keineswegs die einzigen Menschen, welche sich durch die Tugend der Gastlichkeit auszeichnen; letztere findet sich vielmehr bei den meisten fulturarmen Völkern der Vergangenheit und Gegenwart.
Als das, eine herrliche, leider nur viel zu rasch vorübereilende Zukunft verheißende, Frührot der altgriechischen Kultur über die nordöstlichen Gestade des Mittelmeers hin zu leuchten begann, stand dort jeder Fremde, den sein Weg an hellenischer Tür vorüberfürte, unter dem Schuße des Zeus Xenios, des gastlichen Götterkönigs. Man fragte nicht, von wannen einer fam und wo er hinging, so wenig wie bei den amerikanischen Indianern, aber man ging ihm freundlich entgegen, bereitete ihm ein Bad, daß es ihn erquicke, lud ihn dann zum Male, das aus Fleisch, Brot und Wein bestand, ließ ihm von den sangeskundigen Dienern des Hauses von den Taten der Helden vorsingen, stellte ihm die Herrin des Hauses vor, die zwar nicht am Male teilzunehmen pflegte, sondern nur die Unterhaltung zu würzen kam, wärend sie gleichzeitig ihre häusliche Arbeit verrichtete. Erst wenn der Wein gesprächig gemacht, oft auch erst nach mehreren Tagen, fragt man den Fremdling nach Namen und Geschäft. Dann gönnt man ihm die Ruhe in der Halle des Hauses, wo aus weichen Lagerdecken für ihn eine Schlummerstätte bereitet wurde. Der Gast bleibt, solange es ihm gefällt, und wenn er scheidet, gibt man ihm freundliche Wünsche auf den Weg und ein Gastgeschent, welches zur Erinnerung aufbewahrt wird und oft als Besieglung einer Art von Gastfreundschaftsvertrag auf Gegenseitigkeit gilt.
Auch bei unsern Vorfahren und ihren Nachbaren, den Germanen und Slawen, hielt man auf gastfreien Empfang der Fremden. Daß sie zumeist nicht so reich waren, als die homerischen Helden, stört sie dabei nicht. Ungenirt verzehrten sie mit dem Gaste, was sie hatten, dann aber machten Gast und Gastgeber gemeinschaftlich einen Besuch beim Nachbar und aßen und tranken dem alles auf, was er besaß, um dann, wenn die Zechund Schmauseluft sich garnicht besiegen lassen wollte, auch mit diesem noch ein oder einige Häuschen zu gleichem Zweck weiterzuziehen. Tagelang währten so die Wandergelage unserer, wahrscheinlich noch mit besseren Magen als wir ausgerüsteten Altvordern. Die Slawen strengten sich nicht weniger für den Gastfreund an; hatten sie nach ihrer Meinung nicht genug, um ihn gebührend zu bewirten, so legten sie sich eifrigst auf das Rauben und Stelen, damit der Gast ja nicht zur Klage Ursache bekäme.
Von den vielen Völkern, welche bis in die letzten Jahrhunderte noch sich durch opferfreudige Gastfreundschaft auszeichneten, sind die unsern Lesern wenigstens dem Namen nach wohlbekann testen die Tscherkessen. Ihr freilich nach unsern Begriffen meist sehr ärmliches Haus stand dem Gaste völlig zur Verfügung; selbst die unverheirateten Töchter mußten ihm dienen, ihn liebkosen, und suchten sich ihm besonders dadurch gefällig zu erweisen, daß fie gewissen Thierchen nachstellten, welche den Körper, und vornehmlich das Haupt des würdigen Freundes oft in unzälbarer Menge heimgesucht hatten und belästigten.
Die den Tscherkessen benachbarten andern Kaukasusbewohner, die Osseten, jetzt noch im Westen des Kasbek wohnend, machen sich erst recht zum Sklaven des Gastes. Der Hausherr bedient stehend den Fremden beim Mal oder nimmt, wärend dieser ißt, als Schildwache mit einem Stod in der Hand vor dem Zelte play. Bei anderen Völkern auf derselben Kulturstufe bedient der Wirt den Gast, ohne selbst mit ihm zu essen, wie bei den im Norden vom Kaukasus sizenden Abchasen und den im Himalayaland Kafiristan zwischen Ostindien und Afghanistan wohnenden Kafirs oder Schiaposch. Bei einigen ähnlich gesitteten Völkerstämmen darf der Wirt in Gegenwart eines Gastes nur das essen, was der Gast ihm zuwirft. Gleichzeitig entwickeln diese Völker bei der Fremdenbewirtung eine Zartheit der Rücksichtname, wie man sie kaum für möglich halten sollte. Weil im Himalaya die Gebiete verschiedner Religionsgemeinschaften aneinanderstoßen und ineinanderlaufen, einzelne Religionen aber besonderen Vorschrift