zu dem er noch einmal eine tiefe, wehmütig schmerzliche Neigung empfand! Zuletzt durfte die liebliche Mouche", wie sie der Dichter nannte, keinen Tag mer mit ihrem aufheiternden Geplauder von seinem Lager fern bleiben, und ihr sind die letzten ergreifenden Lieder gewidmet.

In der Nacht vom 16. auf den 17. Februar 1856 war Heines Zustand besonders bedenklich, und als der Dichter seinen Arzt befragte, verhelte ihm derselbe denn auch nicht, daß sein Ende ganz nahe bevorstehe, eine Mitteilung, die der Kranke mit völliger Ruhe empfing. Morgens um vier Ur es war ein es war ein Sonntagmorgen tat er den letzten Atemzug. Am 20. Februar wurde er begraben, auf dem stillen Friedenhofe Montmartre  , wo ,, die Verbannten und Geächteten" ruhen, one alles Gepränge,

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ganz wie es der Dichter ausdrücklich gewünscht hatte. Nicht ein­mal eine Rede aus Freundesmund wurde an seinem Grabe ge­halten, auch das hatte er so gewollt. Hundert Personen, dar­unter französische und deutsche Schriftsteller, standen an seiner Gruft. Und nur ein einfacher Stein, mit dem Namen des Dich­ters auf einer Marmorplatte, bezeichnet dieses Grab; kein fri­scher Blumenschmuck ziert die letzte Ruhestätte des deutschen Sängers, dessen Name jetzt in der ganzen civilisirten Welt ge­nannt wird; häßliche Glasperlenkränze nur liegen drauf. Wir aber legen ihm im Geiste noch heute das Schwert auf seinen Sarg, welches er verlangt hat, und auch die nach uns kommen, werden es tun: denn er war ein braver Soldat im Befreiungs­kriege der Menschheit."

Ein flandrischer Hund.

Aus dem Englischen von Quida.

Für die ,, N. W.  " mit Erlaubnis der Verfasserin übersezt von L. v. d. Wieseck  .

I. Patrasche.

Nello und Patrasche waren allein in der Welt gelassen. Sie waren Freunde und in ihrer Freundschaft enger verbun­den als Brüder.

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Nello war ein kleiner Ardenner Patrasche ein großer Flamländer. Sie waren beide von gleichem Alter den Jaren nach und doch war der eine noch jung und der andere schon alt. Sie hatten fast ihr ganzes Leben zusammengelebt; beide waren verwaist und arm und verdankten ihr Leben ein und derselben Hand. Die Gemeinsamkeit ihres Loses hatte sie verbunden, und das Band war von Tag zu Tag fester geworden, so fest mit den Jaren, daß Nichts mer sie trennen konnte.

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Ihr Heim war eine kleine Hütte am Saum eines kleinen Dorfs eines flandrischen Dorfs, eine Stunde von Antwerpen  gelegen, zwischen weit sich hinstreckenden Kornfeldern und Weide­flächen, durchschnitten von dem großen Kanal, dessen Ufer durch zwei lange Reihen von Pappeln und Erlen bezeichnet wurden.

Das Dorf zälte ein paar Dußend Häuser mit hellgrünen oder himmelblauen Läden, roten oder schwarz und weißen Biegel­dächern und Wänden so weiß, daß sie in der Sonne wie Schnee glänzten. Im Mittelpunkte des Dorfs stand eine Windmüle auf einer kleinen, mit Gras und Moos bewachsenen Erhöhung: die Landmarke weit und breit für die Ebene ringsum. Sie war einst scharlachrot angestrichen, die Flügel und alles, aber das war in ihrer Jugend, vor einem halben Jarhundert oder mer, als sie für die Soldaten Napoleons   Weizen gemalen hatte, jetzt war sie von Wind und Wetter schmuzig braun gegerbt. Sie arbeitete ruck- und stoßweise, das Alter schien ihr die Glieder steif und rheumatisch gemacht zu haben; trotzdem versorgte sie die ganze Umgegend. Und die Bewoner würden es für fast ebenso sündhaft gehalten haben, ihr Korn in eine andere Müle zu bringen, wie einen anderen Gottesdienst zu besuchen, als die Messe an dem Altar der kleinen, alten, grauen Kirche, mit ihrem zuckerhutförmigen Turme, die der Müle gegenüberstand, und beren einzige Glocke Morgens, Mittags, Nachts mit jener selt samen, dumpfen Traurigkeit läutete, die dem Ton jeder Glocke in den Niederlanden*) eigentümlich ist.

In Hörweite von der kleinen melancholischen Turmur hatten sie beinahe von ihrer Geburt an zusammengewont, Nello und Patrasche, in der kleinen Hütte am Rand des Dorfs, angesichts der mächtigen Katedrale von Antwerpen  , die nordöstlich empor­ragte, jenseits des großen grünen Meeres von wallendem Gras und wogendem Korn.

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Es war die Hütte eines ser alten Manns, eines ser armen Manns des alten Tehan Daas, der in seinen jungen Jaren Soldat gewesen war und sich der Kriege wol erinnerte, welche das Land zerstampft hatten, wie Ochsen die Furchen nie­dertrampeln, und der aus dem Dienst" nichts mitgebracht hatte, als eine Wunde, die ihn zum Krüppel gemacht.

Als der alte Tehan Daas die Schwelle der Achtzig über­schritten hatte, war seine Tochter in den Ardennen, bei Stavelot  ,

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*) Low Countries, die Niederlande   ein Ausdruck, der im Englischen noch die ursprüngliche Bedeutung hat und über die Grenze des heutigen Königreichs der Niederlande  ( Holland  ) hinausreicht.

gestorben, und hatte ihm ihr zweijäriges Sönchen als Erbteil hinterlassen. Der alte Mann hatte Mühe, sich selbst durchzu­schlagen, aber er nam one zu murren die neue Last auf sich, und sie wurde ihm bald kostbar. Der kleine Nelle- eine zärt­liche Abkürzung für Nicolas- gedieh bei ihm, und der alte Mann und das kleine Kind lebten zufrieden in der ärmlichen Hütte.

Es war in der Tat eine ser bescheidene, kleine Lehmhütte, allein sie war rein und weiß wie eine Seemuschel und stand in einem Fleckchen Gartenland, das Bonen, Kartoffeln, etwas Ge­müse und Kürbisse lieferte.

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Sie waren ser arm, erschrecklich arm manchen Tag hatten sie gar nichts zu essen. Sich einmal ordentlich satt essen, wäre die höchste Seligkeit für sie gewesen; sie hätten sich ins Paradies versezt geglaubt. Aber der alte Mann war ser sanft und gut mit dem Knaben, und der Knabe war ein schönes, unschuldiges, treues, liebevolles Geschöpf; und sie waren glücklich bei einer Kruste Brot, einigen Kartoffeln und Krautblättern, und hatten keinen Wunsch an die Erde oder den Himmel zu richten, außer daß Patrasche immer bei ihnen sein möge, denn was wären sie one Patrasche geworden?

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Patrasche war ihr A und D; ihre Schazkammer und ihr Speicher; ihre Goldgrube und ihre Wünschelrute; ihr Ernärer und ihre Stütze; ihr einziger Freund und Tröster. Patrasche tot oder weg von ihnen tot oder weg von ihnen und sie mußten sich hinlegen und sterben. Patrasche war ihr Körper, Hirn, Hände, Kopf, Füße für sie beide Patrasche war ihr Leben, ihre Seele. Denn Tehan Daas war alt und ein Krüppel und Nello war nur ein Kind, und Patrasche war ihr Hund. Ein flandrischer Hund gelb, braun, großer Kopf, stark­knochig, die Dren wolfsartig aufrecht, die kräftigen Beine ge­bogen, die Füße breit, der ganze Körper muskulös das Ver­mächtniß harter Arbeit durch viele Generationen hindurch. Pa­trasche stammte von einer Rasse, die in Flandern   von Vater zu Son manches Jarhundert sich hatte abrackern und aufs Blut hatte abschinden müssen- Sklaven von Sklaven, Hunde des Volks, Zugtiere, die, vor schwere Karren gespannt, lebenslang ihre Senen anspannen mußten, und, nachdem ihnen der letzte Rest ihrer Kraft ausgepreßt worden, auf den Straßensteinen ver­

endeten.

Patrasche war von Eltern geboren, die one Unterlaß, one Rast, one Ruhe auf dem rauhen Pflaster der Städte und auf den langen, schattenlosen Landstraßen von Flandern   und Bra­ bant   gefarrt hatten. Er war zu keiner andern Bestimmung ge­boren worden, als zu Mühe und Arbeit. Er war mit Flüchen genärt, mit Schlägen getauft worden. Warum nicht? Es war fa in einem Christenlande, und Patrasche war nur ein Hund.

Ehe er noch völlig ausgewachsen war, hatte er die Bitter­nisse des Karrens und Zugriemens kennen gelernt. Noch vor seinem dreizehnten Monat war er das Eigentum eines herum­ziehenden Kurzwaarenhändlers geworden, der nach Süd und Nord das Land zu durchstreifen pflegte von der blauen See bis zu den grünen Bergen. Er wurde billig verkauft, weil er so jung war.

Dieser Mann war ein Trunkenbold und ein wüster, roher Geselle. Das Leben Patrasche's war ein Höllenleben.