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türkischen Regierung und ihrer Untertanen herbeifürt und die Besetzung des Landes durch die Russen, denen der Rubel voranreitet, nur als eine Frage der Zeit erörtern läßt. Deshalb ist der Aufrur perma­nent. Was wir von dem Ringen für die kurdische Unabhängigkeit vom Türkenjoch aus den letzten Jarhunderten wissen, hat Moltke aufgezeichnet. Die Kurden können sich des seltenen Falles rühmen, die Pläne des schweigsamen Schlachtenlenkers durch einen kühnen Ueber­fall bei Nisibin durchkreuzt zu haben. Die Nachkommen Noahs, wie sie sich zu nennen pflegen, hat noch niemand zu bändigen verstanden. Anfang Oktober dieses Jares umzingelten sie die Stadt Urmia und forderten sie zur Uebergabe auf. Die Belagerungsmetode der Kurden ist die auch bei den Turkmenen übliche Verwüstung der Umgebung und Abgraben des Wassers. Der englische Generalkonsul von Tabris , der persischen Handelsstadt an der Grenze des asiatischen Rußland , Herr Abbot, bemüte sich, das fürchterliche Blutvergießen abzuwenden, wenn die Stadt erstürmt wird. Auch Persiens reguläre Truppen rückten mit Artillerie zum Entsatz heran. In früheren Jaren zerstreuten sich die Kurdenhorden nach dem ersten Schuß der weittragenden Kanonen, um unbehelligt unter ihren Zelten zn verschwinden, aber die Zeiten haben sich gewaltig geändert. Die bisher ohne staatlichen Verband nur wä­rend der Raubzüge zusammenwirkenden Familienoberhäupter haben in Scheik Abdullah Khan aus dem Stamme der Zibari einen militä­rischen Organisator gefunden, der seine Marschordnung warscheinlich von dem russischen Kriegsministerium diktirt bekommt, denn er schiebt seine Reiterschaaren, deren Vorzug in ihrer unnachahmlichen Beweg­lichkeit besteht, in zerstreuten Schwärmen nach Norden vor, um, wenn er in der Provinz Aderbeidschan, dem Grenzteil zwischen Persien , der Türkei und Rußland , geschlagen werden sollte, mit legteren Fülung zu behalten. Nur Rußland ist im Stande, mit der barbarischen Beharrlichkeit, mit welcher es den Kaukasus unterwarf und dessen mohamedanische Bewohner zur Auswanderung zwang, auch mit den Kurden fertig zu werden, um mit den besoldeten Unterjochten Kleinasien und Persien zu bedrohen. Schon der Czar Peter der Große , der im Jare 1722 die kaukasische Mauer besuchte, und der russische Oberst Werchowsky, der sie im Jare 1818 vermessen und aufgenommen hat, wiesen auf die Notwendigkeit hin, Kurdistan dem russischen Länder­foloß einzuverleiben und dadurch in den Besitz der Tigris- und Euphrat­mündungen zu gelangen und den englischen Besizungen in Indien zu Schiffe beizukommen. Väterchen Czar scheint zu diesem Zweck auch Genieoffiziere zur Leitung des gegenwärtigen Kurdenaufstandes kom mandirt zu haben. Allem Anschein nach hält die russische Regierung den gegenwärtigen Zeitpunkt für sehr günstig, den längst morsch ge­wordenen Persertron umzustoßen. Die Kurden haben die Belagerung von Urmia plößlich aufgehoben und gegen ihre bisherige Kampfweise bei Ankhar, etwa 6 Kilometer von Urmia , die zum Entsazz heran­rückende persische Armee angegriffen. Nach großen Verlusten auf bei­den Seiten sollen die Kurden zurückgeschlagen worden sein. Auf ihrem Rückzuge haben sie Ankhar niedergebrannt, 200 Einwoner niederge­macht und den Rest gefangen weggeschleppt. Vorläufig hat Rußland an seiner Grenze ein Beobachtungskorps von 30 000 Mann aufgestellt, das, Gewehr beim Fuß, den Greueln zusieht, oder vielmehr auf den Augenblick lauert, um einen Teil von Persien oder von der asiatischen Türkei in dem nimmersatten Rachen Rußlands verschwinden zu lassen. Leider mußte das Verderben über eine Reihe von blühenden Ört­schaften hereinbrechen, um uns das Kurdenvolk in Erinnerung zu bringen, von dessen erfolgreichem Widerstand gegen Alexander von Macedonien, gegen Chrosreff, Nuschirwan und andere Fürsten der Cha­ saren uns die Aufzeichnungen von Baer , Gmelin und Klaproth erzälen und um dessen abenteuerliches Leben die parsischen Chroniken einen Märchenkranz gewoben haben. Dr. M. T.

Das Erdbeben zu Agram . Seit der Zeit vom 9. November an ist über Agram , der Hauptstadt des zum österreichischen Kaiserstaat gehörigen Königreichs Kroatien , ein furchtbares Unglück gekommen. Der Tag des 9. November war kaum angebrochen; die Uhr zeigte 34 Minuten 15 Sekunden über 7 Uhr, da erbebte die ganze, mehr als 25 000 Einwohner zälende Stadt unter donnerähnlichem Krachen in ihrem gesammten Fundamente, und sofort schlugen von den Dächern herab Schornsteine, Gesimse brachen herunter, Feuermauern stürzten zusammen; was von dem Mauerwerk der Häuser nicht völlig zusammen­brach, bekam Risse, alle Möbel in den Wonungen wurden zu Boden geworfen und größtenteils zertrümmert, daß alles prasselte und krachte, als wenn die Welt unterginge, und es wurde wieder ganz Nacht, denn eine dice Staubwolfe legte sich über die so urplößlich und gänzlich unerwartet hereingebrochene Zerstörung. Nur zehn Sekunden hatte dieses erste Erdbeben gedauert; die erste Bewegung war wirbelförmig drehend gewesen, ihr folgten wärend der angegebenen Zeit heftige Stöße

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in der Richtung von Nordnordost gegen Südsüdwest. Der Schrecken der Einwohnerschaft war selbstverständlich ungeheuer. Jammernd und ratlos liefen sie in ihren Behausungen hin und her oder flüchteten hülfeschreiend und händeringend auf die Straßen, wo sie ein Hagel von Ziegelstücken, Fensterkreuzen und Giebelbalten empfing. Ohne Ver­wundungen konnte es da nicht abgehen; beinahe als ein Wunder könnte es angesehen werden, daß nur ungefär 12 Menschen lebensgefärlich, und dann noch einmal soviel leichter verletzt wurden, indeß ein ein­ziger sofort tot auf dem Plage blieb. Als das erste Entsezen vorüber war, ging man sofort an die Räumung aller in erheblicher Weise ge­schädigten Wohnungen. Die einen zogen zu Bekannten oder Verwanten, deren Häuser bewonbar geblieben waren, andere mieteten sich familien­weise in Omnibussen und Wagen ein, wieder andere namen Quartier in den Kaffeehäusern und Restaurationen, die unausgesezt gefüllt waren, weil in ganz außerordentlich viel Defen, auch in denen von bewohnt blei­benden Häusern, nicht gekocht werden durfte. Als man den Schaden einigermaßen überblicken konnte, fand man, daß kaum eines von den mehrstöckigen Häusern ganz ohne Beschädigung davongekommen war. Wenigstens 500 Feuermauern waren eingestürzt und tausend Schorn­steine niedergebrochen. Man schätzt den Schaden auf 3 bis 5 millionen Gulden, ohne die furchtbare Zerstörung, welche die Kirchen heimgesucht hat. In der einen, der Markuskirche, stürzte der älteste Teil der west­lichen Giebelwand und ein zum Zwecke einer Renovirung der Portale auf­gerichtetes Gerüst ein und verwundete dabei die vier auf dem Gerüst be­schäftigten Arbeiter schwer. Gleichzeitig rissen die die Westfront mit dem Schiff der Kirche verbindenden Gemäuer auf beiden Seiten, vom Dache an bis auf den Fußboden auseinander, sodaß diese Front völlig von der Kirche getrennt wurde. An einer zweiten, der Katharinenkirche, stürzte der größte Teil des Stirngiebels ein und die hohe Mauer des Satteldaches verschüttete eine ganze Straße. Am schlimmsten ist es der Das in gotischem Stile großartig angelegten Domkirche ergangen. Neggewölbe oberhalb des Sanktuariums, d. i. der Hauptaltar, wurde zertrümmert, schmetterte den Hochaltar wie den Stul des Erzbischofs und die Chorſtüle zu Boden, und vergrub sie unter meterhohem Trümmer­werk. Daneben trägt der Dom noch an allen Ecken und Enden ge­waltige Spuren der Zerstörung. Auch die Universität, das General­kommandogebäude, die erzbischöfliche Residenz haben so gelitten, daß Weit über das sie ganz oder zum größten Teil unbenutzbar wurden. Weichbild der kroatischen Hauptstadt hinaus machte sich das furchtbare Naturereigniß merkbar. Sogar in Wien und Budapest spürte man es, und in zalreichen Ortschaften Kroatiens richtete es Schaden an, ohne jedoch ( Schluß folgt.) irgendwo so vernichtend aufzutreten, als in Agram .

Literarische Umschau.

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Deutscher Jugendschat. Ein Festgeschenk für die reifere Jugend." Preis eleg. broschirt 1 M., kart. 1 M. 20 Pf., eleg. geb. 1 M. 50 Pf. Leipzig , W. Fint. Wie im vergangenen Jare die Verlags­handlung dieser Zeitschrift die ,, Edelsteine deutscher Dichtung", die sich noch immer außerordentlichen Beifalls erfreuen, herausgab, so legt sie jetzt ein schönes Festgeschenk für die Jugend auf den Weihnachtstisch, das sicherlich allen Lejern der, Neuen Welt" willkommen sein wird. Der Inhalt des durch zalreiche Illustrationen geschmückten Buches, über den aus dem Inseratenteil d. Bl. Näheres ersichtlich, besteht durchweg aus vortrefflichen Originalarbeiten von W. Hasen clever. unter dessen redaktioneller Mitwirkung die Schrift erschienen ist-, Fräulein Meta Wellmer, Dr. Ed. Reich, Dr. H. Didtmann, W. Liebknecht, Rudolf Lavant , Dr. Max Vogler u. a. m. Wir können uns dem Lobe, das dem Buche von hervorragenden Zeitschriften gespendet wird, nur rückhaltslos anschließen und den Jugendschatz" nicht allein für die reifere Jugend, sondern auch allen Eltern und Jugendfreunden aufs wärmste empfelen. Durch den billigen Preis wird die Anschaffung des hübschen Festgeschenkes jedermann ermöglicht.

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E. K.

,, Die Mappe", Fachzeitschrift für dekorative Gewerbe, Heraus­geber und Redakteur Friedrich Nauert, Verlag von E. 2. Morgenstern, Leipzig , Königstraße. Was die ,, Mappe" will, hat unsern Lesern der Prospekt mitgeteilt, der das, vom 1. Januar 1880 ab, allvierzehntägige Erscheinen des in einem Bogen von 8 Quartseiten zur Ausgabe ge­langenden Blattes ankündigt. Wer unsere Kunstgewerbe sammt ihrer hohen und bedeutungsvollen Aufgabe wie ihren noch so sehr unzu­reichenden Leistungen kennt, wird zugeben, daß ein Blatt, wie die ,, Mappe" es zu werden verspricht, einem garnicht lebhaft genug zu empfindenden Bedürfnis gerecht wird, und deshalb werden sie auf das, was die ,, Mappe" an Belerung bereit hält, gleich uns gespannt sein. Die Illustrationen zeigen, gleich dem Text des Prospekts, daß sich die Redaktion der Mappe" des Umfangs wie des Inhalts ihrer Auf­gabe bewußt iſt.

Inhalt. Die Schwestern, Roman von M. Kautsky( Fortseßung).

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Ueber die geistigen Geseße, denen der unterworfen ist( Fortsetzung). Heinrich Heine . Ein Lebens- und Charakterbild, von Dr. M. Vogler( Fortsetzung). geist, von H. E.( XII.) Zum Weihnachtsfest, Gedicht von Max Vogler. Störfang in der Elbe ( Schluß). stration). Der Raubzug der Kurden( mit Illustration). Das Erdbeben zu Agram. Literarische Umschau.

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Fortschritt der Civilisation Mein Freund, der Klopf­In Versuchung( mit Julu­

Expedition: Färberstraße 12. II. in Leipzig .

Verantwortlicher Redakteur: Bruno Geiser in Leipzig ( Südstraße 5). Druck und Verlag von W. Fink in Leipzig .