Die Gene Woll

ch

No 19.

Illustrirtes Unterhaltungsblatt für das Volk.

Erscheint wöchentlich.

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Preis vierteljährlich 1 Mark 20 Pfennig. In Heften à 30 Pfennig. Zu beziehen durch alle Buchhandlungen und Bostämter.

Die Schwestern.

Roman von M. Kautsky.

Elvira hatte indes nicht verstanden, was er sagte, das plöz­liche Stillestehen hatte ihre Betäubung vermert, sie wankte und legte sich in seinen Arm zurück und schloß die Augen. Mir schwindelt," flüsterte sie matt.

"

Das kommt vom Tanzen und von der unausstelichen Hize im Sal, ich denke, wir hören auf. Kommen Sie mit mir ins Nebenzimmer, da ist's besser, da wird uns beiden woler

werden."

Der fast unwillige Ton seiner Stimme brachte sie rasch zu sich. Sie blickte in seine Augen und sie fur nach ihrer Stirne, als erwache sie aus einem Traum, und als sei dies Erwachen schmerzhaft. Wie scharf kontrastirte der Ton seiner Stimme, der Blick seiner Augen mit den Empfindungen, in denen sie sich so­eben noch gewiegt! Er hatte nicht das gleiche Glück empfunden, wie sie, er war nicht in denselben Taumel verfallen, das Feuer, das in ihr brannte, es hatte sich ihm nicht mitgeteilt, sie wußte es nun; er hatte nur einer gesellschaftlichen Pflicht genüge getan, und nun drängte es ihn von ihr hinweg, nach jenem Zimmer, wo Minna war. Nur für sie hatte er also Augen, nur für sie Gefül, und in ihrer Nähe empfand er nichts, als die Hize des Sales! Sie preßte die Lippen fest aufeinander. Mag sie ihn behalten, dachte sie, ich werde nicht weiter an ihn denken, ich werde stark sein. Es war ein stolzer Vorsatz, mit dem sie den kurzen, süßen Traum hinwegscheuchte. Ihre Haltung war auf recht, der Kopf erhoben.

Gehen wir," sagte sie, das Wort hervorstoßend, und kaum fülbar legte sie ihren Arm in den seinen, den er ihr angeboten. Mit einem fast verächtlichen Lächeln auf den Lippen schritt sie dahin und über die Stufen nach dem kleinen Speisezimmer.

Der Bürgermeister hatte Champagner bestellt. Malchen saß an der Wand hinter dem Tische, sie hatte eine Portion Eis und ein Glas mit dem perlenden Schaumwein vor sich; für sie die Verwirklichung des höchsten, was Reichtum und Vornemheit zu bieten vermögen. Sie kam sich auch selbst wie eine Prinzessin vor, und sie nippte von dem Champagner voll Neugierde und mit einem Hochgefüle der Lust und weidete dann wieder ihre Augen an dem rot- weißen Eis, das so schön und appetitlich auf dem Glastellerchen vor ihr aufgehäuft lag, und sie verzerte das selbe nur in kleinen, ganz kleinen Portionen, um den seltenen Genuß zu verlängern. Sie sah garnicht auf, als jezt Elvira und Friz hereintraten, - wie gleichgiltig waren ihr auch die seiden in diesem Augenblick!

1881.

( 18. Fortsetzung.)

Von den übrigen wurde Elvira mit Atklamation begrüßt. Der Bürgermeister schenkte sogleich ein Glas voll, winkte sie an den Tisch heran und bat, ihr einen Schmeichelnamen beilegend, sie möge ihm zutrinken. Der Baron hatte sie schon mit einem leuchtenden, vielsagenden Blick begrüßt, und er bat nun den Bürgermeister, ihn der jungen Dame vorzustellen. Sie nam die Vorstellung entgegen, freundlich- kül, und sie beantwortete seinen Blick mit einer so unbefangenen Gleichgiltigkeit, als wäre sie einem Menschen, von dem sie nichts wußte und den sie noch nie gesehen, entgegengetreten.

Es frappirte ihn. Er hatte erwartet, sie werde erröten, vor ihm die Augen niederschlagen, und er hatte sich schon im vor­hinein an dieser mädchenhaften Befangenheit geweidet. Es war anders gekommen. Wo nam nun dieses junge, auf dem Lande erzogene Mädchen die Sicherheit der Haltung, diese kecke Un­bekümmertheit her, und vor allem diese Ruhe? Es imponirte ihm, sein Interesse wuchs. Er wußte nicht, daß dieses junge Mädchen soeben einen viel erstaunlicheren Beweis ihrer Selbst­beherrschung gegeben, indem sie eine aufkeimende, warme Neigung ihres Herzens zurückdrängte und jede Hoffnung auf einstige Gegen­liebe zu ersticken suchte. Noch zuckte und tobte es unter dieser angenommenen Maske der Gleichgiltigkeit, noch waren ihre Sinne in leidenschaftlicher Erregung; sie suchte nach einem Halt, nach einem Ersatz, sie verlangte Genugtuung für sich selbst. Faſt gewaltsam wante sie ihre Augen von Frizz ab, der sich über Minna's Stul   lehnte und eindringlich mit ihr sprach. Sie lächelte dem Bürgermeister zu, der ihr gestand, er sei heute in der Messe über ihren Gesang ganz entzückt gewesen, und der dabei mit seinen plumpen Fingern ihren zarten Arm tätschelte.

Meiner Seel', es war ganz erquickend," versicherte er ,,, und wenn Sie so fortfaren, Fräulein Elvira, werden Sie bei uns noch Ere aufheben." Der Baron neigte sein Haupt in respektvoller Huldigung ihr zu.

Mein Fräulein, erlauben Sie mir, Ihnen zu sagen, daß Sie wie eine gottbegnadete Künstlerin gesungen haben." Ein Stral jähen Glücks erhellte Elvira's Züge und bliste aus ihren tiefen Augen ihm entgegen.

,, Sie haben mich gehört?" fragte sie rasch. " Gehört und bewundert, mein Fräulein. Ich darf wol sagen, ich habe selten eine so glockenreine, eine so zum Herzen sprechende Stimme gehört."

VI. 5, Februar 1881,