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Menschen, welche zur Belebung unsres Bildes das ihrige beitragen, belehren uns, daß wir eine Szene vor Augen haben, welche in einem an strenge Winter und reichliche Schneefälle gewönten Lande spielt. Wir sehen uns auf der Grenze zwischen den beiden russischen Ostsee­provinzen Kurland   und Livland  , auf der 140 Meilen langen Düna  , in der Nähe von deren Mündung in den Rigaischen Meerbusen   der Ostsee  . Die Düna   ist hier 3000 Fuß breit kein Wunder daher, wenn wir außer dem besonderen Gegenstande unsrer Illustrution nichts weiter sehen, als die weite Eisfläche und die dunkle Wolkenwand, welche den Horizont begrenzt. Die vermummten Gestalten sind lettische Bauern ein Volk, dem das Weltgeschick so übel mitgespielt hat, wie sehr wenigen andern. Fast jedes der übrigen Völker hat eine, wenn auch noch so kurze und noch so lange Zeit im Meer der Zeiten unter­gegangene Glanzepoche gekannt und erhebt sich unter dem Drucke gegen wärtigen Elends in der Erinnerung an vergangenes Glück und ver­schwundene Größe. Die Letten sind, solange sie die Geschichte kennt, ein unterworfenes Volk gewesen, ein Volk, welches so ganz aus ge­borenen und vollendeten Knechten bestet, daß es nicht einmal eine Adels­klasse aus sich herausgeboren, also wenigstens in einem kleinen Teile zu höherem, wenn auch nur materiell höherem Lebensgenusse sich empor­geschwungen hat. In der uns bekannten frühesten Zeit wurden Livland  und Kurland   von den Liven beherrscht, einem Volksstamm, der jezt nur in verschwindenden Ueberresten, ein par hundert Menschen an Zal, noch erhalten ist. Ihnen waren die Letten untertan, als die Dänen und Schweden   im 11. und bremer Kaufleute im 12. Jarhundert die von jenen bewonten Ostseeländer kennen lernten. Diese und andre Kaufleute der Hansestädte waren die Pioniere des Christentums, das wenige Jarzehnte später im heiligen Eifer bekehrend, sengend und mor­dend einzog und seine Bekenner für diese Arbeit mit der Auflegung des Zehnten und schwerer Abgaben schadlos hielt. Die Herrscher der Ostseeprovinzen wechselten öfter, dieselben lernten nach der christlich­germanischen Ritterordensherrschaft zum Ueberfluß noch die polnische Königswirtschaft kennen und seufzen heute noch unter dem russischen Szepter ein zwar angeblich freies, aber nach wie vor ein Volt, dessen demütigem, ängstlichen Wesen man die Gewonheit anfiet, ge­drückt und gelegentlich auch so recht gewaltsam zu Boden gebrochen zu werden. Daß die Letten heute noch als ein geistig begabter Stamm betrachtet werden müssen, der nur gegen seine Herren, die Russen und den deutschen Adel, mißtrauisch und versteckt, sonst freundlich, gastfrei und offenherzig ist, dies beweist für die schier nicht zu ertötende Spann­kraft des Menschengeistes und die hohe Kulturfähigkeit auch jener heute noch weit zurüchstehenden Völkerschaften, mer als dicke Bände gelehrter Abhandlungen beweisen könnten.

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Der Lieblingsautor.( Bild Seite 213.) Nach getaner Arbeit ist gut ruhen, sagt ein Sprüchwort, dessen Warheit auch von den frommen Brüdern in Christo anerkannt wird, die durch den boshaften Pinsel eines unserer tüchtigsten Maler, E. Grüßner, dauernd erhalten bleiben und sich hier den freundlichen Leserinnen und Lesern der ,, N. W." vorstellen. Nur wird die Arbeit der würdigen Ordensbrüder von den bösen skeptischen Menschen der profanen Welt garzuoft weit unter dem Werte taxirt, der ihr von ihren Trägern nebst Gefolge bei­gelegt wird doch das sind Ansichten, und wer die vielen verschiedenen Meinungen der Menschen betrachtet und bemerkt, wie schließlich sich jeder einbildet recht zu haben, der wird auch gegen unsere drei Kloster­genossen tolerant sein und ihnen aufs Wort glauben, wenn sie be­haupten, daß ihr Leben schließlich doch nur Mühe und Arbeit ge­wesen sei". Wenn nichts anderes, so würden schon ihre Körperdimen­fionen ein sprechendes Zeugnis ablegen von ihrer Tätigkeit ,, im Wein berge des Herrn". Daß ihre Vorfaren so praktische Köpfe waren und das alte Gebäu, in dem sie früh und spat durch Kniebeugen und Rosenkranzabbeten dem Herrn dienen, in den herrlichen Gauen Deutsch  lands auffürten, wo des Bacchus herrlichster Göttertrank den Reben ent­quillt was können sie dafür? Sie, nicht aus der Art geschlagen, sind eben so praktisch wie ihre würdigen Vorgänger und denken, was nüßte denn der Wein, wenn er nicht getrunken würde? und ziehen sich zurück in einen külen Winkel des Klosters um unbelauscht und sicher vor ihren neidischen Mitmenschen ihrem offiziell so mißachteten Körper Stärkung zu weiterer Tätigkeit angedeihen zu lassen. Man sieht ihnen an, daß sie schon manchen Krug geleert haben, man sieht ihnen auch an, daß sie in der Praxis gar nicht so verächtlich vom Fleisch denken, wie sie in der Teorie den Gläubigen weiß machen, und man merkt endlich auch an den behaglich- sinnlichen Physiognomien, daß der Lieblingsautor, dessen Leistungen einer des gelungenen Kleeblatts zum

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besten gibt, durchaus kein Heiliger ist. Im Gegenteil, die Lektüre ist durchaus weltlich wie der feurige Rebensaft im Römerglase und stimmt gar wenig überein mit dem vor Jaren abgegebenen Gelübde. Aber das strengste leider nicht in den zehn einbegriffene Gebot Nr. 11 gilt auch hier und ist eifrigst von den tausenden von Genossen der vorge­fürten Brüder befolgt worden. Nur einmal versah man's und den Augenblick hat Grüßner glücklich benüßt, und der Schalk hat denn auch unbarmherzig diese interne Angelegenheit sachgetreu dem gesammten Publikum wiedererzält.

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Ueber die Herstellung des Hartglases, das, wie auch die ,, N. W." vor einiger Zeit ihren Lesern berichtet hat, selbst zu so anspruchsvollen Zwecken, wie sie die Aufgabe der Eisenbahnschienen bietet, verwendet wird, enthält der Universal Engineer" Mittheilungen, denen wir fol­gendes entnehmen. Nach dem Erfinder des jetzt gebräuchlichen Ver­fahrens, Glas zu härten, de la Bastie, wird der fabrizirte Artikel weiß­glühend in ein aus verschiedenen Fetten und Delen zusammengesetztes Bad getaucht. Dr. Schott fand nun, daß gutes Glas verschiedener Art ziemlich gleich gut sich härten lasse. Nur bömisches Glas erwies sich zu diesem Behufe untauglich. Bezüglich der Temperatur des dem Fett­bade auszuseßenden Glases ergab sich, daß, je höher dieselbe war, desto besser die Härtung gelang. Auch lieferten warme Bäder bessere Ergeb­nisse als kalte. Die Festigkeit des in Del temperirten( abgekülten) Glases zeigte sich auf 30 Kilogramm für den Quadratmillimeter erhöht, d. h. das gehärtete Glas ist mehr als fünfmal so fest als gewönliches und mehr als doppelt so fest, wie gewönliches Gußeisen. Da Glas­gegenstände von mannigfaltiger Form bei allzu beträchtlicher Tempe­raturerhöhung leicht ihre Gestalt verlieren, so suchte man eine Glassorte, welche auch bei geringerer Hiße sich gut härten ließe. Man fand sie in einem an Rieselsäure reichen und an Kalt armen Glase  . Auch in Bezug auf den Prozeß des Temperirens mußten weitere Experimente gemacht werden, weil kleinere Gegenstände in Del gut zu härten sind, nicht aber große und breite Platten, die dabei meist uneben werden, sich warsen, wie der technische Ausdruck lautet. Friedrich Siemens in Dresden   gelang dies mittels geringen Druckes auf die heißen Glas­platten, einige Minuten hindurch geübt durch zwei Fußblöcke mit polirten Flächen, deren Temperatur sorgfältig auf der richtigen Höhe zu halten ist, ehe die Härtung in gewünschter Weise vor sich get. Das von Simens produzirte Hartglas ist für denselben Preis zu haben als Gußeisen von gleichem Gewichte. Da nun Gußeisen dreimal schwerer ist als dieses Glas, so sind eiserne Schwellen dreimal teurer als gläserne, abgesehen von der größeren Dauerhaftigkeit des Glases. Ver­mutlich ist die Zeit nicht ferne, in der unsere Eisenbanen nur auf Glasschwellen gelegt werden, da Holz immer seltener und teurer wird und auch Eisen zu kostspielig und der Zerstörung durch Rosten aus­gesetzt ist. Gegenwärtig wird in England auch geprüft, ob sich Hart­glas zu Gas- und Wasserrören eigne. Voraussichtlich ist dies nicht minder der Fall; und warscheinlich ist, daß auch nach vielen anderen Richtungen dem Hartglase eine große Zukunft bevorstet. C. Ch.

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Aus allen Winkeln der Beitliteratur. Dampfstraßenbanen in Italien  . Wärend vor Jares­frist der Stadtrat zu Leipzig   und vor wenigen Wochen der Magistrat in der Reichshauptstadt die Konzession zur Herstellung von Straßen­Eiſenbanen mit Dampfbetrieb verweigert weil dieselben zu ge färlich" und aus anderen nichtigen Gründen entwickeln sich die Straßen- Hochban gebaut, die auf 5 Metern hohen eisernen Pfeilern Dampfstraßenbanen in Italien   immer mer. In Mailand   wird eine ruhen soll. Die 4 Kilometer lange Ban erhält 5 Stationen, welche durch Treppen zugänglich sind. Aber mit den Dampfbanen ist man in Italien   noch nicht zufrieden. Am 20. Oktober 1880 veranstaltete ein Herr Gasco auf einer Zweigban der Linie Turin  - Modena   Ver­suche mit einer elektrischen Lokomotive. Der elektrische Strom wurde derselben durch zwei neben den Schienen laufende Drähte zuge­fürt und zur Erzeugung des elektrischen Stromes wurde die Wasser­fraft benüßt. Da die letztere selbstverständlich am billigsten zu haben ist, so dürfte sich gegen die Dampfkraft eine sehr beträchtliche Ersparniß herausstellen. Die Experimente gelangen vollkommen.

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Die letzte Weizenernte der nordamerikanischen   Union   beträgt nach zuverlässigen Berichten mindestens 300 000 000 preußischer Scheffel, d. i. etwa 130 millionen Scheffel mer, als die Vereinigten Staaten  selbst consumiren.

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Inhalt. Die Schwestern, Roman von M. Kautsky( Fortsetzung). Aus dem Leben der Insekten. Naturgeschichtliche Skizzen von Dr. L. Jacoby( Fortsetzung). Ein flandrischer Hund. Aus dem Englischen von Quida. Für die N. W." übersezt von 2. v. d. Wieseck  ( Fortsetzung). Ein Tanzlied Walthers von der Bogelweide, von Friedr. Volckmar. Brasilien   und die deutsche Auswanderung. Einiges über der kostbaren Metalle und Elemente Herkommen, Preise und Verwendung. Die Feinde der Engländer im Kaplande. I. Die Basuto ( Schluß). Auf dem Eise der Düna  ( mit Illustration). Der Lieblingsautor( mit Illustration). Ueber die Herstellung des Hartglases.- Aus allen Winkeln der Zeitliteratur: Dampfstraßenbanen in Italien  . Weizenernte in der nordamerikanischen   Union  .

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Verantwortlicher Redakteur: Bruno Geiser   in Leipzig  ( Südstraße 5). Druck und Verlag von Franz Goldhausen in Leipzig  .

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Expedition: Färberstraße 12. II. in Leipzig  .