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Ein Tanzlied Walthers von der Vogelweide.

Von Friedrich Bolckmar.

Ihr seid so wolgetan," färt der Dichter in der zweiten Strophe fort und meint damit alles an ihr, ihr Wesen, wie ihre Gestalt sei so voller Liebreiz und so vollkommen, daß er ihr gern einen weit schönern Kranz und damit den Preis der Schön­heit vor allen andern Frauen erteilt hätte. Denn der Dichter ist zugleich der feinste Kenner und höchste Richter alles Schönen und deshalb mer als jeder andere, ja in einem gewissen Sinne allein berechtigt, darüber zu Gericht zu sitzen und in dem holden Wettstreit der Schönheit der Schönsten auch den Siegespreis zu zusprechen. Dies war wenigstens der Gedanke der alten Zeit, und Walther macht von diesem Vorrecht des Dichters in zal­reichen Liedern und Sprüchen mit dem vollsten Bewußtsein seines dichterischen Berufs Gebrauch, wie er z. B. in der Frage, welches Land die schönsten Frauen besize, den Streit dahin entscheidet, daß die deutschen Frauen alle andern an Schönheit und Tugend überträfen. Die dritte Strophe des Liedes lautet:

,, Sie nahm, was ich ihr bot,

Einem Kinde gleich, dem Freundliches geschieht; Ihr Wänglein wurde roth,

Wie die Rose, da man sie bei Lilien sieht. Ihr Auge schämte sich, das lichte,

Ein holdes Gegengrüßen

Ward mir von der Süßen,

Und bald nach

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was ich nicht berichte."

Kann es etwas lieblicheres geben, als dieses errötende Mäd­chen, das mit der Dankbarkeit und dem Herzen eines Kindes die einfachen Gaben des Geliebten entgegennimmt, als wären sie der kostbarste Schmuck? dessen Auge sich in jungfräulicher Scham zu Boden senkt, wenn es dem seinen begegnet, und das ihm doch den holdesten Gegengruß nicht versagen mag? Und das was er nicht berichtet? Jede der Tänzerinnen, welche den Sänger umgeben, weiß es, jede fült es, und auch ihre Wangen erglühen in rosiger Scham. Ihre Augen suchen den Boden und keine wagt es, den Blicken des Sängers zu begegnen, denn konnte nicht die, von welcher der Dichter so anmutiges erzält und noch holderes andeutet, sich in ihrer Mitte selbst befinden? Und stand nicht jede in dem Verdachte, daß sie diese eine sei, und wurde sie nicht von den übrigen dafür gehalten? Alle diese Fragen drängen sich in rascher Folge ihnen auf, ihre Spannung wichst und die Erwartung, wie der Dichter dies alles lösen werde, beschleunigt und hemmt zugleich die Schläge ihres Herzens. So ist es denn Walther gelungen, aus den Zuhörerinnen seines Liedes zugleich Teilnemerinnen zu machen und sie in den Zauber­kreis seiner Poesie hineinzuziehen. Doch sie sollen über den Aus­gang des Liedes nicht lange in Ungewißheit bleiben:

,, Ich glaubte niemals mehr

Freude zu gewinnen als ich da besaß; Die Blüthen fielen schwer

Von den Bäumen bei uns nieder in das Gras. Ich war so fröhlich, daß ich lachte.

Als mich der Traum umsponnen Hielt mit solchen Wonnen,

Da ward es Tag, und ich erwachte."

Die Spannung, mit welcher die Hörerinnen den Worten des Sängers und der Entwicklung seiner kleinen Erzälung gelauscht, löst sich in einem tiefen erleichternden Atemzug. So also war es gemeint! Erträumt nur war, was sie für wirklich erlebt ge­halten und erfunden alles, und wenn auch Träume oft viel be­deuten können, so ist die Bedeutung hier doch nicht schwer zu fassen. Herr Walther hatte sie necken, sie überraschen und prüfen wollen, und es war ihm vollständig gelungen. Ehe die Vögel es anten, hatte der schlaue Vogelsteller sie mit seinen Netzen um­garnt und jetzt gab er ihnen die Freiheit wieder und alles war nur ein Scherz gewesen. Und so klingt denn das Lied in der letzten Strophe heiter und neckisch aus, wie es der fröhlichen Art des Reigens und der Absicht des Dichters entspricht, der als echter Künstler dem Schlusse seines Gedichts die höchste Wirkung vorbehält. Sie lautet, in Anknüpfung an das vorhergehende: ,, Mir ist von ihr geschehen,

Daß ich allen Mägdlein jezt zur Sommerzeit Muß in die Augen sehen,

Fänd ich meine wieder: o der Seligkeit!"

,, Wär sie bei diesem Ringeltanze?

Ihr Frauen habt die Güte Rücket auf die Hüte:

Säh ich sie wieder unterm Kranze!"

( Schluß.)

d. h. sollte es wirklich nur ein Traum gewesen sein? sollte man wirklich so lebhaft träumen können, daß die Erinnerung daran uns auch wachend nicht wieder verläßt und mit unbezwinglicher Sehnsucht nach dem verlorenen Glücke unser Herz erfüllt? Ihr Frauen habt die Güte, rücket auf die Hüte", d. h. in diesem Falle die Kränze, den festliegenden Kopfschmuck, welcher die Stirn und beim Niedersenken des Gesichts auch dieses zum Teil mit seinem überhängenden Blumengewinde, wie unter dem schüßenden Rande eines Hutes verdeckt und es so einer genauen Betrach­tung züchtig entzieht, wie aus der letzten Verszeile unseres Liedes: Fänd ich sie wieder unterm Kranze" deutlich hervor geht. Der eigentümliche Kopfschmuck der Frauen jener Tage wurde übrigens geradezu Hut oder mit einem dem französischen entlenten Namen chapel( das heutige chapeau) genannt.

Mit dieser neckenden Wendung und dem ausgesprochenen Wunsche des Dichters, daß er sein holdes Traumbild hier unter den Tänzerinnen wiederfinden möchte, schließt das Lied und mit ihm der Tanz, dessen vielfach wechselnde, kunstvolle Touren wir selbstverständlich dem Leser hier nicht vorfüren konnten. Es muß deshalb seiner Phantasie überlassen bleiben, sich denselben nach dem Gleichniß unseres heutigen Contre und unserer Polo­naise zu ergänzen, welche beide noch eine gewisse Aenlichkeit mit den Schreit- und Schleiftänzen( so nannte man die ruhigeren Tanzarten, zu denen auch unser Reigen gehört, zum Unterschiede von den lebhafteren Springtänzen) der alten Zeit haben, nur, daß sie, der neuen Zeit gemäß, der Mitwirkung des Gesanges und der seelischen Belebung durch das Lied entberen und folg­lich auch keinen so vollen und harmonischen Genuß gewären können, als er der alten Zeit in ihren besten geselligen Tänzen beschieden war. Daß wir in dem vorliegenden Beispiele von dem Baume der Vergangenheit eine der schönsten Blüten ge­pflückt, deren unvergänglicher Duft uns noch heute nach so vielen Jarhunderten selbst anmutet, brauchen wir wol nicht noch aus­drücklich hervorzuheben und ebensowenig, daß am Fuße desselben zwischen dornigem Gestrüpp manch schädliches Unkraut üppig wucherte, daß neben dem allzeit seltenen Guten und Schönen sich in jenen Tagen auch allerlei schlechtes und verwerfliches findet, daß man nicht zu übersehen braucht, wenn man sich auch un­gern damit befaßt. Wie wenig wir jedoch Ursache haben, über die Sitten der alten Zeit den Stab zu brechen, das beweist das vorliegende Beispiel, dem wir, trotz allem Herrlichen und Großen, das die moderne Literatur hervorgebracht hat, nichts änliches an die Seite zu sehen haben.

Noch in den schönsten Tagen der zweiten Blütezeit unsrer Dicht­kunst war eine letzte Erinnerung an jene verlorene Sitte und die Bedeutung, welche sie für die Dichtkunst hatte, in der Seele des größten unserer Dichter, in Goethe  , lebendig. In einem herr­lichen Liede, der Musenson überschrieben, schildert er sich in seiner raftlosen Dichtertätigkeit, wie er, durch Wald und Feld sein Liedchen pfeifend, dahinschweift und wie alles an ihm und um ihn seinem Genius dienen und sich ihm und seiner Zaubergewalt unterwerfen muß. Denn, heißt es u. a. in der vorlegten Strophe:

Denn wie ich bei der Linde Das junge Völkchen finde, Sogleich erreg' ich sie:

Der stumpfe Bursche blät sich Das steife Mädchen dret sich Nach meiner Melodie.

Das, was uns Goethe von sich hier erzält, wird uns nach dem vorhergegangenen nicht mer überraschen noch verwundern. Er ist hier aber nur der Sänger im alten vollen Sinne des Wortes, der seine eignen Lieder noch selbst singt und im Frü ling die Jugend zum frölichen Tanze damit ermuntert, ja selbst die Linde felt nicht, unter deren geheiligten Aesten seit uralten Zeiten und stellenweise noch heute die Tanzvergnügen abgehalten werden. Goethe und Walter von der Vogelweide  ! Sechs Jar hunderte liegen dazwischen, und doch reichen sich beide über den ungeheuern Abgrund der Zeit im Geiste die Hand: Es winken

Und nun mit einer neuen, überraschenden Wendung zum Schlusse: sich die Weisen aller Zeiten.