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den andern Heuschrecken ihrer Art, vor ihren nächsten Mitbewerbern im Kampfe ums Dasein; denn sie bewirkte eine, wenn auch noch so geringe und unvollkommene Blattänlichkeit, sodaß diese Heuschrecke bereits einen oder den anderen ihrer natürlichen Feinde eher zu täuschen vermochte als die Individuen ihrer Art, welche diese Eigenschaft nicht besaßen. Die Folge davon war, daß diese Varietät geschützter blieb und eine größere Warscheinlichkeit hatte, ihr Geschlecht fortzupflanzen. Von ihren Nachkommen aber wurden stets von neuem diejenigen durch natürliche Auslese ausgewält, welche jene Verbreiterung in irgend einem, wenn auch um noch so geringes vervollkommneteren Grade zeigten als ihre Eltern. Daß aber solche Besonderheiten und Merkmale in der Tat im Laufe der Generationen sich steigern und vervollkommnen können, ist ein durch Experimente und Erfarungen bestätigtes Gesetz; es wirken hier kombinirt die beiden Prinzipien der Anpassung und Vererbung, welche die Hauptstüße der Darwin 'schen Lehre bilden. So entstanden allmälich unter den neuen Geschlechtern Heuschreckenarten, welche nicht nur an den Flügeln, sondern auch an den Schenkeln der Vorberbeine jene blattänlichen Erweiterungen und zwar in immer verstärkterem Maße zeigten, so entstanden die Blattader zeichnungen auf dem Rücken dieser Verbreiterungen; auch die geringste Veränderung in Färbung und Gestalt unter den Individuen einer neuen Generation, welche zur Blattänlichkeit hinneigte, wurde durch die natürlichen Existenzbedingungen im Laufe der Beiten ausgewält, blieb erhalten, steigerte und vervollkommnete sich naturnotwendig, und so sehen wir heute das wandelnde Blatt vor unseren Augen sich bewegen, ein lebendiges Wunder, noch vor Jarzehnten angestaunt als eine unbegreifliche, unerklärliche, persönliche Laune des Schöpfers aller Dinge, heute ein Zeugniß dafür, wie in dem Lichte einer neuen Erkenntnißlehre die organische Natur gezwungen ist, Geheimnisse ihres Werdens und Entstehens zu entschleiern. Ganz auf dieselbe Weise erklärt sich das Entstehen all der bizarren Formen von Mimicry , die wir geschildert haben. Diejenigen unter den Gespenstheuschrecken, welche durch eine noch so geringe Aenlichkeit mit trockenen Zweigen und Aesten, die ihre Feinde zu täuschen vermochte, vor ihren Mitbewerbern im Kampfe ums Dasein im Vorteil waren, blieben erhalten und wurden von der Natur weiter gezüchtet, indem sie die ihnen nüzlichen Eigenschaften im Laufe der Generationen steigerten und vervollkommneten. Irgend ein Individuum dieser Phasmiden hatte einmal bei Annäherung eines Feindes vor Schreck eine seiner langen Extremitäten in unsymmetrischem Winkel starr und unbeweglich ausgestreckt gehalten; es war dadurch der Gefar,
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bemerkt zu werden, entgangen, das Sichtotstellen ist ja eines der gewöhnlichsten Schuhmittel der Insekten, wie jeder Käfersammler weißes behielt nun diese Gewohnheit, vervollkommnete sie durch Uebung und Gebrauch, und vererbte sie in gesteigertem Maße auf seine Nachkommen. So ist es möglich geworden, daß heutzutage auf Java die Einwoner eine solche lebendige, auf einem Zweige sigende Gespensterheuschrecke dem Fremden vor Augen halten, ohne daß diejer geraume Zeit im Stande ist, das große, 9 Zoll lange Thier nur zu entdecken und etwas anderes zu sehen, als vertrocknete Zweige. So erklärt sich das Raffinirte der Zeichnung von scheinbar verfaulten und verwesenden Blättertheilen auf der Unterseite der Flügel jenes malayischen Schmetterlinges Kallima paralecta, der Wallace durch seine Fähigkeit zu verschwinden, in Erstaunen versetzte, so auch die vollkommene Wiederspiegelung der Eichenrinde auf den Unterflügeln unseres Sabyrus, so die Nachamung eines Häuschens Vogeldung durch den Rüsselkäfer, so die Schlangenänlichkeit einer Raupe in den vorgetäuschten Augen, Schuppenbildung und Bewegungsart, und wie die unzälbar mannigfaltigen Formen von Nachäffungen und Verkleidungen in der Insektenwelt alle heißen, davon wir ja hier nur eine geringe Zal der frappantesten Fälle vorfüren konnten. Diejenige Form der Nachäffung, welche die Gestalt und das Aussehen schußbewaffneter oder ungenießbarer Insekten sich zum Vorbild nimmt, hat im Gegensatz zu den anderen Arten von Mimicry " stets die Eigentümlichkeit, daß es für ihre Besitzer von Vorteil ist, bemerkt zu werden und sich auffällig zu machen. Nur dadurch, daß sie ihren Feinden schon von weithin gleichsam ein Aushängeschild entgegenhalten mit der grell sichtbaren Aufschrift:„ Ungenießbar" oder„ Sehr gefärlich"- entgehen sie den getäuschten Verfolgern, wärend die Insekten, welche Pflanzen oder unorganische Stoffe nachamen, allein durch Verborgenbleiben vor ihren Feinden gerettet werden. Wir erwänten bereits, daß dieser zuerst von Wallace entdeckte und hervorgehobene Umstand für die Geschichte des Darwinismus von Bedeutung wurde, indem er aus einer Schwierigkeit seiner Lehre, welche die Gegner eifrig aufgriffen und zu verwerten wußten, sich zu einer glänzenden Rechtfertigung und Bestätigung umgestaltete. Möge diese kleine Skizze über Mimicry den Leser zu eigenen Beobachtungen in der Insektenwelt anregen. Sie sind auf Spaziergängen in Feld und Wald überall nicht schwer zu machen, und er wird sich durch die hirnerfreuende Wirkung, die das Eindringen in die Lebensweise dieser wunderbaren Tierklasse gewärt, für seine Mühe tausendfach belont finden.
Ein flandrischer Hund.
Aus dem Englischen von Quida.
Nello, aus dem Schlaf aufgeschreckt, lief herbei, um gleich den übrigen zu helfen. Baas Copez stieß ihn zornig zur Seite.
Du hast dich hier im Dunkeln herumgetrieben," sagte er rauh. Bei meiner Seele, ich glaube, du weißt von dem Feuer mer als irgend ein anderer."
Nello hörte ihn schweigend an, halbbetäubt er konnte nicht annemen, daß jemand so etwas anders als im Scherz sagen könne, und er begriff nicht, wie jemand in einem solchen Moment einen solchen Scherz machen könne.
Troßdem sagte der Müller am folgenden Tag das Nämliche vielen seiner Nachbarn, und zwar öffentlich; und wurde auch nie eine ernstliche Anklage gegen Nello erhoben, so verbreitete sich doch das Gerücht, er sei nach Dunkelwerden unter verdächtigen Umständen im Mülenhof gesehen worden, und er sei auf den Müller übel zu sprechen, weil dieser ihm den Umgang mit der fleinen Alois verboten habe. Und so kam es, daß das Dorf, welches den Worten des reichsten Grundbesizers mit knechtischer Unterwürfigkeit folgte, und in welchem sämmtliche Familien die Reichtümer der Alois ihren Sönen zuwenden wollten, für den Enkel des alten Tehan Daas nur noch füle Blicke und küle Worte hatte.
Niemand sagte ihm öffentlich etwas; aber das ganze Dorf war einig darin, dem Vorurteil des Müllers zu schmeicheln; und in den Hütten und Pächtereien, wo Nello und Patrasche jeden Morgen die Milch abzuholen pflegten, gab es für sie jetzt nur
( 5. Fortsegung.)
abgewante Augen und kurzangebundene Redensarten anstatt des herzlichen Lachens und der scherzhaft- freundlichen Grüße, an die sie gewönt waren. Nicht, als ob jemand den abgeschmackten Verdacht des Müllers und die daran sich knüpfende furchtbare Anklage im Ernst für begründet gehalten hätte, aber die Leute waren sehr unwissend und sehr arm, und der einzige reiche Mann im Ort hatte sich gegen Nello ausgesprochen. Nello in seiner Unschuld und seiner Freundlosigkeit hatte nicht die Macht, den Strom der öffentlichen Meinung zu dämmen.
„ Du bist sehr grausam gegen den armen Jungen," wagte die Müllerin einmal ihrem Mann vorzustellen; er ist doch warhaftig ein braver, unschuldiger Junge, und treu wie Gold, und würde nie, auch nur im Traum, an eine so abscheuliche Tat denken, so weh es ihm auch wegen deines Benemens ums Herz sein mag."
Aber Baas Copez war halsstarrig, und wenn er einmal etwas gesagt hatte, blieb er verbissen dabei stehn, und wenn er innerlich doch wol wußte, daß er Ünrecht hatte.
Inzwischen ertrug Nello das ihm zugefügte Unrecht mit einer gewissen stolzen Geduld, die jede Rechtfertigung verachtete; nur wenn er mit Patrasche ganz allem war, ließ er mitunter seinen Gefülen Lauf. Und außerdem dachte er: Wenn mein Bild gewinnen sollte! Dann wird es ihnen vielleicht leid tu."
Für einen kaum sechzehnjärigen Burschen, der sein kurzes Leben lang nur in einer kleinen Welt gelebt, und den in seiner Kindheit jedermann geliebkoset und gelobt hatte, war es indes