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folgen beim Schlachten des Viehs, so bringt der Kafir dem un­bekannten Gaste, nach dessen religiösem Bekenntnis zu forschen, er für ungaftlich hält, das zur Verspeisung ausgewälte Schaf oder die Ziege lebendig, damit der Fremde sie nach dem Gesetze seiner Religion schlachten könne.

Bei einer großen Zal von Völkern gehen die Pflichten der Gastlichkeit noch viel weiter. So bei den Bewohnern des zum nordamerikanischen Alaska gehörigen Katharinenarchipels, gleich­wie bei den Tschuktschen und Korjäken im nordöstlichen Sibirien , bei einzelnen Stämmen der nordamerikanischen Indianer und selbst der arabischen Beduinen, bei denen die Frau des Gast­gebers gegen den Gast dieselben Pflichten zu erfüllen hat, als gegen den eignen Gatten. Bei den genannten sibirischen Stämmen gilt es sogar als eine schwere Beleidigung des gastlichen Hauses, wenn der Fremde nicht Gebrauch macht von den ihm durch diese Sitte eingeräumten Rechten.

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Auch der Brauch des Geschenkgebens an den abziehenden Fremden, welchen wir bei den Griechen fanden, bestand und besteht heute noch bei vielen Völkern. Unsre deutschen Ahnen erlaubten sich nicht einmal, die Geschenke selbst auszuwälen, sondern über­ließen das dem Gaste selbst er mochte nehmen, was ihm gefiel. Und den meist christlichen Bewohnern der in neuester Zeit viel­genannten Samoainseln tut selbst die Weisung des Neuen Testa­ ments nicht genüge: So du zween Röcke hast, so gib den einen dem, der keinen hat. Sie ziehen ihr gutes Kleid vom Leibe, falls sie eins haben, und tauschen es ein gegen das schlechte Gewand des ihre Gastfreundschaft ansprechenden Reisenden.

Vielleicht werden die Leser meinen, all' diese Gastlichkeit reiche immer noch nicht an den Edelmut hinan, den der seume'sche Hurone bewiesen habe, indem er seinem persönlichen Feind Obdach und Schutz gewährt habe.

Aber grade dies ist die Krone des gastlichen Benehmens der meisten wilden Völker, daß sie auch Feinde, Todfeinde sogar, so behandeln, wenn sie Schuh suchend an die Pforte des Hauses Klopfen.

Chamisso's Gedicht Corsische Gastfreundschaft" hat einen nicht minder reellen Hintergrund, als das oben citirte seume'sche.

Die Blige erhellen die finstre Nacht, Der Regen strömt, der Donner kracht, Der mächtige Wind im Hochwald saust, Der wilde Gießbach schwillt und braust. Und düsterer noch, als der nächtliche Graus, Starrt Rocco der Greis in die Nacht hinaus, Er stehet am Fenster und späht und lauscht, Und färt zusammen, wenn's näher rauscht. ,, Der Bote muß es, der blutige, sein.

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Du bist es, Vetter Giuseppe? Nein! Die Zeit ist träg es wird schon spat Ist solche Nacht doch günstig der Tat. ,, Du, Polo, bringst uns selber dein Haupt, Hast thöricht die Rache schlafend geglaubt, Hast her dich gewagt in unsern Bereich, Die Rache wacht, das erfärst du gleich. ,, Du kommst dort über den Gießbach nicht. Euch Schüßen geben die Blize Licht; Geschmähet seid ihr trefft ihn gut! Wascht rein die Schmach in seinem Blut!" Da pocht's an die Tür ', er fährt empor, Er öffnet schnell wer steht davor? ,, Du, Polo? zu mir? zu solcher Zeit? Was willst du? rede." Gastlichkeit.

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Die Nacht ist schaurig, unwegbar das Tal, Es lauern mir auf die deinen zumal." ,, JIch weiß dir Dank, daß würdig du hast Von mir gedacht: Willkommen mein Gast." Er fürt ihn zu den Frauen hinein

Und heißt sie ihm bieten Brot und Wein; Sie grüßen ihn staunend, gemessen und kalt; Die Hausfrau schafft ohn' Aufenthalt. Sobald er am Herd sich gewärmt und gespeist, Erhebt sich Rocco, der folgen ihn heißt, Und fürt ihn selbst nach dem obern Gemach: ,, Schlaf' unbesorgt, dich schirmt mein Dach." Er steht, wie im Osten der Morgen graut, Vor seinem Lager und rufet laut: Wach' auf! steh' auf, es ist nun Zeit; Ich gebe dem Gast ein sich'res Geleit."

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Er reicht ihm den Imbiß und führet alsbald Ihn längs des Tals durch den finstern Wald Und über den Gießbach die Schlucht hinan, Bis oben auf den freieren Plan.

Hier scheiden wir. Nach Corsenbrauch Hab' ich gehandelt; so tätest du auch; Die Rache schlief; sie ist erwacht:

Nimm fürder vor mir dich wol in acht."

Chamisso hat den Gegenstand seines Gedichts also auch tat­sächlichen Verhältnissen entlehnt, gleich Seume . Vorgänge, wie der von ihm im Jahre 1836 poetisch geschilderte, kommen heute noch vor auf der hochromantischen Insel des Mittelmeers, welche dem furchtbarsten Krieger der Neuzeit, Napoleon Bonaparte , das Leben gegeben. Dem Todfeinde, welchem eine Sippe die Vendetta , die Blutrache, erklärt hat, gewährt sie ohne Weigern Unterkunft und unverbrüchlichen Schuh, sobald er den geheiligten Bann des Hauses seiner Feinde einmal erreicht hat. Jenseits einer gewissen Grenze, hier der Gießbach, ist der Feind wieder der Rache ver­fallen, aber erst muß ihn sein Wirt in Sicherheit gebracht haben, er muß dessen Augen unversehrt entschwunden sein, bevor die Vendetta in ihr altes Recht tritt.

Genau dieselben Bräuche, und ebenso scharf ausgeprägt, finden wir bei südamerikanischen Indianerstämmen, z. B. bei den Goajiros, bei denen der Feind, wenn er erst in die Hütte eingedrungen ist, ohne daß ihn Pfeil oder Kugel erreicht hat, feierlich und freund­lich aufgenommen und bewirtet werden muß. Und wieder tritt uns hier ein Zug besonders zarter Rücksichtname vor Augen: gar oft nämlich verhüllt der Wirt sein Gesicht vor dem Gaste, damit diesen ja kein Blick des Hasses treffe. Auch bei nord­amerikanischen Indianern ist eine ähnliche zeitweilige Aufhebung der Todfeindschaft durch das Gastrecht im Schwang, wenn sie auch nicht grade so heilig gehalten und ausnamslos streng be­obachtet wird, als bei den soeben genannten Völkern und neben diesen bei den Arabern, den Kaukasusvölkern und den Kirgisen. Wol bei diesen allen, insbesondere aber bei den Bewohnern des Kaukasus , erstreckt sich der wirkliche Schutz über die Mauern des Hauses, ja selbst über das Weichbild des Dorfes hinaus, wenn der Wirt den feindlichen Gast begleitet oder ihm ein Zeichen seines Schutzes mitgibt, so auch bei den afrikanischen Takun, bei denen der Stab des Gastgebers als Sicherheitspaß gebraucht wird. Wird der Gast wärend der Dauer des wirklichen Schutzes getötet, so kommt bei verschiedenen Völkern, z. B. den Tscherkessen, dem Wirte und seiner Familie die Pflicht der Blutrache zu, bricht der Wirt selbst die Gastfreundschaft, so übt bei Tscherkessen und Osseten die Dorfgemeinde die Gerechtigkeit der Strafe, welche letztere meist in der durch Herabstürzen von einem Felsen geübten Todesstrafe besteht.

Zu verschiedenster Zeit und bei verschiedensten Völkern finden sich gesetzliche Verordnungen sowie eine Organisation gastlicher Fremdenbewirtung und Beschüßung gewissermaßen embryonal, im Keime, vor.

So bei den Burgundern, welche ursprünglich in den Fluß­gebieten der Neße und Warthe saßen und im fünften Jahrhundert nach Chr. zwischen den Alpen und Cevennen ihr vom Mittel­ländischen Meer bis zur Champagne hinaufgehendes Reich grün­deten. Bei ihnen wie bei den chinesischen Mongolen bestrafte das Gesetz die Versagung der Herberge mit schwerer Buße, bei den Burgundern in Geld, bei den Mongolen in Vieh.

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In Samoa hat bei zalreicherem Fremdenbesuch nicht selten. geschieht es, daß ganze Stämme solche Visiten abstatten die ganze Gemeinde einzutreten. Aus jeder Familie werden Mit­glieder ausgewält, welche für denjenigen Teil der Lebensmittel zu sorgen haben, der von einem mit dieser Aufgabe betrauten Häuptling als auf jede Familie fallend bezeichnet wird. Hat dem Stamme ein vornehmer fremder Häuptling die Ehre seines Besuchs geschenkt, so überreichen ihm alle Mitglieder des Stammes ohne Unterschied des Alters und Geschlechts, in feierlicher Gänsemarsch­Prozession bei ihm vorbei paradirend, die betreffenden Nahrungs­mittel, indem sie sie eines nach dem andern vor ihm auf die Erde legen.

Bei anderen, vorzüglich bei afrikanischen Negervölkern, über­trägt die Gemeinde ihrem Häuptling die Pflicht der Fremden­beherbergung, und gibt ihm dafür eine Abgabe, entweder einen größeren Anteil an der gemeinsamen Ernte, bei Einzelwirtschaft einen Fruchtzehnten u. dgl.

Da, wo die Beherbergung der Fremden durch die Gemeinde geschieht, werden dieselben häufig im Versammlungshaus des