Bewegung unter denjenigen Mädchen, die vom Fenster abgewendet standen und die er am flüchtigsten beobachtet. Das eine derselben langte nach einem größeren Speckstück, umt es auf ihr Brettchen zu legen, und warf dabei das neben sich hingelegte Messer zu Boden. Es fur mit der Spize in das weiche Holz des Fußbodens und blieb darin stecken. Das Mädchen sprang zurück, und auf das Messer deutend, rief sie laut:
"
Seht, seht, das bedeutet einen Gast!"
Marie hatte sich rasch umgewendet. Sie lächelte. Jetzt erst konnte Alfred das jugendlich reizende Gesichtchen sehen, und das Geschmeidige der zarten Gestalt, die sich nach dem Messer bückte, um es aufzuheben. Er bemerkte, daß der Aermel ihres, ach nur gar zu einfachen Kleides, etwas zurückgeschlagen war und den weißen Arm in seiner vollen Rundung zeigte, er sah, wie sie das Meffer sorgfältig abwischte, und es hierauf der Ungeschickten wieder übergab. Es lag ein so freundlicher, bescheidener Liebreiz in dieser einfachen Handlung und in dem ganzen Wesen, man mußte es nur genauer ansehen. Alfred empfand es tief, er vermochte seine Auge nicht mehr abzuwenden.
,, Nun," fragte jetzt Luise ,,, ich habe Ihnen genügend Zeit für Ihre physiognomischen Studien gelassen, sagen Sie mir nun, haben Sie die Rechte gefunden? schnell, bezeichnen Sie sie mir, und lassen Sie uns gehen, ich mag nicht länger außen verweilen, es ist doch kül."
Ich glaube meine kleine Heldin gefunden zu haben," sagte er langsam, ohne sich zu rüren.„ Es ist nur Eine hier, die dem rürenden Bilde gleicht, das ich mir entworfen, und das ist diese, die ist's, die das Messer aufgehoben."
,, Errathen!" rief Luise in freudiger Ueberraschung so unbedacht laut, daß man es notwendig im Zimmer hätte hören müssen, wenn nicht alle Aufmerksamkeit der Anwesenden durch Elvira in Anspruch genommen gewesen. Sie hatte in ihrem Uebermut Heini zum Kampf aufgestachelt, ihre Klingen trafen auf einander.
Herr Germanet stand neben ihr, er applaudirte und zeigte sich höchlichst ergött. Er versicherte, das sei ganz wie bei Renz, wo die Sennora Dobella im Messerkampf das Ueberraschendste geleistet habe, nur daß sie sammt ihrem Gegner zu Pferde gewesen sei.
Bravo , bravo," rief er, gerade so einen Ausfall machte sie, Fräulein Elvira, jetzt springen Sie zurück, bravo! Was für eine herrliche Stellung, wahrhaftig, ich sehe die Sennora vor mir, ein göttliches Weib!"
Frau Germanek wollte sich abwerend nähern und getraute sich doch nicht hinzu und so befal sie denn, sich in vorsichtiger Entfernung haltend, sie sollten aufhören, da mit solchen Dingen fein Spaß zu machen sei und die Mädchen riefen nun ebenfalls im Chor: Aufhören, aufhören!"
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Elvira aber hieb nur noch kecker drein, und jetzt schlug sie dem etwas zurückweichenden Heini das Messer aus der Hand, daß es klirrend zu Boden fiel. Sie brach hierauf in ein triumphirendes Gelächter aus, das den, besiegten Jungen ganz sinnlos machte. Er stürzte nach ihr hin, um ihr das Messer zu eutwinden, sie aber flüchtete vor ihm und um den Tisch herumlaufend, versicherte sie lachend, sie werde nur gutwillig das Messer aus der Hand legen. Heini, der ihr nachsetzte, wurde von den Mädchen zurückgehalten- und machte sich immer aufs neue loser scherzte nicht mehr, er war wirklich wütend, er hielt sich in seiner Ehre gekränkt. Jezt kam Elvira an dem Fenster vorüber, noch immer ihre Waffe in der Hand. Sie warf einen Blick nach demselben, stuzte und hielt inne. Im nächsten Augenblick hatte sie das Messer beiseite geworfen, und sich hierauf auf das Fensterbrett schwingend, riß sie den Vorhang zurück.
,, Ah, wir haben Zuschauer, wir werden belauscht," rief sie. Tante Luise hatte nur eben noch Zeit gehabt, den Vorhang los zu lassen, und die verräterische Hand, welche Elvira bemerkt hatte, zurückzuziehen.
" Pst," flüsterte sie jetzt ihrer Nichte zu ,,, verrate uns nicht, wir wollen uns still entfernen."
Aber schon war es zu spät. Elviras Ruf hatte Herrn Germanek und Frau und die Töchter des Hauses nach dem Fenster stürzen lassen; sie bewillkommten Fräulein Weiß, alle schienen der Meinung, sie beabsichtige einen Besuch, und habe sich durch das Fenster ankündigen wollen. Zugleich bemerkte man ihren Begleiter. Frau Germanek vermochte ihn zwar in der Dunkelheit nicht zu erkennen, aber sie bat ihn nichtsdestoweniger einzu
treten.
„ Gleich durch die Küche, nicht erst durch die Offizin," verfügte sie, worauf der Apotheker und einstige Cirkushabitué über das Fensterbrett voltigirte und draußen, indem er Luise und Alfred bei den Händen faßte, in dringendster und unbändig liebenswürdiger Weise zum Hereinkommen nötigte. Eine Weigerung war unmöglich, die begangene Indiskretion ließ sich auch in keiner andern Weise bemänteln. Tante Luise glaubte übrigens zu bemerken, daß sich Alfred in diese Zwangslage mit gutem Humor zu finden wußte. Indeß war im Zimmer unter den Mädchen eine Bewegung entstanden, es gab ein Flüstern, ein Hinundherschießen, ein heimliches Kichern und wieder Zusammenrotten.
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Ein junger Mann ein Fremder das steckengebliebene Messer, das den Gast ankündigte"- das waren die Schlagworte, die unter ihnen zirkulirten und alle in Aufregung brachten.
Jezt ward die Türe aufgerissen und der Apoteker fürte seine Gäste wie im Triumph auf, mit einigen burlesken Körperwendungen sich bald nach dem einen bald nach dem andern herumdrehend und endlich Herrn Depauli seiner herbeieilenden Gattin vorstellend.
Marie war bei Alfreds Anblick erblassend zurückgefaren, dann stieg eine heiße Röte in ihr auf und tauchte selbst Stirn und Nacken in ein rosiges Inkarnat. Noch hielt sie das Messer in der Hand und im Schreck und in der Verwirrung begann sie es in den Zipfel ihrer Schürze abzuwischen. Sie schnitt sich dabei in den Finger ohne es fülen, ohne es auch nur gewar zu werden, all ihr Empfinden war anderswo. Gleich bei seinem Eintritt hatten sie seine Augen gesucht und gefunden; trotz der Entfernung und über alle hinweg trafen ihre Blicke zusammen, sie erſchauerte darunter. Im tiefsten Herzen quoll es geheimnißvoll empor, es war ihr, als überflute sie ein eigenartiges Gefül der Wonne und als umwebe sie dieser Strom von Glückseligkeit allgemach auch von außen, als sei es eine andere Atmosphäre in der sie atme, und als schwebe sie dem Lichte entgegen, vor dem alles, das sie vorher umgab, dunkel zurücktrat. Sie fülte nur ihn, sie sah nur ihn!
Frau Germanet erschöpfte sich indeß in Liebenswürdigkeiten. Sie hätte Alfreds Besuch längst erwartet, versicherte sie, und sie habe sich einigermaßen gewundert, daß er so lange damit gezögert habe, sie und seine selige Mama seien ja Freundinnen ge= wesen, freilich wäre jene bedeutend älter gewesen, fügte sie rasch hinzu, aber einerlei, dies erkläre das große Interesse, das sie immer für den einzigen Son dieser Freundin empfunden habe. Sie dürfe wol auch seinerseits einiges Interesse für ihr Haus und ihre Kinder voraussetzen.
Sie winkte hierauf ihrer Amanda näher zu kommen. ,, Meine Amanda, was, sie ist groß geworden?" ,, Und hübsch," fügte Alfred mit einem verbindlichen Lächeln hinzu. Amanda errötete vor Vergnügen.
,, D, ich bitte," sagte sie, ihre Lippen zu einem kokett verschämten Lächeln zusammenziehend.
,, Und mein Heini," fur die geschmeichelte Mutter fort ,,, ein ganzer Mann schon. Ach ja, die Kinder machen eine Frau alt, wenn sie es auch den Jaren nach noch nicht ist, nicht war, Männchen?" Sie griff ordnend nach ihren Haren und entsann sich in dem Augenblick, daß sie den alten, schon ziemlich derangirten Kopfputz auf hatte. Sie werden entschuldigen, mein Kopfputz- gerade heute auch, und diese Jacke, o ich bin nicht immer so nicht war, Männchen?" Dann wieder zu Alfred: Sie sehen, es haben sich merkwürdige Dinge zugetragen, ich habe mich wieder verheiratet."
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Ich wünsche Ihnen Glück dazu." " Hier ist meine zweite Tochter Lina, die übrigen Damen sind die Gespielinnen meiner Mädchen."
,, Wir übrigen, wir werden also nur in Bausch und Bogen vorgestellt?" fragte Elvira, die jetzt plötzlich hervortrat, mit reizender Schalkhaftigkeit.
Sie hatte seit dem Eintritt Alfreds, ungleich den andern Mädchen, die wie scheue Tauben aufgeflattert und dann wieder näher gehüpft waren, ruhig und beobachtend in einem Winkel gestanden.
Nicht ein Zug seines Gesichts, nicht ein Blick seiner Augen war ihrer forschenden Neugier entgangen; ihr Scharfsinn erriet sogleich eine geheime Beziehung dieses Mannes zu ihrer Schwester, und ebenso erkannte sie die mädchenhafte Scheu, die Unbehilflichkeit und Verwirrung derselben. Sie wollte Marien zu Hilfe kommen, und sich selbst einige Klarheit in dieser Sache verschaffen. Sie wendete sich daher direkt an Depauli.