doch eine harte Probe, daß diese kleine Welt sich jezt gegen ihn wante, und um nichts. Besonders hart in jener traurigen Winterszeit, wo die Wege verschneit waren und Hungersnot herrschte und wo kein Licht und keine Wärme zu finden war, als am Herde der Dorfhütten und in dem freundlichen Grüßen der Nachbarn. Im Winter schlossen sich alle näher aneinander, alle an alle, außer an Nello und Patrasche, mit denen kein Mensch mer etwas zu tun haben wollte, und die sehen mochten, wie sie fertig wurden mit dem alten, gelämten, ans Bett ge= fesselten Mann, in der kleinen Hütte, deren Herd oft kalt und deren Tisch oft one Brod war. Denn jezt kam ein Milchhändler von Antwerpen  , der in einem hübschen, mit einem Maulesel be­spannten Wagen herumfur und die Milch bei den Bauern und Pächtern auffaufte; und nur drei oder vier Bauern hatten sich mit ihm nicht eingelassen und waren dem kleinen grünen Milch­farren treu gebliebeu. So war die Last, welche Patrasche zu ziehen hatte, sehr leicht geworden und die Centimesstücke in Nello's Tasche leider sehr dünn gefät.

Der Hund machte noch, wie gewönlich, halt an allen be­kannten Türen, die ihm nun verschlossen waren, und schaute mit einem sehnsüchtigen Blick, stumm fragend, ob niemand komme; und die Nachbarn empfanden immer so etwas wie Gewissensbisse, wenn sie ihre Türen und Herzen verschlossen und Patrasche seinen Karren leer weiter ziehn ließen. Sie taten es aber doch, denn sie wollten Baas Copez zu Gefallen handeln.

Weinachten war ganz nahe.

Das Wetter ser stürmisch und kalt. Der Schnee lag drei Fuß tief, und das Eis war stark genug, um Wagen und Ochsen zu tragen. Um diese Jareszeit war das kleine Dorf frölich und bergnügt. In der ärmsten Hütte gab es Warmbier und Kuchen, Spiel und Tanz, Zuckerheilige und vergoldete Christkinder. Die lustigen flamländer Glöckchen klingelten überall an den Pferden; überall, in jeder Wonung, stand ein wolgefüllter Topf auf dent Feuer und summte und dampfte; und draußen sah man überall lachende Mädchen in bunten Röcken und dicken Mänteln durch den Schnee zur Messe und von der Messe trippeln. Nur in der fleinen Hütte war es dunkel und ser kalt.

Nello und Patrasche waren ganz allein, mutterseelenallein auf der. weiten Welt. In einer Nacht der Woche vor Weinachten hatte der Tod Einzug gehalten und den alten Tehan Daas ab­gerufen, der von dem Leben nie etwas anderes kennen gelernt hatte, als Armut, Elend und Schmerzen. Er war lange schon halb tot gewesen, unfähig ein Glied zu bewegen und unempfind­lich für alles, außer für ein freundliches Wort; und dennoch traf sein Tod die beiden wie ein betäubender Schlag und erfüllte sie mit leidenschaftlichem Schmerz und tiefster Trauer. Er war im Schlaf von ihnen gegangen, und als der dämmernde Morgen ihnen ihren Verlust offenbarte, da brach das Bewußtsein un­aussprechlicher Verlassenheit und Hülflosigkeit über sie herein. Er war viele Jare lang nur ein armer, schwacher, gelämter Greis gewesen, der keinen Finger zu ihrer Verteidigung erheben konnte, aber er hatte sie so innig geliebt; sein Lächeln hatte stets ihre Heimkunft begrüßt. Sie trauerten um ihn, als wäre ein Stück von ihnen selbst weggerissen worden, und sie wiesen jeden Trost zurück als sie den tannenen Bretterſarg, der seine Leiche enthielt, nach dem namenlosen Grab neben der kleinen Kirche geleiteten. Sie waren die einzigen Leidtragenden, diese zwei, welche er one Freund auf der Erde zurückgelassen hatte junge Bursche und der alte Hund.

der

" Jetzt wird er sich doch sicher erbarmen und den armen Jungen herkommen lassen?" dachte des Müllers Weib, und warf einen verstolenen Blick nach ihrem Mann, der am Herd seine Pfeife rauchte.

Baas Copez tannte ihren Gedanken, aber er härtete sein Herz und ließ die Türe nicht aufriegeln, als der kleine ärmliche Leichenzug vorbeikam. Der Bursche ist ein Bettler," sagte er sich, er darf nicht um die Alois sein.""

Die Frau wagte es nicht, ihren Gedanken laut auszusprechen, aber als das Grab zugeworfen war und die Leidtragenden sich entfernt hatten, gab sie Alois einen Immortellenkranz, den sie nach dem Kirchhof zu bringen und auf dem schwarzen, durch kein Kreuz bezeichneten Erdhügel niederzulegen hatte.

Nello und Patrasche gingen mit gebrochnem Herzen nach Haus. Aber selbst der Trost dieses armseligen düstern Heims war ihnen versagt. Eine Monatsmiete war schon seit Wochen fällig, und die Kosten des Begräbnisses hatten den letzten Sou Nellos verschlungen. Er ging zu dem Eigentümer der Hütte,

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einem Schumacher, der jeden Sonntag Abend mit Baas Copez zusammen seine Pinte Wein trank und seine Pfeife rauchte; und bat ihn flehentlich um Nachsicht nur auf wenige Zeit- und er werde ja alles bezalen. Aber der Schumacher war unerbitt­lich. Es war ein harter, geiziger, habsüchtiger Mann. Für sein Mietgeld legte er Beschlag auf jedes Brett und jeden Stein, auf jeden Topf und jede Pfanne in der Hütte und befal Nello, sie den folgenden Morgen mit Patrasche zu räumen.

Die Hütte war ärmlich genug, ja mer noch als ärmlich, und doch war sie ihnen ans Herz gewachsen. Sie waren darin so glücklich gewesen, und im Sommer, wenn der Weinstock und die blühenden Bohnen sich um sie rankten, lag sie so schön und so hell da in den sonnigen Feldern! Ihr Leben in der Hütte war ein Leben härtester Arbeit und schwerster Entberungen gewesen, und doch hatten sie sich so zufrieden gefült, so glücklich, wenn sie zusammen nach Haus liefen, sicher, von dem alten Mann mit einem Lächeln des Willkommens empfangen zu werden.

Die ganze Nacht saßen der Knabe und der Hund an dem erloschenen feuerlosen Herd in der Kälte und der Finsterniß, beide ganz dicht aneinander gedrängt, um einander zu wärmen. Ihr Körper litt nichts von der Kälte, aber das Herz war ihnen wie zu Eis gefroren.

Als der Morgen über der weißen hartgefrorenen Erde däm merte, war es der Morgen vor dem heiligen Christabend. Mit einem Schauder schlang Nello die Arme um seinen einzigen Freund und seine Tränen rieselten heiß auf die erliche Stirne des Hunds  . Laß uns gehn, Patrasche, mein lieber, guter Pa­trasche," murmelte er. Wir wollen nicht warten, bis man uns hinausjagt; laß uns gehn!"

Patrasche hatte keinen andern Willen als den Nellos, und so verließen sie denn, Patrasche neben Nello hergehend, betrübten Herzens das kleine Heim, das sie so liebten, und in dem jedes alles ihnen teuer und von unschätzbarem Eckchen, jedes Gerät Wert war. Patrasche ließ den müden Kopf traurig hängen, als er an seinem grünen Karren vorbeiging: ach, er war nicht mer seiner war gleich dem übrigen von dem hartherzigen Eigen­tümer der Hütte für die rückständige Miete zurückgehalten, und das messingbeschlagene Geschirr lag unnüz und glitzernd im Schnee. Der Hund hätte sich gerne daneben gelegt, um zu sterben, jedoch so lange der Knabe lebte und ihn brauchte, durfte Patrasche solchen Gedanken nicht nachgeben.

Sie gingen die alte gewonte Straße nach Antwerpen   durch das Dorf hindurch, die meisten Fensterladen waren noch ge­schlossen, nur einige Bauern waren auf den Beinen. Sie namen keine Notiz von dem Hund und dem Knaben. Vor einer geöff­neten Tür blieb Nello stehn und blickte sehnsüchtig hinein; sein Großvater hatte den Bewonern des Häuschens bei Lebzeiten manchen nachbarlichen Dienst geleistet.

Wollten Sie wol so gut sein und Patrasche eine Kruste Brod geben?" fragte er mit gepreßter Stimme. Er ist alt und hat seit gestern Morgen nichts zu essen bekommen."

"

Die Frau schlug hastig die Tür zu, und brummte etwas von teurem Korn. Der Knabe und der Hund gingen müd weiter; sie baten niemand mer um Brod.

Nach müsamem Marsch auf den zum Teil ungebanten Wegen erreichten sie Antwerpen  , als die Glocken der Türme zehn schlugen.

Wenn ich nur etwas bei mir hätte, das ich verkaufen könnte, um ihm Brod zu verschaffen!" dachte Nello, aber er hatte nichts als seinen dünnen Anzug von Leinwand und Barchent und seine Holzschuhe.

Batrasche verstand ihn und rieb nach Hundeart seine Nase an Nellos Hand, als wolle er ihn bitten, sich doch ja um Pa­trasche keine Sorgen zu machen.

Um zwölf Ur sollte der Gewinner des Preises ausgerufen werden, und nach dem öffentlichen Gebäude, wo er seinen Schatz niedergelegt hatte, wante nun Nello seine Schritte. Auf den Stufen und in der Vorhalle war eine Menge von jungen Leuten versammelt, einige in seinem Alter, andere älter, alle mit Eltern, Verwanten oder Freunden. Das Herz wollte ihm schier zer­springen, als er, nur von seinem Patrasche begleitet, in die Schar der Mitbewerber trat. Die großen Glocken der Stadt kündeten mit eherner Stimme die Mittagsstunde. Die Tore des Saals öffneten sich; in atemloser Erwartung stürmte der Haufe hinein: es war bekannt, daß das auserwälte Bild auf einem hohen Ge­rüst über den andern ausgestellt werden sollte.

( Schluß folgt.)