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„ Kreuzesabname" erheischt, war ebenso sehr außerhalb des Bereichs ihrer Fähigkeiten, als den Kirchturm der Katedrale zu erklettern. Sie hatten nie einen Sou übrig; wenn sie genug hatten, um ein bischen Holz für den Ofen und ein bischen Suppe für den Topf zu kaufen, so waren sie sehr vergnügt. Und doch verzerte das Herz des Kindes sich in Sehnsucht nach den zwei verhüllten Gemälden von Rubens.
Die ganze Seele des kleinen Ardennerknaben war erfüllt von unendlicher Liebe zur Kunst.
Auf seinen Wegen durch die alte Stadt, früh bei Tagesanbruch, noch ehe die Sonne und die Menschen herunterblickten, war Nello, der kleine Bauernjunge mit dem Hunde- Milchwagen, in einem Traumhimmel, dessen Gott Rubens war. Nello, kalt und hungrig, mit nackten Füßen in den Holzschuhen, seine Locken und armseligen dünnen Kleidchen vom Winterwind zerzauset, lebte in einer Welt für sich, und sah nur das schöne, verklärte Gesicht der Maria, und die Wellen ihres goldnen Hars auf ihre Schultern
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niederfallend und das Licht der ewigen Sonne auf ihr Antlitz. In Armut aufgezogen, vom Glück mer als stiefmütterlich behandelt, unwissend, von den Menschen unbeachtet, hatte Nello die Entschädigung oder den Fluch des Genius. Niemand wußte es. Er selbst so wenig, als ein anderer. Niemand wußte es.
Nur Patrasche, der immer bei ihm war, wußte, wie er mit Kreide alles, was ihm vorkam, alles, was wuchs und atmete, auf die Steine zeichnete; hörte ihn auf seinem kleinen Bette von Heu furchtsame und inbrünstige Gebete murmeln, alle gerichtet an den Geist des großen Meisters; sah, wie sein Auge sich schwärmerisch schloß, und sein Gesicht stralte beim Glühen der Abendsonne oder beim rosigen Aufdämmern des Tages; und fülte viele und viele male die Tränen seltsamen, namenlosen Schmerzes, pepart mit Freude, heiß aus den hellen, jungen Augen auf seine eigne runzliche, gelbbraune Stirn träufeln. ( Fortsetzung folgt.)
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Winkelmann in seinem Beruf.( Siehe Nr. 51 und 52 d. vor. Jahrg.) Es ist von hohem Interesse, zu erfaren, wie der Mann, der zu den größten Geistern des vorigen Jarhunderts gehört, der lange einen ununterbrochenen Kampf um die physische Existenz füren mußte und dabei trotz alledem nicht in seinem Feuereifer für die Wissenschaft gehemt wurde, sich in seiner Berufsstellung bewegen wird. Er hat oft seine Vorliebe für den Beruf als Lehrer ausgesprochen, one wol früzeitig sich über das seinem Wesen zusagende Gebiet klar zu sein. Am allerwenigsten war er aber jedenfalls in der Stellung am Blaze, die er nach seinem Abgang von der Universität einnam, als, Konrektor in Seehausen. Zunächst mögen einige Mitteilungen über Winkelmanns materielle Lage folgen. Sein Gehalt betrug ungefär 120 Taler, allerdings wenig, aber für einen Menschen mit so bescheidenen Ansprüchen wie Winkelmann, immer noch genug, um sich davon Bücher zu kaufen und seinen kranken Vater zu unterstützen. Justi, welcher sein Leben sonst vortrefflich und ausfürlich schildert, erwänt nicht, daß er aus Mangel wolhabende Leute habe um Freitische bitten müssen, wie andere behaupten. Nach seiner Angabe sind in den 120 Talern 40 enthalten, welche an Stelle der 1709 eingefürten ,, Rumspeisung" gezahlt wurden. Dagegen habe ihm ein Herr Krusemart seinen Tisch angetragen, weil es ihm ein Bergnügen mache, einen artigen Menschen am Tische zu haben. W. war auch anfangs zufrieden und lehnte noch 1744 eine angebotene günstigere Stelle in Rathenow ab. Als jedoch die Schülerzal an der Schule zurüdging, und man ihm, der still und zurückgezogen lebte und damit den Philistern vor ihre dicken Köpfe stieß, daran Schuld gab, wurde auch ihm die Situation unangenehmer. Gebessert wurde sie keineswegs durch seine Stellung zur Geistlichkeit, und in erster Linie zu dem gestrengen griesgrämigen Kircheninspektor Schnackenburg . Dieser nahm es W. gewaltig übel, daß er ihm nicht, wie sein Vorgänger, einen beträchtlichen Teil seiner Amtstätigkeit abnam, d. h. predigen, katechisiren und Leichenreden halten. Er war zwar in firchlichen Dingen sonst fügsam, kommunizirte, wenn man ihn dazu einlud ,,, er war allemal fertig dazu," aber anstatt Sonntags den Predigten seines Inspektors beizuwohnen, las er im Homer. Kein Wunder, wenn der beleidigte Herr Schnackenburg nebst anderen geistreichen Zeitgenossen W. für einen Gottesleugner hielten und ihn dementsprechend behandelten; klagt doch der ,, Kezer" später über ,, biele gegen ihn bezeugten Unhöflichkeiten". Am tiefsten war der letztere jedoch getroffen, daß sein Inspektor Zweifel in sein Latein setzte und wenn er nach ein paar Jahren von aufgeblasenen dummen Pfaffen" schreibt, die nur ihr Dorf und Halle gesehen haben," so mag er dabei wol an Schnacken burg gedacht haben. Noch tiefer drückte es ihn jedoch, daß er schließlich Schülern den ABC- Unterricht erteilen mußte. Dabei studirte er mit dem riesigsten Fleiße seine Alten und man erzählt, daß er einen ganzen Winter in kein Bett gekommen sei. Sobald er mit seiner Schule fertig war, habe er sich in den Pelz gehüllt, in den Lehnstuhl gesezt, bis Mitternacht studirt, das Licht gelöscht und bis 4 Uhr morgens sigend geschlafen und dann wieder bis 6 Uhr, wo seine Lertätigkeit begann, studirt. Zur Sommerzeit soll er auf einer Bank geschlafen haben, mit einem Kloß an den Füßen, welcher ihn beim Herabfallen aufweckte. Neben diesem ungemein stark entwickelten Trieb zum Studium besaß er einen nicht minder starken Trieb zum Wandern. Und so machte er denn von seinem jezigen Aufenthaltsort in seiner freien Zeit Reisen nach Halle, Braunschweig , Magdeburg , Leipzig , Haders leben , und zwar stets zu Fuß. Den elf Meilen langen Weg bis Magdeburg legte er in anderthalb Tagen zurück, ging dann aber dort nicht aus Boysen's Studirzimmer heraus. Die Bibliotheken und Kunstsammlungen sind bei ihm natürlich immer die Anziehungspunkte. Er trägt sich sogar mit dem phantastischen Plan, und spart bereits dazu, ,, einen Zug nach Egypten zu thun und unter den Pyramiden die Kunst der Alten zu studiren". In Ermangelung der alten Bauwerke des Südens sprengt er aber hier vorläufig Hünengrüber und sammelt UrDie Bloßlegung einer folossalen Grabkammer von 96 Fuß Länge und 22 Fuß Breite ist sein Werk und hat sich bis in die neuere Zeit
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erhalten. Die Anregung, die W. in Halle zum Studium der Geschichte empfangen, trug hier ihre Früchte, denn neben den alten Klassifern ist es die deutsche Reichsgeschichte, welcher er seine Aufmerksamkeit schenkt. Er hat sogar Lust, sich ganz der Geschichte zu widmen und sich an irgend einer Lehranstalt als Dozent niederzulassen.
In den beiden traurigsten Jahren zu Seehausen, 1746-47, faßte er noch manchen Entschluß; so will er nach England gehen und in einer griechischen Druckerei Korrektor werden. Dann meldet er sich zu verschiedenen anderen Stellen, one Erfolg zu haben; so an der Schule zu Kloster- Berge bei Magdeburg im Jahre 1747.
Nachdem er sich noch an anderen Orten vergeblich um ein Unterkommen bemüht, erhält er endlich eine Stellung als Bibliothekar beim Grafen Bünau auf Nötheniz unweit Dresden . Dieser besaß damals die bedeutendste Privatbibliothek in ganz Deutschland sie zählte bei seinem Tode 42,139 Bände, darunter 149 Handschriften- Winkelmann war also ganz in seinem Element.
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Ein großes Interesse empfand er jedoch für die Dresdner Gemäldegalerie, welche durch August III. bedeutend gepflegt und erweitert wurde. Anfangs hatte er Schwierigkeiten, den freien Eintritt zu erlangen und man vermutet, daß er von dem Beichtvater des Königs, Leo Rauch, an den Oberinspektor Riedel empfolen worden sei, folgedessen er dieselbe zu jeder Zeit besuchen konnte. Wie sehr er von den dort aufgestellten Kunstwerken in Anspruch genommen wurde, beweist, daß er die feste Absicht hegte, selbst zu zeichnen. Dann war es aber auch die herrliche Antikensammlung, welche ihn in das klassische Reich der Kunst einführte und ihm somit die Hauptveranlassung zu seiner ersten epochemachenden Schrift gab. Hier waren vertreten die Meisterwerke aus der blühendsten Periode Griechenlands , andererseits in der Architektur Dresdens die von dem Italiener Chiaveri entworfene und bis auf den Thurm vollendete Hofkirche und die von dem Dresdner Raths- Zimmer- und Baumeister Georg Bähr erbaute Frauenkirche zwei der imposantesten Werke monumentaler Kunst und all diesem gegenüber der das üppige Hofleben August des Starken gleichsam versinnbildlichende Barockstil des Zwingers- ist es ein Wunder, wenn dieser Kontrast Winkelmann, dem die Literatur der alten Hellenen über die Misere seines nordischen Lebens hinweggeholfen, dem der Homer zum Evangelium geworden, die Feder in die Hand drückte, um den modernen Künstlern die Nachahmung der Alten zu empfehlen! Aber die aus dieser Anschauung erwachsende Erkenntniß erweckte denn auch die Sehnsucht mehr und mehr in ihm, Rom mit seinen Kunstschäzen selbst zu sehen; aber immer noch fehlten ihm die dazu nöthigen Geldmittel. Da kam ihm denn die Hilfe und er erkaufte sie um einen Preis den Uebertritt zur katholischen Kirche . ( Schluß folgt.)
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Die Feldbestellung in Indien . Unsre Illustration auf S. 188 fürt uns nach Dekan, der Südspize Hindostans, der Hölle der Menschen und Tiere. In diesem von der Natur gesegneten Landstrich, der zur Hälfte dem Nizam von Hyderabad und zur Hälfte zu der Regentschaft Madras gehört, haben die neuen Einrichtungen der Engländer so gut wie gar nicht Eingang gefunden. Der Bauer, Raiat genannt, arbeitet in der glühenden Sonnenhige und im strömenden Regen faſt nackt und ist durch Elend verbittert, gefüllos für die Schwäche seiner weiblichen Angehörigen und grausam gegen die Haustiere. Seine Hütte ist aus Fachwerk, die Wände mit Lem ausgefüllt, Luft- und Lichtlöcher mit Läden vertreten die Fenster; das Dach bilden Planken, mit Lem belegt, auf welchen als Schutz gegen Lecken wie gegen die große Landplage Indiens , die weißen Ameisen, etwas salzige Erde gebracht wird. Das Innere ist in ein Wonzimmer und verschiedene Kammern eingeteilt, die als Vorratsräume dienen. Die Hiße und die daraus entstehenden Krankheiten zwingen die Frauen zur Reinlichkeit im indischen Sinne. Die Stuben werden täglich gewaschen und öfters im Tage mit Kuhdünger belegt. Kuhmist ist nämlich nach brahmanischer
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