158
kenden Edelhof oder in der schmutzstarrenden Bauernhütte abwerfen wird. Die Kupfermünzen werden die Woche über, oft auf Kosten des Magens, zusammengespart, um Weib und Kindern einen fröhlichen Schabbes zu bereiten. Glückliche Parias, denen die Schabbeslampe stets wie ein Weihnachtsbaum stralt! Das Kapital, mit dem ihre reichen Glaubensgenossen spekuliren, kennen sie nur von Hörensagen, dafür wird aber auch ihre bescheidene Existenz von den fieberhaften Pulsschlägen der Börse nicht erschüttert. Es ist das Glück in der Beschränkung, von dem der deutsche Dichter Jean Paul träumte, welches alle schwindelhaften Errungenschaften überdauert und die Genügsamen nicht nur vor Ueberhebung, sondern auch vor Enttäuschung bewart. Dr. M. T.
Eisberg im Packeis. Jm vorigen Jargang ist den Lesern d. Bl. eine umfassende Skizze aller der Bemühungen gegeben worden, die, von dem Forschertrieb des Menschen angeregt, sich auf die Erkundung der Nordpolgegenden richten. Die Jllustration auf Seite 152 zeigt uns nun einen jener glitzernden, kalten Kolosse, welche so oft verderbenbringend für die fünen Nordpolfarer sind und sogar zuweilen auch den Meeren der südlicher gelegenen Zone ihren Besuch abstatten, ein Schrecken für die Schiffer, welche die zweifelhafte Ere haben, einem davon zu begegnen. Unser mächtiger Eisberg im Vordergrunde nebst seinen entfernt sichtbaren Verwanten hat seine Heimat an der Küste Grönlands und befindet sich in dem grönländischen Eismeere. Die Entstehung der Eisriesen get entweder vor sich, indem die mächtigen nordischen Gletscher, allmälich ins Meer vorrückend, von den wärmeren Strömungen unterwaschen werden, sodaß die über das Wasser hinaushängende Eismasse abbricht, oder indem das Eis in dem kalten Wasser nicht zum Schmelzen kommt, tiefer hinabsinkt und sich durch seine Schwere von dem übrigen loslöst. Die Höhe der Eisberge ist zwischen 10 bis 100 Meter; bei einer Höhe von 60 Meter über dem Wasser haben sie ungefär 120 bis 180 Meter unter dem Meeresspiegel. Aber ein nicht minder gefärlicher Feind für Schiffe in jenen Regionen ist das Packeis. Dieses bildet sich aus dem Eise des letzten Winters oder aus Resten früherer Jare, welche, vom Sturm umhergetrieben, sich zusammenschieben und durch die Kälte aneinandergefrieren. Es erhält eine Dicke von durchschnittlich 1 bis 2 Meter über und 6 bis 8 Meter unter dem Wasser und bildet den Kontinenten gleiche Eisfelder. Gerät ein Schiff bei der hereinbrechenden Winterkälte in eine Strömung solcher Schollen, so friert es eben unbarmherzig fest und läuft nicht minder Gefar, allmälich zerdrückt zu werden. Mancher Nordpolfarer ist darin zugrunde gegangen, viele haben, in diesen schauerlich- öden Gegenden eingefroren, die schrecklichsten Strapazen erdulden müssen. Gegen die offene See enden diese Eismassen in einzelne, freischwimmende Blöcke. Sobald die Früjarswärme auf das Packeis einwirkt, reißen die darunter tätigen Ströme große Eisfelder los und treiben sie gleichfalls in die offene See, und ist es einmal gebrochen, so verschwindet es ser schnell.
Weihnachten auf der Landstraße.( Bild Seite 153.) Weih- liche oder jüdische Hochzeit, eine Taufe oder sonst eine Feier im prunnachten, das herrliche Fest, ist, wie so mancher änliche christliche Kirchengebrauch heidnischen Ursprungs. Die Ansichten über Staat und Religion wechseln von Geschlecht zu Geschlecht, die Naturerscheinungen aber bleiben stets dieselben; nur unsere vervollkommneten Juſtrumente gestatten uns ihre schärfere Beobachtung und annähernde Erklärung ihrer Ursache und Wirkung. Diese Gradmesser von Zeit und Raum sind die eigentlichen Stifter der Naturreligion, in welcher der Christenund Judenglaube, der Islam und Buddhismus , sowie der Sonnenkultus der Parsen und Meder wurzelt. Die christlichen Priester haben oft nur den Namen der heidnischen Jaresfeste geändert, doch nicht die seit unvordenklichen Zeiten beobachteten Gebräuche, wie z. B. bei der Sommersonnenwende, in christlicher Auffassung das Johannisfest, die Brandopfer auf den Bergen, die heute noch bestehen. Wir könnten über die Weihnachtsgebräuche der verschiedenen Völker eine lange Abhandlung schreiben, beschränken uns aber darauf, dasjenige zu schildern, was unsere Vorfaren bei der Wintersonnenwende an Festlichkeiten veranstalteten. Gleich den Saturnalien der Römer, dem Bairam der Mohamedaner, dem Chamuccah der Juden und dem Julfest der Germanen war es das Geburtsfest der Sonne und wird als Geburtstagsseier Jesu, deren Datum niemals ermittelt worden ist, angesehen. Nach den naiven Anschauungen unserer heidnischen Vorfaren bewirkte Frau Holle, die Beschüßerin der Neugebornen, durch Schütteln ihrer Bettwäsche das Schneegestöber und schüttelte in der Wihnacht( heiligen Nacht) von der Wintersonnenwende mit den Schneeflocken zugleich den Julklapp, d. h. überraschende Geschenke für Kinder und Erwachsene, vom Himmel herunter. Dafür verlangte sie im Sommer freundliche Aufname ihrer geflügelten Boten, der Störche, und im Winter Unterstüßung der futterlosen Waldvögel. Wärend der zwölf heiligen Nächte, vom 24. Dezember bis 4. Januar hielten die Götter feierlichen Umzug auf Erden, damit aller Streit ruhe, und die Sterblichen verzerten als Festgericht den mit Tannenzweigen gezierten, dem Freyer geheiligten Eber, vergaßen aber auch nicht der armen Vögel, denen Frau Holles ,, Bettfedern" das Futter geraubt hatten. Die Weihnachtsfeier unter der Mistelstaude in England und unter dem Tannenbaum in Standinavien und Deutschland gehört dem Kinde, der Seele des Familienlebens. Und der flimmernde Weihnachtsbaum macht uns alle zu Kindern mit unsern Kindern und erinnert uns daran, daß wir zunächst Menschen und dann erst Minister oder Fabrikarbeiter sind. Wo die Weihnachtsfreude aufrichtiger, findlich reiner ist, ob bei dem bescheidenen Male des Armen im Kreise der jubelnden Kleinen, oder beim Gelage des Reichen, mögen die Betreffenden selber entscheiden. Weihnachtsgelage fennt man wol auch in dem slavischen Osteuropa , doch nicht die Kinderfreude der Weihnachtsbescheerung, deren Bedeutung in der tiefen Gemütsanlage der Germanen wurzelt. Zur Verherr lichung eines solchen Weihnachtsgelages auf dem Gute des Starosten Wisnicki ist die Kapelle des Scholem Zizes berufen, wie sie unser Bild veranschaulicht. Diese Kapelle, bestehend aus drei typischen Gestalten polnischer Juden, gehört zu jenen philharmonischen Gesellschaften, wie sie jedes polnische Landstätchen befizt. Mit ihrem seit unvordenklichen Beiten zusammengestellten, nur äußerst selten durch eine zweifelhafte neue Nummer bereicherten Repertoire antiker Polkas, Walzer, Mazurtas und mer oder minder echter Volksweisen pflegen sie dem musikalischen Bedürfnis der Umgebung im wörtlichen Sinne entgegenzu kommen. Unsere Künstler füren ihre Muse stets zu Fuß spaziren, denn diese Dame, obwol himmlischer Abkunft, ist selten in der Lage, ihren Jüngern den Luxus einer Fargelegenheit zu vergönnen. Und so wird auch auf der heutigen Kunstreise sicherlich das Talent im Musiciren auf minder harte Probe als das im Marschiren gestellt. Daß alle drei keine Jünglinge mer sind, zeigen ihre Haare, welche bereits jene Farbe angenommen haben, die das Sinnbild der Ehrfurcht ist. Mit Ausname der beiden Ecklocken, welche sich in unbeschränkter Freiheit über ihre Schläfen herunterschlängeln und in ihrer Vereinigung mit den grauen Spißbärten ihre Gesichter voll Schlauheit und List einramen, wacht das alttestamentarische Sammetkäppchen mit der darüber gestülpten modernen Kopfbedeckung fast neidisch auf jedes Haar, das sich unter demselben aus seiner Hast hervor an das freie Tageslicht drängen möchte. Wer noch über die jüdische Abkunst der drei Musifanten nicht im Klaren sein sollte, den wird ihre küngebogene, in Höckerform sich schwungvoll ausweitende Nase keinen Augenblick länger darüber in Zweifel lassen. Doch glaube nicht etwa, lieber Leser, daß diese drei gleichmäßig in den Kaftan von zweifelhafter Farbe gehüllten Männer sich auch eines gleichmäßigen Temperamentes erfreuen. Der Kapellmeister Scholem Zizes, der einzige, der sich den Luxus eines Regenschirms gestatten darf, spielt nicht nur die erste Geige bei den Musikauffürungen, sondern auch in der Konversation. Soweit seine Gedanken zurückreichen, stet er mit dem oppositionslustigen Klarinettisten Chaim Türkis auf dem Kriegsfuß, wärend der Baßgeiger Aaron Brummer stets den stummen Zuhörer des Zungengefechtes abgibt. In einem Wetter, in welchem man keinen Hund hinausjagt, auf einer Landstraße, deren echt polnischen Kot der frischgefallene Schnee mitleidig bedeckt hat, feiern die drei Weihnachten auf der Landstraße. Und doch sind sie wolgemut und guter Dinge. Dieses Wunder bringt nur die sprichwörtlich gewordene Genügsamkeit und Ausdauer des polnischen Juden zu wege. Wärend sich die Geige und das Klarinett über den Ertrag der heutigen Weihnachtsfeier auf dem Schlosse des Starosten streiten, berechnet die Baßgeige im stillen, was ihr die nächste christ
nrt.
Die be
Das Erdbeben zu Agram.( Schluß.) Die der höchsten Teilname werten Einwohner der Hauptstadt Kroatiens sollten übrigens nicht mit dem einmaligen Schrecken davonkommen. Am 10. November geschahen nicht weniger als noch vier Erdstöße, deren leßter um 12 Uhr 20 Min. erfolgte und fast so ser als das Erdbeben des vorhergegangenen Tages alle Gebäude bis in ihre Grundmauern wanken machte, die tausende von Mauerrissen erweiterte, die Zimmerdecken eindrückte und ganze Fluten von Ziegeln und Schindeln auf die Straßen fegte. So schlimm, als am 9. wurde es aber glücklicherweise doch nicht, und nach dem 10. fand keine so gefärliche Erderschütterung mer statt. Der Erdstoß vom 9. hat übrigens an mereren Orten auch Erdrisse zurückgelassen und durch diese Schlammausbrüche zutage geschickt. deutendste dieser Schlammeruptionen hat bei dem Dorfe Resnik, unweit Agram, stattgefunden. Die Erdrisse an dieser Stelle bestehen aus einer Hauptspalte, die sich von Ostnordost nach Westsüdwest zieht, 19 Schritte lang und nur etwa 3 Centimeter breit ist, und sich von mereren kleineren Spalten durchkreuzt zeigt. Rund um dieses Spaltencentrum herum, ungefär eine halbe Stunde im Durchmesser, finden sich noch eine Menge änlicher Erdschlize, welche zumeist, gleich den erſterwänten, von dem festgewordenen grauen, sich vom Straßenkot deutlich unterscheidenden Schlamme gefüllt sind. Nur einige wenige zeigten noch merere Tage nach den Ausbrüchen Deffnungen von einem halben bis zu einem ganzen Meter Tiefe. Die Ausbrüche erfolgten zwischen 712 und halb 11 Uhr, wärend welcher Zeit das ganze Gebiet, auf dem sich die Spalten befinden, in beständigem Schwanken war. Aus allen Spalten, sowie aus ordentlichen Schlammkratern, welche lettere nur wenige Centimeter hoch waren und nicht über einen halben Meter im Durchmesser hatten, wurden große Mengen mit Schwefelwasserstoff gefülltem Wasser in die Höhe getrieben, die Schlamm, Molluskenreste und auch reinen Sand mit an die Oberfläche beförderten. Die größte Auswurfsöffnung hat etwa einen halben Meter im Durchmesser gehabt. Die Kraterhöhe war überall unbedeutend, weil dem breiigen Auswurf die Fähigkeit felte, sich zu hohen Kegeln aufzutürmen. Ueber die weiter folgenden Erdſtöße berichten wir in einem gelegentlichen Nachtrage, sobald diese unheimliche Beunruhigung der Bewoner der kroatischen Hauptstadt ganz aufgehört haben wird. Heut, da wir dieses schreiben, dauert sie schon länger als drei Wochen und scheint immer noch nicht endgiftig überwunden.