süddeutschen Flugblätter sich jetzt schon an noch kräftigere Ausdrucksweise gewöhnt hatte.
In Heine's schriftstellerischer Wirksamkeit trat jetzt eine neue Periode ein. Der schmäliche Bundestagsbeschluß vom 5. Juli 1832 hatte den Vertrieb aller im Ausland in deutscher Sprache erschienenen Druckschriften von weniger als zwanzig Bogen, ohne vorgängige Regierungserlaubniß, untersagt, Bücher aber, die einen Inhalt von mehr Bogen hatten, wurden von der Zensur bis zur Unkenntlichkeit entstellt, und nach zwei Jaren wurde sogar der gesamte Verlag der bekannten deutschen Buchhändlerfirmen in Paris und Straßburg verboten. Es stellten sich also dem Autor die größten Schwierigkeiten entgegen, seine Schriften unverstümmelt in Deutschland gedruckt, oder, ließ er sie im Aus
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| land herstellen, hier überhaupt verbreitet zu sehen. Dazu kam noch, daß er durch die cynische Sprache und die Frivolitäten im ersten Salonbande auch bei dem gebildeten Teil des deutschen Publikums großen Anstoß erregt hatte, wie man andrerseits mehr und mehr an seiner ernsthaften Begeisterung für die Sache des Fortschritts zu zweifeln begann. Alles dies veranlaßte Heine, jetzt seine Muttersprache mit der französischen zu vertauschen und zunächst für das französische Volk zu schreiben. Es war damals in Frankreich ein reges Streben nach Verständniß der englischen und vor allem auch der deutschen Literatur erwacht, und Heine benutzte diesen abermaligen Aufschwung des französischen Geistes, um jetzt sein Vermittleramt erfolgreicher als je auszuüben. ( Schluß folgt.)
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Nach Archangel verbannt.
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Schon im April d. J. setzte Graf Loris- Melikoff, der neueste Hausmeier der Romanoffs, eine Komission nieder, welche die Fälle der auf, administrativem Wege" durch die berüchtigte dritte Abtheilung"( der Polizei) deportirten Personen prüfen, und, wo irgend tunlich, Remedur eintreten lassen sollte. Es stellte sich heraus, daß tausende nach Archangel oder Sibirien verbannt worden waren, 1) weil sie verdächtig, 2) weil sie Verdächtige nicht denunzirt, 3) weil sie gegen Schulinspektoren und Lerer ungehorsam gewesen, und 4) weil sie zu schlechte Zensuren im Lateinischen bekommen. Man lache nicht das ist wirklich war. Die Zal dieser Kategorien" beläuft sich auf nahezu 10000; amtlich werden aber blos 1696 zugestanden. Und von diesen sind bis jetzt blos 115 schreibe hundertundfünfzehn in Freiheit gesezt worden. Ich betone dies, weil die Lüge verbreitet worden ist, die Zal der Begnadigten" betrage merere tausend. Die Verwaltungsmaschine arbeitet gar langsam in Rußland , wenn sie überhaupt arbeitet. Von den Unglücklichen, die auf so nichtige Gründe hin mit einem Federstrich aus der Welt geschafft worden sind, wonen über 200 in Archangel unter den traurigsten Verhältnissen. Die Einwoner des Gouvernements Archangel haben ein Sprüchwort:" Gott hat Rußland gemacht, aber der Teufel Archangel." Die zweihundert und mehr nach dem so drastisch charakterisirten umgekehrten Paradies" Verschickten" sind sämmt lich jung junge Männer, größtenteils Studenten, junge Frauen und Mädchen. Sie sind meist hingekommen und wissen nicht, wie. Viktor Iwanowitsch ist mit seinem Freund Fedor B. zu Abend; sie trennen sich vergnügt, den andern Morgen ist Fedor B. verschwunden. Viktor erkundigt sich bei den Eltern seines Freundes, sie wissen nichts. Er geht nach der Polizei, und, weil er sich so eifrig nach Fedor erkundigt, wird er verhaftet, und nun erfärt er, was aus diesem geworden ist. Sie finden sich beide auf dem Wege nach Archangel, weshalb aber, das wissen beide bis weshalb aber, das wissen beide bis auf den heutigen Tag nicht. Das ist eine Geschichte für viele. Fast komisch in ihrer Entsetzlichkeit. Der Verschickung geht nicht einmal die Form eines Prozesses voraus.
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In der Stadt Archangel selbst bleiben jedoch nur die wenigsten. Die meisten werden weiter in kleinere Orte des gleichnamigen Gouvernements verschickt. Es wird mit ihnen ganz routinen mäßig verfaren. Sobald ein Gefangener ankommt meist ist eine Ladung beisammen wird er nach der Polizeistation gefürt einem traurigen Holzbau aus zwei Abteilungen bestehend, die eine für die männlichen, die andre für die weiblichen Gefangenen. Der einsame Tisch nebst Stul , die vier Wände, ja selbst die Decke sind mit den Namen der jugendlichen Vorgänger und mit allerhand Scherzen und Witzen beschrieben, welche beweisen, daß die Urheber sich über ihre Lage Illusionen hingeben oder hingeben wollen. In diesem trostlosen Aufenthalt vergehen acht bis zen Tage, wärend deren der Gouverneur von Archangel sich mit der Frage beschäftigt, welcher endgiltige Verbannungsort für den neuen Ankömmling am besten paßt: etwa Holmogor, Schenfurek, Pinega oder Mezen. Ist dies festgestellt, dann wird dem Gefangenen mitgetelt, daß seine„ Dokumente" in Ordnung, und ein Gensdarm tritt ein, der ihm sagt, er solle sich bereit machen. Ein primitiver Postwagen steht vor der Tür; der Gefangene steigt ein, zwei Gensdarmen folgen, und das Troikaglöckchen über dem Kopf des Pferdes beginnt zu klingen. Fort geht's. Das Glöckchen klingelt und klingelt, tagelang, wochenlang durch Wälder und Sumpf und Ebenen, auf unbeschreib
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lich öden und einsamen Straßen, bis endlich das Ziel erreicht ist. Ein kleines Städtchen, schwarz von Schmutz, mit Blockhäusern, ein paar ungepflasterten Straßen, einer grün angestrichenen hölzernen Kirche und einem Viehbestand von zehn oder zwölf grobknochigen Pferden, einer Herde verkümmerter Kühe und 30 oder 40 Rentiren. Die Bevölkerung übersteigt selten tausend, und besteht aus dem Isprawnik( Polizeichef), 19 Subalternbeamten, dem Friedensrichter, dem Kronförster, einem Popen, einigen Krämern, 30 oder 40 Verbannten, einem„ Kettengang" von„ gottvergessenen" Sträflingen und einem Haufen finnischer Bettler.
Gleich nach der Ankunft wird der Gefangene zum Isprawnik gefahren, dem absoluten Herrn und Meister des Bezirks. Dieser Vertreter der Regierung läßt ihn die folgenden Fragen beantworten: Name? Wie alt? Verheiratet oder ledig? Woher? Adresse der Eltern, Verwanten oder Freunde? Alle Antworten werden in ein Buch eingetragen. Dann wird ihm feierlich das schriftliche Versprechen abgenommen, daß er keine Lektionen irgendwelcher Art geben, überhaupt nicht versuchen wird, jemand zu leren; daß er jeden Brief, welchen er schreibt, dem Isprawnik vorlegen, und daß er keine andre Beschäftigung treiben wird, als Schuhmacherei, Tischlerei oder Feldarbeit. Dann wird ihm gesagt, er sei frei, aber mit der gleichzeitigen Verwarnung, daß er im Falle des Ueberschreitens der Stadtgrenzen wie ein toller Hund totgeschossen, oder, wenn lebendig gefangen, ohne weitere Formalität, als den Befel des Isprawnik, nach Ostsibirien werde geschickt werden.
Der arme Teufel nimmt nun sein kleines Bündel und, indem es ihm voll zum Bewußtsein kommt, daß er jetzt der Civilisation und jedem Comfort des Lebens Adieu gesagt hat, tritt er hinaus auf die Straße. Eine Gruppe von Verbannten, allesammt blaß und abgemagert, sind da, um ihn zu empfangen; sie füren ihn in das elende Logis des einen oder andern von ihnen und bitten ihn mit fieberhafter Neugier um Nachrichten von zuhause. Der neue Ankömmling starrt sie an, wie im Traum; einige von ihnen sind tiefsinnig, andere nervös überreizt, die übrigen haben augenscheinlich Trost im Trinken gesucht. Sie leben zu zweien oder dreien beisammen, haben Narung, ein paar färgliche Kleidungsstücke, Geld und Bücher gemeinschaftlich, und betrachten es als ihre heilige Pflicht, einander in allen Lagen des Lebens beizustehn, ohne Unterschied des Alters, Ranges und Geschlechts. Der Adlige von Geburt erhält von der Regierung etwa 16 Mark den Monat, die Bürgerlichen nur 10, obgleich viele von ihnen verheiratet und mit Frau und Kindern in die Verbannung geschickt sind. Täglich besucht ein Gensdarm die Wonungen, inspizirt nach Belieben die Räumlichkeiten und macht dann und wann in sein Notizbuch einen geheimnißvollen Eintrag. Sollte einer von ihnen einem durchfarenden Verbannten, der grade im Polizeigewarsam ist, warmes Essen, ein paar frische Strümpfe oder ein Hemd bringen, so kann er ziemlich sicher sein, daß es ihm angeschrieben wird. Es ist ein Verbrechen, einen durchfarenden Freund zu begrüßen und ihm eine furze Strecke das Geleit zu geben. Ist der Isprawnik übellaunisch hat er zu viel getrunken oder Unglück im Kartenspiel gehabt, so haben die armen Verbannten es zu entgelten, und da in diesen ungastlichen Gegenden Schnaps und Karten fast der einzige Zeitvertreib sind, so haben die Verbannten sehr viel von der üblen Laune der
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sprawniks zu leiden und machen sich einer wunderbar großen Anzal von Verbrechen schuldig, die pflichtgemäß dem Gouverneur