dem Fortschritt zuzuschreiben oder von künftigen Gesetzgebern irgend eine Woltat zu erwarten, ausgenommen die, künstliche Schranken der Kultur abzuschaffen, die ihre Vorgänger errichtet haben. Dies ist es, was die gegenwärtige Generation von ihnen verlangt und man sollte sich erinnern, was die eine Generation als eine Gunst verlangt, das fordert die nächste als ein Recht. So sind wir im Verlaufe dieser Untersuchungen zu der wich­tigen Erkenntniß gelangt, daß nur das intellektuelle Element des geistigen Fortschritts diesen selbst bedingt, wärend das mo­ralische dagegen ganz in den Hintergrund tritt*).

Aus Ursachen, die wir nicht wissen, verändern sich die mora­lischen Eigenschaften one Zweifel fortdauernd und bei dem einen Manne, vielleicht auch bei der einen Generation wird ein Ueber­maß von guten Absichten, bei der andern ein Uebermaß von schlechten vorhanden sein. Aber wir haben keine Ursache, zu glauben, daß eine dauernde Veränderung in dem Verhältniß ein­getreten ist, worin die, welche von Natur gute Absichten hegen, zu denen stehen, die mit bösen behaftet zu sein scheinen. Was man die angeborene und ursprüngliche Sittlichkeit der Mensch­heit nennen könnte, macht, so weit wir sehen, keinen Fortschritt. Von den verschiedenen Leidenschaften, die uns angeboren sind, herrschen einige zu dieser, andere zu jener Zeit vor. Erfarung aber lert uns, das sie immer in Widerstreit mit einander sind und sich daher durch ihren eigenen Gegensatz die Wage halten. Die Wirkung eines Beweggrundes wird durch die Wirkung eines andern berichtigt, denn jedes Laster hat seine entsprechende Tu­gend. Der Grausamkeit wirkt Wolwollen entgegen, durch Leiden wird Mitleiden erregt, die Ungerechtigkeit der einen ruft die *) In diesem, wie in manchem andern Punkte, sind wir andrer Meinung, als Buckle, dem unser Herr Mitarbeiter in diesem seinem Auszuge aus einem Kapitel der berühmten Geschichte der Civilisation in England" streng objektiv folgt. Wir werden gelegentlich unsere ab­weichenden Anschauungen darlegen und zu begründen suchen.

Red. d. N. W.

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Woltätigkeit der andern hervor; neue Uebel finden neue Heil­mittel und selbst die ungeheuersten Verbrechen, die jemals be­kannt geworden sind, haben keinen dauernden Eindruck hinter­lassen. Die Verwüstung von Ländern und das Hinschlachten ihrer Bewoner sind Verluste, die sich unfelbar wieder ersetzen und in einigen Jarhunderten ist ihre Spur gänzlich wieder ver­wischt. Die riesenhaften Verbrechen Alexanders oder Napoleons  verlieren nach einiger Zeit ihre Wirkung und die Angelegenheiten der Welt kehren auf ihr früheres. Maß zurück. Dies ist die Ebbe und Flut der Geschichte, die fortwärende Strömung, der wir nach den Gesezen der Natur unterworfen sind. Ueber alle dem bewegt sich eine weit höhere Welt und wie die Flut weiter rollt, jezt vor und jetzt zurückget in ihrem endlosen Hin- und Her­schwanken, gibt es eins und nur eins, was ewig wärt. Die Taten schlechter Menschen bringen nur zeitweilige Uebel hervor, die Taten guter nur zeitweiliges Gutes und endlich sinkt Gut und Uebel völlig zu Boden, wird aufgehoben durch nach­folgende Generationen und get in die unaufhörliche Bewegung folgender Jarhunderte auf. Aber die wissenschaftlichen Ent­deckungen großer Männer verlassen uns nie, sie sind unsterblich; sie enthalten jene ewigen Warheiten, die den Sturz von Reichen überleben, die länger dauern, als die Kämpfe streitender Re­ligionsparteien, ja eine Religion nach der andern in Verfall ge­raten sehen. Alle Religionen haben ihr eigenes Maß und ihre eigene Regel; eine gewisse Meinung gilt für ein Zeitalter, eine andere für ein anderes. Sie schwinden dahin wie ein Traum, sie sind Phantasiegeschöpfe, von denen selbst die Umrisse nicht stehen bleiben. Nur den Entdeckungen der Wissenschaft verdanken wir alles, was wir haben, nie jung und nie alt, tragen sie den Samen ihres eigenen Lebens in sich; sie fliehen fort in einem unsterblichen Strome, sie gebären stets neue Erkenntniß und wirken so auf die entfernteste Nachkommenschaft, ja nach dem Ver­lauf von Jarhunderten wirken sie stärker, als sie es im Augen­blick ihres Bekanntwerdens vermochten.

Ein flandrischer Hund.

Aus dem Englischen von Quida.

Für die N. W." mit Erlaubnis der Verfasserin übersezt von L. v. d. Wieseck  .

Ein paar Jare später wurde der alte Tehan Daas, der schon| über ein halbes Jarhundert ein Krüppel war, so steif und lam in den Gliedern, daß er mit dem Karren nicht mer ausgehen

fonnte.

Da nam der kleine Nello, der inzwischen sechs Jare alt ge­worden war und die Stadt, in welche er seinen Großvater so oft begleitet hatte, ser genau kannte, die Stelle des alten Tehan Daas ein, trabte neben dem Karren her, verkaufte die Milch, kassirte das Geld und brachte es den Eigentümern mit einer findlichen Anmut und Ernsthaftigkeit, die jedermann entzückten.

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Der kleine Ardenner war ein schönes Kind, mit dunkeln, ernsten, zärtlichen Augen, einem rosigen, lieben Gesicht und blon­den Locken, die bis in den Nacken herabhingen; mancher Künstler zeichnete die Gruppe, als sie an ihm vorbeizogen der grüne Karren mit den messingenen Milchkannen, der große, gelbbraune, breitbrustige Hund, mit seinem schellenbehängten Geschirr, das lustig klingelte, und die kleine, nebenherlaufende Gestalt, mit ihren kleinen, weißen Füßchen in großen Holzschuhen und mit dem sanften, ernsten, glücklichen Gesicht, änlich einem der kleinen hübschen Kinder von Rubens.

Nello und Patrasche machten ihre Sache so gut und arbei­teten so einträchtig zusammen, daß Tehan Daas, als der Som mer kam und er sich wieder besser fülte, gar nicht nötig hatte, mer auszugehn, sondern in der Tür in der Sonne ſizen fonnte. Da sah er denn vergnügt mit zu, wie sie durch das Garten­pförtchen hinausfuren, und nickte dann ein wenig ein und träumte und betete ein wenig und nickte wieder ein und wachte auf, wenn die Ur drei schlug, um ihre Heimkunft zu erwarten. Und wenn sie heimkamen, schüttelte Patrasche mit frölichem Gebell das Geschirr ab und Nello erzälte stolz, die Erlebnisse des Tags. Und dann gingen sie zusammen herein zu ihrem Mal von Roggenbrot und Milch, und hernach setzten sie sich an den Kanal, um die vorüberfarenden Schiffe zu betrachten, oder beobachteten von der Schwelle der Hütte, wie die Schatten sich auf die Ebene

( 2. Fortseßung.)

streckten und das Zwielicht die Katedrale umschleierte, und dann lagerten sie sich zu ihrem friedlichen Schlummer, wärend der alte Mann ein Gebet hersagte.

So vergingen die Tage und die Jare, und Nello's und Pa­trasche's Leben war glücklich, unschuldig und gesund.

II.

Namentlich im Früling und im Sommer waren sie guter Dinge. Flandern   ist kein besonders liebliches Land und um die Stadt des Rubens ist es vielleicht am wenigsten lieblich.

Getreide und Rübsaat, Weideland und Pflugland reihen sich in ermüdendem Einerlei aneinander, und die Einförmigkeit der Landschaft wird nur unterbrochen durch einen Kirchturm hier und da, oder durch einen Mann, der ein Reisigbündel trägt, oder durch eine Aerenleserin, die ihre Garbe nachhaus bringt. Sonst keine Abwechslung, keine Mannichfaltigkeit, keine Schönheit; und wer auf den Bergen oder in den Wäldern gelebt hat, fült sich in der endlosen, traurigen Ebene gedrückt wie in einem Gefängniß.

Aber sie ist grün und sehr fruchtbar und bietet eine unbegrenzte Fernsicht, die trog ihrer Langweiligkeit und Monotonie doch einen gewissen Reiz hat; und zwischen den Binsen am Wasser wachsen Blumen, und die Bäume erheben ihre dichtbelaubten Wipfel, wo die Schiffe dahingleiten mit ihrem großen, schwarzen, sonnenbe schienenen Rumpf, ihren grünen Fässern und ihren bunten Wim­peln, die an die überhängenden Zweige fast anstreifen.

Jedenfalls ist genug Grün und genug Raum da, und für ein Kind und einen Hund reicht das aus, auch wenn es der Landschaft an malerischer Schönheit felt. Nello und Patrasche kannten es nicht besser und sie verlangten es nicht besser. Sie waren zufrieden und glücklich; und wenn die Arbeit vorüber war, dann gab es für sie keine größere Seligkeit, als sich ins hohe Gras am Kanal hinzustrecken und die mächtigen Schiffe