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Ein flandrischer Hund.
Aus dem Englischen von Quida.
Für die„ N. W." mit Erlaubnis der Verfasserin übersezt von L. v. d. Wieseck.
III.
„ Das ist der Alois ihr Namenstag, nicht wahr?" sagte der alte Tehan Daas in jener Nacht aus der Ecke, wo er auf seinem Bett von Sackleinwand hingestreckt lag.
Der Knabe nickte; es wäre ihm lieber gewesen, der alte Mann hätte kein so gutes Gedächtniß gehabt.
Und warum bist du nicht da? Du hast doch kein Jar gefelt, Nello."
" Du bist zu frank, als daß ich fort könnte," murmelte der Bursche, den schönen jungen Kopf über das Bett beugend.
" Pah! Pah! Mutter Bulatte wäre gekommen und hätte sich zu mir gesezt, wie sie es dußendemal getan hat. Was ist Der Grund, Nello? Du hast dich doch nicht mit der Kleinen gezankt?"
,, Nein, Großvater, nie," antwortete der Knabe rasch, über und über rot.„ Die Sache ist, Baas Copez hat mich dieses Jar nicht eingeladen. Er hat irgend etwas gegen mich."
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,, Du hast doch nichts unrechts getan?"
" Nicht, daß ich wüßte. Ich habe die kleine Alois auf ein Tannenbrett gezeichnet das ist alles."
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Der alte Mann schwieg; er erriet die Warheit aus der unschuldigen Antwort des Knaben. Er war seit Jaren an sein Lager von dürrem Laub gefesselt, aber er hatte doch nicht ganz vergessen, wie es in der Welt herget.
Er drückte Nello's Kopf zärtlich an seine Brust. ,, Du bist sehr arm, mein Kind," sagte er und seine vor Alter zitternde Stimme zitterte noch mer als sonst so sehr arm! Es ist schlimm für dich."
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,, Nein, ich bin reich," sprach Nello leise vor sich hin; und in seiner Unschuld glaubte er es glaubte sich reich durch die unvergängliche Kraft des Genius, die mächtiger ist als die Macht von Königen.
Und er ging an die Türe und beobachtete in der stillen Herbstnacht die Sterne, welche am Himmel wandelten, und die hohen Pappeln, welche sich leis rauschend im Winde beugten.
Alle Fenster in der Müle waren erleuchtet, und dann und wann drangen Töne der Flöte zu ihm. Tränen tropften auf seine Wangen, denn er war nur ein Kind; und doch lächelte er und sagte sich: In der Zukunft!"
Er blieb, bis alles ganz still und dunkel war; dann ging er mit Patrasche hinein in die Hütte und sie schliefen lang und fest einer neben dem andern.
Er hatte ein Geheimniß, das nur Patrasche kannte. Zu der Hütte gehörte ein kleiner Anbau, den niemand betrat außer ihm - ein trauriger Aufenthalt, aber mit einer Flut hellen Lichts vom Norden. Hier hatte er sich von Latten ein Gerüst, eine Art Staffelei aufgeschlagen, und auf zusammengeklebtem grauen Papier einem der zallosen Phantasiegebilde, die sein Hirn er füllten, Form und Gestalt gegeben.
Niemand hatte ihm je etwas gelehrt; Farben zu kaufen bejaß er nicht die Mittel, und die paar primitiven Zurüstungen herzustellen, hatte er manchen Tag one Brod zubringen müssen, und die Dinge, welche er sah, konnte er nur in Schwarz und Weiß darstellen. Die große Figur, welche er hier mit Kole und Kreide gezeichnet hatte, war nur ein alter Mann, auf einem gefallenen Baum fißend nichts weiter. Er hatte Michel, den alten Köler, oft des Abends so dasigen sehen.
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Keine Seele hatte ihm je etwas von Umrissen oder Perspektive, von Anatomie oder Licht und Schatten gesagt, und doch hatte er das müde, durch schwere Arbeit vor der Zeit abgenutzte Alter, die traurige, stille Geduld, das einfache, gramvolle Bathos seines Originals so vollständig und so treu wiedergegeben, daß die Gestalt des einsamen Greises, der nachdenklich im Dämmern der herniedersteigenden Nacht auf dem toten Baum dasaß, ein Gedicht von ergreifender Wirkung war.
Das Bild war natürlich sehr wildwüchsig und hatte un zweifelhaft mancherlei Mängel, allein es hatte die Warheit und auch die ursprüngliche Schönheit der ächten Kunst.
Batrasche hatte viele, viele Stunden geduldig dagelegen, und der Arbeit zugeschaut, und er wußte, daß Nello eine Hoffnung
( 4. Fortsetzung.)
hatte eine eitle und überschwängliche Hoffnung vielleicht, aber felsenfest nämlich er wollte das Bild nach Antwerpen schicken und sich um einen Preis von zweihundert Francs järlich bewerben, der für Streide- oder Bleistiftzeichnungen von talentvollen Knaben jeden Stands und weniger als achtzehn Jar alt, ausgesetzt war. Drei der berümtesten Künstler in der Stadt des Rubens sollten die Preisrichter sein und den Sieger nach seinem Verdienst auswälen.
Den ganzen Früling, Sommer und Herbst hatte Nello an seinem Schage gearbeitet, der ihn, wenn siegreich, die erste Stufe zur Unabhängigkeit und zu den Geheimnissen der Kunst sein sollte, die er blind, unwissend, und doch so leidenschaftlich anbetete.
Er sagte niemand etwas; sein Großvater hätte ihn nicht verstanden und die kleine Alois war für ihn verloren. Nur seinem Patrasche sagte er alles und flüsterte ihm zu:„ Ich glaube, Rubens würde mir den Preis geben, wenn er lebte."
Und Patrasche glaubte es auch; denn er wußte, daß Rubens die Hunde geliebt hatte, oder er hätte sie nicht mit so erstaunlicher Treue malen können; und Leute, die Hunde gern haben, das wußte Patrasche, sind immer mitleidig und gutherzig.
Am ersten Dezember sollten die Zeichnungen eingeliefert sein, und am vierundzwanzigsten Dezember die Entscheidung getroffen werden, so daß der glückliche Gewinner mit den Seinen recht frohe Weihnachten feiern konnte.
Mit klopfendem Herzen, bald geschwellt von Hoffnung, bald niedergedrückt von Furcht, packte Nello im Zwielicht eines bitterkalten Wintertags sein großes Bild sorgfältig auf den kleinen, grünen Karren, brachte es, mit Hülfe Patrasche's, in die Stadt, und legte es dort, wie vorgeschrieben war, in der Vorhalle eines öffentlichen Gebäudes nieder.
,, Vielleicht ist es gar nichts wert. Wie kann ich's wissen?" dachte er, das Herz von unsäglicher Bangigkeit erfüllt.
Jezzt, da er sein Bild abgegeben hatte, tam ihm seine Hoffmung so gewagt, so eitel, so töricht vor. Wie konnte er, ein armer, barfüßiger Junge, der kaum lesen konnte, davon träumen, daß er etwas zu leisten vermöge, das von großen Malern, von wirklichen Künstlern auch nur eines Blickes gewürdigt werden würde.
Als er aber an der Katedrale vorbeiging, faßte er wieder Mut. Die herrliche Gestalt des Rubens schien sich aus dem Nebel und der Dunkelheit zu erheben und vor ihm zu schweben, und die Lippen des freundlich lächelnden Meisters schienen ihm zuzurufen: Habe Mut! Mit verzagtem Herzen und schwächlicher Angst hätte ich niemals meinen Namen für alle Zeiten auf Ant werpen geschrieben."
Nello eilte durch die eiskalte Nacht nach Hause, getröstet.
Er hatte sein Möglichstes getan; das Weitere lag in Gottes Hand, dachte er in jenem unschuldigen, keinen Zweifel kennenden Glauben, der ihm in der kleinen Kapelle zwischen den Weiden und Pappelbäumen eingeflößt worden war.
Der Winter war schon sehr kalt. Als sie in jener Nacht die Hütte erreicht hatten, fing es an zu schneien; und es schneite unaufhörlich merere Tage lang, so daß die Wege und die Grenzen der Felder verschwanden. Und die Bäche waren gefroren und ein schneidender Wind pfiff über die Ebene. Da war es nun freilich harte Arbeit, die Milch zu holen, wärend die Welt noch in Dunkelheit versenkt war, und durch die Finsterniß nach der schweigenden Stadt zu faren.
Harte Arbeit, besonders für Patrasche, denn der Lauf der Jare, der Nello nur eine kräftigere Jugend brachte, er brachte ihm das Alter, und seine Gelenke waren steif und die Knochen schmerzten ihn oft. Aber er wollte seinen Teil an der Arbeit nicht aufgeben. Nello hätte ihn gern geschont und den Karren selber gezogen, allein Patrasche wollte es nie leiden. Das Einzige, was er erlaubte oder annam, war, daß Nello, wo der Weg besonders schlecht war, hinten am Karren schob. Patrasche hatte im Hundegeschirr gelebt, und er war stolz darauf. Er litt oft arg von der Kälte und den abscheulichen Wegen und von Gliederschmerzen, dann biß er die alten Zäne zusammen, atmete mühsam, drückte den stolzen Nacken herunter und trabte voran mit stätiger Geduld.