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und wem davor bangt, sein teilnamsvolles Interesse könnte rasch in einer der ersten Apotheken der Residenz in Verwendung ge­verschwinden, sobald er die nüchterne Realität ins Auge faßt, standen, seit Jahren der Gelegenheit harrend, bis ihm selbst eine der mag nur gleich von vornherein von so' nem armen Dinge solche und zwar in der Hauptstadt übertragen würde. Jeden wegbleiben." Antrag, in der Provinz ein Geschäft zu übernehmen, hatte er Alfred erfaßte ihre Hand und sah ihr bittend in die Augen. mit Geringschäzung zurückgewiesen; er war, wie er behauptete, ,, Sie haben recht, und meine Außerung war töricht. Es Es ein Residenzler durch und durch und könne sich nur in dem groß­ist wahr, alles Kleinliche, Allzugewöhnliche stößt mich häufig ab, städtischen Leben behaglich fühlen. Er ließ bei einem ersten aber das Nützliche kann und darf nicht lächerlich werden, und Schneider arbeiten und zälte sich selbst, obgleich er nicht eine ich weiß, daß gerade das einfachste Kleid und die einfachste Be- Spur von Eleganz an sich hatte, unter die Dandys. Er hatte schäftigung uns ein Mädchen unendlich rürend erscheinen lassen." eine Leidenschaft für die dramatische Kunst und ihre Künstler, Sie nickte versöhnt. einen noch größeren Enthusiasmus aber für die Kunst in der ,, Dann kommen Sie." Manège. Er besuchte jede Première und hatte im Cirkus unter den Sportsmen und Eingeweihten beim Eingang in die Manège seinen Platz, wo man ihn Baron titulirte und ihn mit Jhchau" begrüßte. Er war stolz und glücklich, und eine eben entrirte Liaison mit einer freilich etwas untergordneten Reitkünstlerin sie fand nur in der Quadrille Verwendung versezte ihn in den siebenten Himmel. Aber ein tückisch grausames Geschick raubte ihm seine Freuden und er ward aus seinem Eden hinaus­gestoßen für immer. Am Morgen nach einem Abend, wo alle Genüsse des Cirkus sich ihm erschlossen und er noch in der Er­innerung all der ungesattelten Renner, der Voltigen und Salti mortali schwelgte, fertigte er ein Rezept aus, nach dessen Zusich­name eine widerstandsunfähige Patientin sanft verschied. Eine Analyse des Medikaments ergab, daß in demselben statt Chinin Morphin enthalten war und die gerichtliche Untersuchung bezeich­nete Wazlav Germanet als den Schuldigen. Er leugnete und behauptete, die Verwechslung müsse schon bei Füllung der Vasen stattgefunden haben; sein Verteidiger machte noch ferner geltend, daß die Kranke so miserabel war, daß sie ja sowieso gestorben wäre; man acceptirte zwar Milderungsgründe aber der Cirkus­baron mußte dennoch zwei Monate sizen. Als er herauskam ward er seiner Stelle entlassen und mit seiner Carrière in der Residenz war es für immer vorbei. Tiefgebeugt, von Gram durchwült, verließ er den Schauplatz seiner künstlerischen Ge­nüsse und ging in das kleine Landstädtchen Waidingen, wo er eine Stelle als Provisor erhalten hatte. Bald nach seiner An­kunst starb sein Chef, aber nicht an Morphin, sondern an Tuber­kulose. Zwei Jahr später war Wazlav Germanek der glückliche Besizer der Apotheke und, da das eine nicht ohne das andere zu haben war, der zurückgelassenen Wittive. Sie ermangelte nicht, ihm zu beweisen, daß dies für ihn ein außerordentliches, unverdientes Glück sei, und es blieb ihm nichts anderes übrig, als es zu glauben. Er war in diesem Augenblick mit der Mi­schung unterschiedlicher Schnäpse beschäftigt, was in Hinblick auf die fette Abendmalzeit als eine für seine Gäste ersprießliche Tätigkeit angesehen werden konnte; er selbst kostete ein wenig davon, um sich schon vorher den Magen gegen Wurstsuppe und Specfraut zu wappnen, dann machte er sich wieder bei den Mädchen, namentlich bei Elvira zu schaffen, bei welcher er für seine Komödien- und Cirkus- Geschichten, welche er nur allzugern auftischte, ein offenes Ohr fand. ( Fortsetzung folgt.)

Einen Augenblick später standen sie beide im dunklen Hofe des Hauses und blickten durch das ebenerdige und, was sie nicht erwartet hatten, sogar geöffnete Fenster in die Wohnstube der Fa­milie des Apothekers Germanek. Ein kleiner weißer Vorhang, der vorgezogen war, schützte sie selbst vor einer Entdeckung, ohne ihre neugierigen Augen nur im mindesten zu beschränken; sie übersahen einen ziemlich großen, hellerleuchteten Raum, in dem sich eine Anzal von Personen, in der Mehrzal Mädchen, zu­sammengefunden, die in ihrer gemeinschaftlichen Tätigkeit ein hin­länglich bewegtes Bild darboten. Fast ein Dußend jener lieb­lichen Geschöpfe zwischen achtzehn und zwanzig Jahren standen um einen mächtig großen Tisch herum, in dessen Mitte ansehn­liche Stücke des weißen glänzenden Speckes aufgehäuft lagen, indeß jede von ihnen auf einer hölzernen Scheibe, die sie vor sich hatte, bemüht war, denselben in zierliche Würfel zu schneiden. Die fleißigen Hände arbeiteten unermüdlich weiter, und da die Mündchen auch nicht feierten, so entstand ein Geschnatter und Geficher, ein Durcheinander von Stimmen. und Sprechweisen, so daß man im ersten Augenblick diesem Tohuwabohu etwas ver­wirrt gegenüber stand. Die Wand, dem Fenster gegenüber, zierte ein hochaufragendes Buffet, auf welchem die Hausfrau die Schüsseln, die sie soeben aus der Küche hereinbrachte, aufzu­stellen begann. Es war eine große, magere, grobknochige Dame, die an diesem mit Schweinefett gesegneten Tag sich in etwas nachlässiger Toilette präsentirte. Sie hatte, obwol sie den Höhe punkt weiblicher Anmut längst überschritten, sich kürzlich wieder verheiratet und liebte es nun, die kokette Verschämtheit der neu vermälten Wittwe zur Schau zu tragen. Sie rief den umher flatternden Gatten immer wieder an ihre Seite, um ihm ein zärt liches Wort, einen zärtlichen Blick zu schenken, oder ihn wohl gar mit ihren spizen Ellbogen schäfernd in die Seiten zu stoßen, welche Liebenswürdigkeit der Gatte mit einem süßsauren aber Röschen" beantwortete, worauf sie, ihre Stimme zu einem hohen Distant zwingend, ein ,, Wazlav" girrte.

Herr Wazlav Germanet war ein wolkonservirter Vierziger, dessen einst quecksilberne Behendigkeit durch ein anwachsendes Embonpoint sich etwas vermindert hatte. Traurige Ereignisse, der Gram, so behauptete er, hätten diese Fettansammlung be­günstigt. Ein trüber Schatten war auf seine jüngste Vergangen heit gefallen. Er war Magister der Pharmacie und als Gehülfe

Heber die geistigen Gefeße, denen der Fortschritt der Civilisation unterworfen ist.( 2. Fortsetzung.)

Eine dritte große Ursache, welche die Neigung zum Kriege schwächte, ist die Erleichterung des Verkehrs der Völker unter­einander durch die Anwendung des Dampfes, wodurch frühere Vorurteile gehoben wurden und die verschiedenen Völker, statt, wie bisher, einander zu hassen, sich gegenseitig keunen und achten

lernten.

So haben z. B. die Franzosen und Engländer blos durch die Macht vermehrten Verkehrs günstiger von einander denken lernen, und jene törichte gegenseitige Verachtung, der sie sich früher hin­gaben, fallen lassen.

In jedem Falle wird ein gebildetes Volk, jemehr es mit einem andern bekannt wird, destomehr bei ihm zu schäßen und nach­zuahmen finden. Von allen Ursachen des Nationalhasses ist Un­wissenheit die mächtigste; jemehr aber der Verkehr zunimmt, desto­mehr nimmt die Unwissenheit ab, und so vermindert sich der Haß. Diese Verminderung des häßlichsten aller menschlichen Laster hat mehr genutzt, als alle Lehren der Moralisten und Theologen, welche jahrhundertelang ihr Amt ausgeübt, ohne die Kriege im geringsten zu vermindern. Jede neue Eisenbahn dagegen, jeder

neue Dampfer ist eine neue Garantie für die Herbeifürung fried­licher Zustände, welche allein das Glück und die Interessen der Völker zu erhalten und zu fördern im stande sind. So haben wir gefunden, daß religiöse Verfolgungen und Kriege, die beiden größten Uebel, welche die Menschen bisher ihresgleichen zugefügt haben, fortdauernd, wenn auch langsam, im Abnemen begriffen sind und daß ihre Abname bewirkt worden ist weder durch den Einfluß sittlicher Gefüle, noch durch moralische Lehren, sondern einzig und allein durch die Tätigkeit des menschlichen Verstandes. und durch die Erfindungen und Entdeckungen, welche der Mensch im Laufe der Zeiten gemacht hat. Dank dieser intellektuellen Tätigkeit sind die Hauptkulturvölker seit einigen Jahrhunderten hinlänglich fortgeschritten, um den Einfluß jener physischen Mächte abzuschütteln, durch welche auf einer frühern Stufe ihre Ent­wicklung gehemmt wurde. Im ganzen also hängen die Ver­änderungen bei jedem Kulturvolte einzig und allein von drei Dingen ab: zuerst von dem Umfang des Wissens seiner aus­gezeichnetsten Männer, zweitens von der Richtung, welche dieses Wissen nimmt, d. h. von den Gegenständen, auf welche es sich