,, Eine Vergeßlichkeit, die ich lebhaft bedaure," berichtete der Doktor, die aber Herr Germanet allein verschuldet hat. Eine Dame hat keine Tanzordnung erhalten." Sprach's und ging wie eine Säule von dannen, grade in den Sal hinein.
Germanet stand sprachlos vor soviel Unverschämtheit. Der Bürgermeister fürte seine Keule zum Munde.
Wenn's sonst nichts ist," sagte er gleichmutig. ,, Sonst nichts!" stammelte Germanet.„ Heilige Jungfrau, aber es ist eine Dame, die wir alle hochschätzen und die die leicht gekränkt ist."
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Der Bürgermeister fur, als wäre ihm ein plötzlicher Gedanke gekommen, in die Fracktasche. Er zog eine Tanzordnung daraus hervor, die der heute ausgegebenen so änlich sah, wie ein Ei dem andern. Nur das Datum war ein anderes, sie trug dasjenige des vorigen Balles, der vor vier Wochen stattgefunden hatte. ,, Geben Sie ihr diese da, Ihrer Leichtgekränkten," sagte er, ,, sie wird den Unterschied garnicht bemerken."
Germanek bemerkte ihn selbst nicht; er drückte die Tanzordnung an sein Herz und stürzte damit in den Sal.
Der Bürgermeister, ein stattlicher Vierziger, mit einem großen, dicken Kopf und roten, wulstigen Lippen, zog sich samt seinem Boulardschenkel wieder an seinen Tisch zurück.
Einige Augenblicke später war alles in Ordnung. Die Tanzordnung war überreicht und angenommen worden, Herr Germanek hatte sich als erster darin eingezeichnet, und er schwankte jezt, blaß und ein wenig bekümmert, seine purpurne Centifolie am Arm, und seinen gelben Foulard für alle Fälle in Bereitschaft, nach dem Orchester, das Zeichen zum Beginn gebend.
Der Ball war eröffnet. Die Gardedamen rückten etwas näher zusammen. Frau Germanek, die, da ihr Mann bei einer andern den Liebenswürdigen spielen mußte, in ihren Hoffnungen als Tänzerin sich betrogen fand, nam neben Frau Weiß Plaz. Die Hofrätin bat, sie möchten sie in ihre Mitte nemen, um sie vor dem abscheulichen Zuge zu schützen.
Der Tratsch begann.
Es ist unbegreiflich, woher diese Mädchen das Geld nemen," bemerkte die Hofrätin , mit ihren langen, weißbehandschuten Fingern nach der einen Ecke deutend, wo Minna und Malchen tanzten. ,, Sehen Sie doch nur den Puzz, den sie machen, die Kleine hat ein Kleid nach der neuesten Mode, diese geblumten, zarten Stoffe finden Sie im lezten, Bazar', nun, ich denke, die hätten wol etwas Notwendigeres anzuschaffen, als Ballkleider."
Frau Germanet näherte ihre große Nase noch vertraulicher den anderen Nasen.
,, Für die Straße haben die Depaulis so gut wie nichts anzuziehen.“
Die Mädchen verdienen sehr wenig mit ihrer Stickerei," entgegnete Frau Weiß.
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,, Weil sie faul sind," versicherte die Hofrätin ; teuer genug lassen sie sich ihre Arbeit bezalen, aber sie vergnügen sich ja lieber, als daß sie arbeiten,- was brauchen Handarbeiterinnen z. B. auf einen Ball zu gehen? Das hat doch gar keinen moralischen Hintergrund."
„ Gewiß, liebe Frau Hofrätin , es ist unnötig, und besonders sich daselbst so auffallend zu machen. Sehen Sie nur, Malchen hat frische Rosen im Har und an der Brust. Ich könnte meinen Töchtern keinen solchen Lurus erlauben."
" Sie werden doch nicht glauben, liebe Frau Germanet, daß die Mädchen sich diese Rosen gekauft haben." Die Hofrätin zeigte wieder ihr ganzes Gebiß. Haha, man weiß schon, woher diese Aufmerksamkeiten kommen, aber ich finde, es ist ein Skandal." ,, Sie glauben also?"
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,, Wir glauben, daß sie einen Liebhaber hat, die Depauli, das ist doch sicher, und ebenso sicher ist es, daß sie ihn begünstigt. Sehen Sie sie nur an, sie tanzen zusammen, bemerken Sie, wie er den Kopf zu ihr herabneigt und wie sie zu ihm hinaufsiet? Sie geniren sich garnicht, ihre Zärtlichkeit ganz offen zur Schau zu tragen, ja, ich glaube sogar, die Mädchen sind mit dem jungen Menschen, dem Berger, allein hierhergekommen."
,, Nein, sie sind mit ihrem Bruder hier," versezte Frau Germanet. ,, Das ist ein sehr angenemer, feingebildeter Mensch, garnicht wie seine Schwestern, er kümmert sich auch nicht viel um sie, er stet da unten an die Türe gelehnt."
,, Wo, wo ist er, welcher ist es?" fragte Frau Weiß in hastiger Neugier. Ich kenne ihn noch garnicht."
Der mit den dunklen Haren , die ihm so tief in die Stirne fallen, er trägt feinen Frad."
,, Der?" machte die Hofrätin hönisch und gedehnt. Da irren Sie Sich einmal wieder, meine liebe Frau Germanet, der ist es nicht."
Die Apotekerin hatte ein kurzes, sehr überlegenes Lachen. ,, Der Jrrtum dürfte wol auf Ihrer Seite sein. Ich werde ihn doch wol kennen, da er mir gestern seine Aufwartung gemacht hat."
,, Er ist bei Ihnen gewesen?" fragte Frau Weiß.
,, Natürlich, ich war ja eine Freundin seiner Mutter, und er hat immer eine kleine Vererung für mich gehabt." Sie lächelte graziös, und dann mit ihrer dicken Urkette spielend, sezte sie mit affektirter Winselei, ihre heisere Stimme zu einem hohen Diskant hinaufzwingend, hinzu:„ Ach, er war auch so liebenswürdig, so gar zuvorkommend und galant, und es hat ihm bei uns so gut gefallen, so gut ich bedaure es wirklich, daß er heute schon abreist."
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Der Frau Hofrätin gab's plötzlich einen Riß, wieder streckte sie ihre langen Finger, nach der Tür zeigend, aus.
,, Aber wenn dieser Schwarzgelockte der Maler ist, wer ist denn dann dieser dort? Dieser da, ganz zu hinterst?" fragte sie übereifrig und interessirt.
,, Welcher?"
,, Sie müssen ihn doch herausfinden, er siet nicht aus wie ein Einheimischer, er ist so elegant, so distinguirt."
,, Nun, ich dächte, Eleganz und Distinktion fänden sich auch bei uns," entgegnete die Apotekerin in scharfer Zurechtweisung und sichtlich erbost.
,, Meinetwegen ja, aber ich möchte doch wissen, wer das ist, wer das sein kann."
,, Vielleicht ist es Baron Hellenbach," sagte Frau Weiß unbefangen und ruhig.
Die beiden Frauen hopsten von ihren Sißen in die Höhe; dieser Ausspruch alarmirte sie. Die Hofrätin schlug sich vor die Stirne; sie konnte es jezt nicht begreifen, daß ihr Scharfsinn dies nicht selbst herausgefunden; ja, sie machte sich's gradezu zum Vorwurf, daß sie den Aristokraten für den Maler gehalten hatte. Die Apotekerin war noch überwältigter, sie schnappte förmlich nach Luft. Der Baron, der Baron !" wiederholte sie. Aber Germanek und der Baron waren ja gute Bekannte von der Residenz aus, und wenn der Baron hierher gekommen war, so war er nur ihres Mannes wegen gekommen, er kannte ja sonst niemanden, aber er wollte wol einem alten Bekannten eine freundliche Aufmerksamkeit erzeigen, und Germanek wußte nichts davon und niemand hatte den Baron empfangen, und da schlürfte ihr Mann in Double chaîne eben an ihr vorüber. Sie winkte ihm zu, mit dem Taschentuch, mit dem Fächer, mit den Augen, und sie nickte mit dem Kopfe, und wies dann mit den knochigen Armen gegen die Tür. Germanek verbeugte sich und warf ihr eine Kußhand zu. 3. Aber Germanet, höre, pst, pst!" machte sie. Er verstand sie nicht, er schlürfte weiter. Sie wollte ihm nach. Pst, Germanet, pst!" Die Hofrätin versuchte, sie zurückzuhalten. Diese Tour sei onedies die lezte, und es sei doch jezt unmöglich, sich durchzudrängen. Aber schon hatte diese Double chaîne zu der herkömmlichen Verwirrung gefürt, die der Arrangeur nicht anders zu lösen wußte, als daß er" Walzer!" kommandirte. Jeder der Herren ergriff die Dame, die er grade vor sich hatte. Germanet fand sich plötzlich seiner Gemalin gegenüber, und vom Taumel erfaßt, nam er sie um die Taille und drehte sich mit ihr, trotz ihres zappelnden Widerstrebens, herum. Aber bei der Tür angekommen, erfaßte sie ihn derb, und bald hatte sie ihn zur Tür hinausbugsirt. Im Vorhause erfolgte die Erklärung. Hierauf brachte sich das Ehepaar gegenseitig ein wenig in Ordnung, und vom Vorsale aus in das Speisezimmerchen tretend, überfiel Germanek den Baron, der noch immer nach dem Tanzsal hinausblickte, von rückwärts mit einem Schwall von bewillkommenden Worten.
Hellenbach drehte sich um, und den Apoteker etwas genauer ins Auge fassend, brach er in ein herzliches Gelächter aus.
,, Baron Schwämmchen!" rief er und streckte ihm die Hand entgegen. ,, Warhaftig, unser Wizbold aus der Manège, unser August, unser old fellow. How do you do? Sehr erfreut, Sie wiederzusehen."
Germanet war außer sich vor Entzücken, er wackelte mit dem Kopfe und schnitt eine Clown- Grimasse.
,, All right!" rief er, grade wie die Clowns nach einem gelungenen Kunststück, und fügte dann mit einem breiten Lächeln hinzu: Sie erinnern sich also meiner noch, Herr Baron?"