vorbeifahren zu sehen, welche den frischen belebenden Salzgeruch der See mit sich ins Land hereinbrachten.
Freilich im Winter war's nicht so gut; sie mußten in der Dunkelheit und in der bitteren Kälte aufstehn, und sie haften selten so viel, daß sie sich satt essen konnten und die Hütte war nicht viel besser als ein halboffener Heuschober, wenn die Nächte frostig und windig waren, obgleich sie bei warmem Wetter so hübsch aussah mit dem riesigen Weinstock, der zwar keine Trauben trug, dafür aber in den Monaten der Blüte und Ernte mit seinen üppigen Blättern und seinen rankenden Zweigen die Hütte desto besser bedeckte und umschlungen hielt.
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Im Winter fanden die Winde gar manchen Riß in den Wänden der armen, kleinen Hütte, der Weinstock war schwarz und blätterlos, und das kale Land sah gar öde und traurig aus, und wenn es überschwemmt war, drang das Wasser oft bis in die Hütte hinein und fror auf dem Fußboden. Im Winter war Im Winter war es hart, und der Schnee erstarrte die kleinen weißen Glieder des kleinen Nello, und das Eis zerschnitt die tapferen, unermüdlichen Füße des großen Patrasche.
Aber auch dann hörte man sie nicht jammern keinen von beiden. Die Holzschuhe des Kinds und die vier Füße des Hundes trabten unverdrossen über Schnee und Eis, bei dem lustigen Geklingel der Glocken des Geschirrs; und manchmal reichte ihnen in den Straßen Antwerpens eine gutmütige Hausfrau einen Napf Suppe und eine Handvoll Brod; oder ein freundlicher Krämer warf ihnen einige Stücke Holz oder Kolen auf den Karren, wenn sie nach Haus furen; oder ein Bauerweib in ihrem Dorfe erlaubte ihnen etwas von der Milch für ihre eigene Narung zu behalten; und dann rannten sie über das weiße Land, durch die frühe Finsterniß, froh und glücklich und stürzten mit Freudengeschrei und lustigem Gebell in die Hütte.
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Jm ganzen erging es ihnen also gut, sehr gut; und wenn Patrasche auf der Straße den vielen Hunden begegnete, die von früh Morgens bis spät Abends sich abschinden müssen, nur Schläge und Flüche zum Lon bekommen, mit einem Fußtritt vom Karren losgemacht werden und nach denen kein Han dann mer fräht wenn Patrasche diese seine unglücklichen Kameraden sah und sich an sein früheres Schicksal erinnerte, dann war er sehr, sehr zufrieden mit seinem Los und meinte in seinem dankbaren Herzen, er könne es gar nicht besser haben. Und obgleich er oft hungrig, wirklich recht hungrig war, wenn er sich Abends auf die Streu legte; obgleich er in der brennenden Hize des Sommers und in der betäubenden, beißenden Kälte des Winters zu arbeiten hatte; obgleich seine Füße oft wund waren von scharfen Eisstücken oder von spißen Steinen; und obgleich seine Arbeit eigentlich gegen seine Natur und über seine Kräfte ging so war er dankbar und zufrieden; er tat jeden Tag seine Schuldigkeit, und die Augen, welche er liebte, lächelten ihm freundlich zu. Und das war genug für Patrasche.
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Nur eins verursachte Patrasche in seinem Leben einiges Unbehagen: Antwerpen , wie jedermann weiß, ist voller Kirchen und Türme, wettergeschwärzt und alt, und majestätisch, in winkligen Ecken stehend, eingezwängt zwischen Kneipen und Toren, am Rande des Wassers, mit Glockenspielen hoch oben, und manchmal mit prächtiger Musik im Innern.
Da stehen sie, die großartigen Heiligtümer der Vergangenheit, wie Gefangene inmitten des Schmuzes, des Treibens und Drängens der unliebenswürdigen modernen Geschäftswelt, und den ganzen Tag segeln die Wolken über ihnen weg, die Vögel umkreisen sie, die Winde senden ihnen seufzende Grüße, und unter der Erde, zu ihren Füßen schläft Rubens .
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Und die Größe des gewaltigen Meisters rut noch auf Ant werpen . Wohin wir uns wenden in den winkligen, engen Straßen, sein Ruhm tritt uns entgegen, und alles Gemeine wird durch ihn verklärt, geläutert, erhöt; und wenn wir langsamen Schrittes durch die krummen Gassen wandeln, und am Rand des mpfigen Wassers, durch die übelriechenden ,, Höfe" da ist sein ruß bei uns, und die wunderbare, heroische Schönheit seiner Visionen ist um uns, und die Steine, die einst den Tritt seines Fußes fülten und seinen Schatten trugen, sie scheinen sich zu erheben und mit lebendigen Zungen von ihm zu reden. Denn die Stadt, welche das Grab des Rubens ist, lebt für uns noch immer durch ihn und nur durch ihn.
One Rubens, was wäre Antwerpen ? Ein schmutziger, dumpfi ger, geräuschvoller Markt, den niemand des Ansehens wert hielte, mit Ausname der Krämer, die dort Geschäfte machen. Mit Rubens und durch Rubens ist es für die ganze Menschenwelt ein heiliger
Name, ein heiliger Boden, ein Bethlehem , wo ein Gott der Kunst das Licht erblickte, ein Golgatha, wo ein Gott der Kunst tot liegt.
Es ist so ruhig da, bei diesem großen weißen Grabmalso ruhig, außer wenn die Orgel brauset und der Chor das ,, Salve Regina " oder„ ,, Kyrie eleison " hinausschmettert. Sicherlich, kein Künstler hatte je einen großartigeren Grabstein als jenes Marmorheiligtum im Herzen seines Geburtsorts, im Allerheiligsten der Sankt Jakobskirche.
Oh ihr Völker! Hütet euere großen und guten Männer wie einen Schatz, denn nur durch sie wird die Zukunft euch kennen. Flandern war seiner Zeit weise. Als Er lebte, verherrlichte es Ihn, seinen größten Son, und seit Er tot ist, feiert es seinen Namen und sein Andenken. Allein solche Weisheit ist selten. Was Patrasche in Verlegenheit setzte war dies: in jenes große traurige Steinmonument, welches seine melancholische Majestät über die zusammengedrängten Hausdächer erhebt, schlüpfte oft, oft der kleine Nello, und verschwand durch das dunkle, gewölbte Portal, wärend Patrasche, draußen auf dem Pflaster allein gelassen, vergebens grübelte, welcher Zauber seinen unzertrennlichen Freund von ihm weglocken könne.
Ein oder zweimal wollte er selbst nachsehen und drang mit seinem Milchkarren die Treppe hinauf, aber er wurde stets von dem fetten Türhüter, der in seinem schwarzem Gewand und seiner Dienstkette gar würdevoll dastand, one Federlesens zurückgewiesen; und da er seinem kleinen Herrn Unannemlichkeiten zu bereiten fürchtete, so stand er von dem Versuch ab, und blieb geduldig vor der Kirche liegen, bis der Knabe zurückkam.
Nicht die Tatsache, daß Nello in das Gebäude ging, war für Patrasche das Auffallende; er wußte, daß Leute in die Kirche gehn: das ganze Dorf ging in die kleine, ruinenhafte, dem Einsturz drohende Kirche gegenüber der rotbraunen Windmüle. Was ihm auffiel war, daß Nello stets so sonderbar aussah, wenn er wieder erschien, eigentümlich aufgeregt und ser blaß; und wenn er nach solchen Besuchen heimkam, pflegte er schweigsam und träumerisch dazusigen, an fein Spielen denkend, und die untergehende Sonne jenseits des Kanals mit sensüchtigen, abwesenden Blicken betrachtend, gedrückt, fast traurig.
Was war das? fragte sich der arme Patrasche, und er fand keine Antwort.
Er meinte, es sei nicht gut und nicht natürlich, daß der kleine Knabe so ernst sei, und in seiner stummen Hundeart tat er sein Möglichstes, um Nello bei sich zu halten in den sonnigen Feldern oder in dem geschäftigen Treiben des Marktplages.
Aber in die gewönlichen Kirchen ging Nello nicht; er ging fast nur in die große Katedrale, und Patrasche, der draußen auf den Steinen an den Eisentrümmern des Thors von Quentin Mathys zu warten hatte, streckte sich und gänte und seufzte, ja mitunter heulte er sogar alles umsonst, bis die Tore geschlossen wurden und das Kind wieder herauskam, ihm die Arme um den Hals schlang, die breite, gelbbraune Stirn küßte und immer dieselben Worte vor sich hin murmelte:
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,, Wenn ich sie nur sehen könnte, Patrasche! Wenn ich sie nur sehen könnte!"
Was sie"? grübelte Patrasche, mit seinen großen, nachdenklichen, treuen Augen ausschauend.
Eines Tags, als der Türhüter zufällig weg war und die Tore halb offen standen, gelang es ihm, einen Augenblick einzudringen und er sah. Sie" waren zwei große verhüllte Gemälde auf beiden Seiten des Chors.
Nello kniete, wie verzückt, vor dem Altargemälde der Assumtion ( Mariä Himmelfart), und als er Patrasche bemerkte und sich erhob, und den Hund sanft hinauszog, war sein Antlig von Tränen überströmt, und er blickte nach den verhüllten Stellen und flüsterte seinem Gefärten zu:
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die
„ Es ist so entsezlich, Patrasche, sie nicht sehen zu können, weil man arm ist und nicht zalen kann! Er hatte, als er sie malte, gewiß nicht die Absicht, den Armen das Ansehen zu verbieten. Er hätte sie uns gewiß jeden Tag, alle Tage sehn lassen. Und da hat man sie versteckt, verhüllt, im Dunkel begraben schönen Bilder! Und sie sehen das Licht nicht, und keine Augen schauen auf sie, außer, wenn reiche Leute kommen und zalen. Könnte ich sie nur sehen! Ich wäre zufrieden und wollte gern sterben!"
Aber er konnte sie nicht sehen, und Patrasche konnte ihm nicht helfen. Denn das Silberstück zu verdienen, welches die Kirche als Preis für den Anblick der„ Kreuzeserhöhung" und der