Musikanten nur die Köpfe sichtbar waren, was hinsichtlich ihrer Haltung und ihrer Gewonheiten allerdings als eine ästhetische Neuerung erkannt werden mußte. Die Fenster, welche bisher offengestanden, um den vereinigten Gerüchen von Leim, Wachs und Farbe freien Durchzug zu gestatten, wurden jezt geschlossen. Der Wirt und zwei langbefrackte Kellner richteten und ordneten hier und dort, glitten hin und wieder, wobei ihre Stiefelsolen die widerwärtige Neigung zeigten, sich an dem frischgewichsten Fußboden festzukleben, sodaß die Trennung nur gewaltsam und mit einem kleinen Knistern erfolgte. Die Voreiligen! So ent­trugen sie das schöne, teure Wachs ungenüzt und unverstanden, und für die Tänzer blieb nur Leim und Farbe übrig.

Vor dem Hause sammelte sich jezt, trotz des sanft nieder­rieselnden Regens, eine Anzal Schaulustiger. Sie harrten der Glücklichen, die da hinauf auf den Ball" gingen, und obwol vorauszusehen war, daß sie nur hinaufgenommene Unterröcke und übergeworfene Winterhüllen zu sehen bekommen würden, so mußte ihre Phantasie doch erregt werden durch das, was da drunter stecken könnte, und die Falte eines weißen Kleides, eine sich hervordrängende Locke oder ein Handsträußchen, das ihr Blick zu erhaschen vermochte, war schon geeignet, unter dieser kleinen Schar das höchste, bewunderndste Entzücken hervorzubringen. Bisher war noch niemand gekommen, aber der Lüfter war angezündet worden, sein Schein fiel auf die Straße herab, und sie drängten sich in demselben zusammen und freuten sich der gehobenen Stimmung, die er unter ihnen entstehen ließ.

Jezt ward ein kleines Handwägelchen herangerollt und in die Hausflur dirigirt. Die Schauenden umdrängten, umschnüffelten es. Ein Deuten und Flüstern erhob sich rundum. Es ist der Zuckerbäcker, der Zuckerbäcker, ging's von Mund zu Mund, und ein kleiner Junge mit lüsternen Augen und offenem Munde, der mer Banlücken als Bäne wies, versicherte, da drinnen sei das Gefrorne. Mit ehrfurchtsvollen, leuchtenden Blicken ward der Karren nun angestaunt, und ihre Augen folgten ihm, bis er an der Treppe verschwand. Den alten Ifraeliten hatte ihre Bundes­lade schwerlich größere Ehrfurcht und gewiß nicht soviel Ver­langen eingeflößt. Der Konditor kümmerte sich nicht darum. Er trug seinen Kasten nach der ersten Etage, wo der Tanzsal sich befand. Auf dem weiten, geräumigen Vorplaze, wo die von Herrn Germanet eigenhändig ausgestopften Pegasusse aufgestellt waren, deren Flügel sonderbar lahm aussahen, war dem Kon­ditor eine Laube errichtet worden. Er musterte sie, und hierauf seinen Kasten öffnend, begann er hier seine Waaren auszulegen. Langsam und vorsichtig ging er dabei zuwerke und er ließ sich durch die vorbeischießenden Kellner und den hin und her tom mandirenden Wirt nicht in seinen künstlerischen Anordnungen stören. Die Speiselokalitäten wurden jezt gedeckt, und da sämmt liche Türen nach diesem Vorraum gingen, so war die Bewegung und Regsamkeit dahier wol erklärlich.

Rechts vom Tanzsal befand sich ein großes Speisezimmer, wo der Comitétisch bereits in besonderem Schmucke prangte; um denselben gruppirten sich kleine, runde Tische mit ängstlich ab­

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gemessenen Tischtüchern, an welchen die übrigen gewönlichen Ballgäste sich niederlassen durften. Links war noch ein kleines Zimmerchen, das nur Raum für einen einzigen, freilich ziemlich großen Tisch enthielt, das aber, da es etwas höher lag, den Vorteil hatte, daß man von hier aus den ganzen Ballsal über­sehen konnte, und den weiteren, daß man möglichst weit von der Musik entfernt war. Dieser Tisch wurde nun gleichfalls etwas sorgfältiger bedeckt und bedacht und der Wirt spießte eigenhändig auf eine in einem Glase baumelnde Gabel einen großen Zettel, mit der Inschrift: Herr Bürgermeister" auf. Dieser gespießte Bürgermeister sollte allen Unbefugten als Warzeichen und War­nungszeichen dienen und ihnen in passendster Form begreiflich machen, daß sie hier nichts zu suchen haben.

Der Wirt trat wieder auf den Vorplay. Außer dem Sal­eingange und den zwei Türen der Speisezimmer, die sämmtlich geöffnet standen, fürten von hier aus zwei andere nach seiner Wonung, welche nach rückwärts hinaus lag und deren Fenster nach dem Flusse gingen. Das eine größere Gemach ward von den Möbeln geräumt und es waren in die Mitte desselben große, praktikable Kleiderrechen gestellt worden, auf deren hölzernen Haken die abzulegende Garderobe der Ballgäste aufgehängt werden sollte. An einer Seitenwand war ein großer, leider zerbrochener Spiegel angebracht und davor ein etwas wackliges Tischchen gestellt. Der Wirt brachte nun zwei Lichter in silbernen Leuch­tern und stellte sie in schöner Symmetrie vor dem Spiegel auf. Er legte hierauf ein Stecknadelkissen auf den Tisch und einen Kamm, der seit Jaren, trotz seiner ausgebrochenen Zäne, bei allen änlichen festlichen Gelegenheiten in Verwendung stand, und dies alles prüfend überblickend, fand er, daß es gut sei und daß dies sorgfältige Arrangement hoffentlich die Anerkennung seiner Gäste erringen werde. Wie er jezt hinaustrat, rannte er an den ersten an. Es war der jüngere Arzt des Städtchens, für diesen Abend Ballausschuß. Die lange, hagere Gestalt steckte in einem furchtbar riechenden Kautschukmantel, unter welchem nur ein paar Stiefletten hervorguckten, die um so größer schienen, da er die Beinkleider soviel als möglich hinaufgenommen hatte. Er be­grüßte den Wirt ernst, mit steifer Grandezza und trat in die Garderobe ein. Er war in der Tat der erste. Er entkleidete sich des Kautschuks, den er an einen Haken sorgfältig aufhing, dann stülpte er seine Beinkleider um und stellte sich hierauf vor den Spiegel. Es war ein noch junger, bartloser, ungemein gravi­tätisch aussehender Mensch mit borstig hoch aufstehendem Haar und einem ungebürlich langen, starkgeröteten Hals, der sich bei jeder Bewegung noch zu verlängern schien. Er betrachtete sein Spiegelbild lange und aufmerksam, stillvergnügt und befriedigt, und streckte dabei den Hals immer höher aus seiner weißen Kravatte hervor. Als jezt die Türe knarrte, wuchs dieser noch um ein erfleckliches, und er drehte ihn hierauf mit erstaunlicher Gelenkigkeit, wie eine Taube, one den Körper zu wenden, nach der Tür um, um zu sehen, wer eingetreten wäre. Es war der Apoteker mit seinem Stiefson. Auch sie entledigten sich ihrer Garde­robe, dann erst schüttelte man sich die Hände.( Fortsetzung folgt.)

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Allerlei Gesundheitsfeinde in uns und um uns.

In neuester Zeit wird das Streben immer allgemeiner, an Stelle der Unsumme von Vorurteilen, mit denen unsre Vorfaren, selbst zumeist unsre Eltern noch, den Krankheitserscheinungen und Krankheitsgefaren des täglichen Lebens gegenübertraten, Erkennt nis des Wesens unsrer Krankheiten und Beseitigung ihrer Ur­sachen treten zu lassen.

Der gute Wille, etwas zu lernen über die Art, wie wir unsre Gesundheit schüßen, sie pflegen können, gewinnt an Ausbreitung in den Volksmassen, und die löbliche Absicht, zu lehren, was die Wissenschaft über das Wesen der Krankheiten und die Möglichkeit, wie die Mittel, ihrer Verhütung erforscht hat, tritt in der Presse, in Vereinen, in öffentlichen Vorträgen, selbst in Parlamenten und Ministerien nicht mer gar so selten, wie noch vor zwei Jar­zehnten, zutage.

Freilich kann man auch heute harsträubender Torheit begegnen, wenn man die Leute nach ihrer Ansicht über diese oder jene An­gelegenheit der Gesundheitspflege fragt. Ich brauche nur an die immer noch weitverbreitete Luftscheu alter Weiber männlichen und weiblichen Geschlechts zu erinnern.

,, Um Gotteswillen machen Sie das Fenster zu!" hat jeder von uns schon tausendmal rufen hören, wenn, selbst in warmer Sommernacht, in qualmgefüllten Kneiplokalen ein Fenster geöffnet wurde, oder in Eisenbancoupés, deren übermäßig beschränkter Raum von mit acht bis zehn schwitzenden, mit voller Lungen­fraft atmenden und pustenden, rauchenden, wol auch an ihrem gröblich vernachlässigten Körper nicht eben gleich den Rosen von Schiras duftenden Herren und Herrinnen der Schöpfung bis zum Ersticken vollgepökelt ist.

Daß die frischere Außenluft es einigermaßen eilig hat mit der Verbesserung der in Grund und Boden hinein verdorbenen Binnenatmosphäre solcher Pökel- und Räucherkammern wird ihr arg übelgenommen von dem gescheiten Zweifüßler, der sich mit höchst unberechtigtem Stolze Mensch nennt. Natürlich! ,, Es ziet ja fürchterlich!" Und wenn es ziet", so ist das gradeso lebens­gefärlich für die unglücklichen, vom Zuge" Getroffenen, als wenn eine Lawine einen zu verschütten droht oder ein Orkan ein Schiff auf offner See befällt oder die Cholera im Anzuge ist. Natürlich für Schwächlinge beider Geschlechter und aller Altersklassen, und