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Brasilien und die deutsche Auswanderung.
Die Behauptung, daß so kleine, wenn auch lästige, so doch anscheinend nicht sehr gefärliche Tiere, wie die Sandflöhe, aus ganzen, weiten Landesteilen die menschliche Bewonerschaft vertreiben könnten, falls ihnen die Natur größere Bewegungsfähigkeit verliehen hätte, mag gewaltig übertrieben erscheinen, und doch hat sie sehr viel für sich. Diese nichtsnußigen Tierchen vermeren sich nämlich riesig und haben die Gewonheit, sich bei dem Menschen in die Haut unter die Fußnägel und in die der ganzen Sole, hauptsächlich an der Ferse, einzugraben und dahinein ihre Eier zu legen. Wird nun die Einquartirung nicht rasch genug entfernt, durch Herausziehen mit Nadeln oder durch öfteres Waschen der Füße mit Tabaksblätterabsud, Citronensaft und dergleichen, so verursacht sie bösartige und nicht selten tötliche Geschwüre. Glücklicherweise hüpfen diese kleinen Bestien eben nicht, leben auch nur im Sande und kommen garnicht in die Betten.
Ungeheuer gesegnet ist Brasilien mit Fischen. Mer als 11000 neue Arten hat Agassiz allein im Amazonenstrom gefunden, und in allen Strömen wie an allen Küsten ist kein Mangel an Bewonern aus diesem Reiche der Tierwelt.
Ebensogut wie die in Brasilien einheimischen Tiere gedeihen, fülen sich dort in den meisten Gegenden die aus Europa eingefürten heimisch. Pferd und Rind haben sich in die hundert tausende und millionen vermert; den Schweinen behagt Brasilien gleichfalls vorzüglich, und Ziegen wie Schafe finden auch ihr Fortkommen. Neben dem Pferde sind als Reit- und Lasttiere auch der Esel und der Bastard vom Eselhengst und der Pferdestute, das Maultier, verbreitet. Auch der Maulesel, der Vermischung des Pferdehengstes mit der Eselstute entsprossen, findet sich häufig genug, aber weil er lange nicht so nutzbar ist, als sein Stammesvetter, doch bei weitem nicht so zalreich, als dieser. Der Esel ist be Der Esel ist be fanntlich in warmen Ländern weder ein dummer, noch ein träger Haus- und Arbeitsgenosse, und das Maultier erbt die Tugenden nicht nur seines Vaters, sondern auch die der Mutter. Es ist stark und mutig, wie das Pferd, genügsam, ausdauernd und so sicheren Schrittes wie ein Esel. Mit einer Last von drei Centnern auf dem Rücken täglich sechs bis sieben geographische Meilen zurückzulegen, fällt ihm nicht schwer. Es ist daher nicht zu verwundern, daß besonders schöne und tüchtige Maultiere in Bra silien häufig den Pferden vorgezogen und teurer bezalt werden, als diese.
Im Vorhergehenden wird der freundliche Leser der Belege genug gefunden haben für die Behauptung, daß Brasilien ein von der Natur hochbegünstigtes Land ist. Leider haben aber diejenigen keineswegs ganz unrecht, welche meinen, daß die Schäße der brasilischen Natur, die Fülle und Mannichfaltigkeit seines Pflanzen und Tierreichs den Bewonern nur zu einem sehr geringen Teile zugute kommen. Einmal stehen grade die Faktoren, welche diesen Reichtum geschaffen haben, seinem Genusse vielfach störend im Wege. Es sind dies das Klima und der ungeheure Wasserüberfluß des Landes. Das erstere ist, besonders in den nördlichen Gegenden, viel zu heiß, für europäische Einwanderer auf die Dauer sogar kaum erträglich, und die durch den Wasserreichtum bedingte Versumpfung weiter Bodenstrecken, wie die in tolossalem Maßstabe die Ufergegenden der zalreichen und mächtigen Wasseradern verheerenden, regelmäßigen Ueberschwemmungen verhindern die Bodenbebauung und Ansiedlung und sind die Träger und Närer mannichfacher Krankheiten.
Indessen wenn auch das Klima Brasiliens für die Eingeborenen des europäischen Nord- und Mittellandes zum guten Teile nicht zuträglich genannt werden kann, so ist doch nicht zu vergessen, daß der brasilische Süden in klimatischer Beziehung weitaus günstiger gestellt ist, als der Norden, und für Europäer ebensogut bewonbar ist, als die meisten Länder Europas . Aenlich ist es mit den Brasilien in höherem Maße anhaftenden Krank heiten, als andern Ländern; sie sind keineswegs überall heimisch und treten in vielen Gegenden nicht so häufig und heftig auf, daß sie der Besiedlung derselben und der Nutzbarmachung ihrer Naturschäze ein ernsthaftes Hindernis in den Weg zu sezen ver
möchten.
Dafür gibt es eine andre Hemmkette für die rasche Entwick lung des Wolstandes in dem südamerikanischen Kaiserreiche. Der Brasilianer selbst und seine Regierung mag den sehr guten Willen haben, die Schäße des Landes zu heben, alle wirtschaftlichen
( 1. Fortsetzung.)
Vorteile, welche sich ihnen darbieten, auszubeuten, aber bei ihnen gilt in hohem Grade das Sprüchwort: Der Geist ist willig, doch das Fleisch ist schwach.
Die Brasilianer könnten aus allen möglichen Naturprodukten ihres Landes Kapital schlagen, sie wissen auch, daß sie es könnten, sie wollen es auch, sie treffen sogar allerlei Anstalten dazu, sie machen aber selten einmal völligen Ernst, ihnen felt die geschäftliche Energie und Betriebsamkeit des Yankees und des Engländers nicht minder, als die zähe Ausdauer des Deutschen . Der Vereinigung dieses Umstandes mit den beiden andern leichter zu beseitigenden, nämlich: der Schwierigkeit des Transports größerer Lasten und der Kostspieligkeit und Spärlichkeit der Arbeitskräfte, ist es z. B. zuzuschreiben, daß die großartigen Kolenminen, die mächtigen Lager von Kupfer-, Blei- und Eisenerzen Brasiliens zumeist heute noch gradeso vergeblich auf den Ausbau warten, wie die reichlichen Vorräte von Alaun, Salpeter, Vitriol und vielen andern Naturprodukten sonst.
Selbst bei Handelsartikeln, mit denen Brasilien gegenwärtig schon allen konkurrirenden Ländern den Rang abgelaufen hat, tritt dieser brasilische Nationalfeler deutlich hervor. So beim Kaffee, der jetzt in fast hundertfach erhöhter Quantität gewonnen wird, als zu Anfang dieses Jarhunderts und bei dem der Wert einer einzigen Jaresernte den Gesammtertrag der berümten brasilischen Diamantwäscherei in deren Glanzperiode, d. i. in den achtzig Jaren von 1740-1820, übertrifft. Die Brasilianer geben sich aber mit der Kultur des Kaffeebaums keine Mühe, daher steht die Qualität des brasilischen Kaffees heute noch weit hinter der des indischen zurück und erzielt lange nicht so bedeutenden Absatz und so gute Preise als erzielt werden könnten. Genau dasselbe ist der Fall bei dem Bau des Tabaks und des Tees, der nur sorgsamer betrieben zu werden brauchte, um die brasilische Waare jeder fremden Konkurrenz ebenbürtig zu machen. Auch auf andern Gebieten fällt der Mangel an Energie und Ausdauer, welcher den Brasilianer charakterisirt, ins Auge. So erzält z. B. Osta Canstatt, der längere Zeit in Brasilien gelebt und dort Regierungsbeamter gewesen ist, daß ihm oft irgend ein Bau oder ein sonstiges Unternemen aufgefallen sei, welches großartig begonnen, vor der Vollendung aber ungenügt liegen geblieben oder abgebrochen worden sei.
Dieser Hang zum Gehenlassen der Dinge, wie sie eben gehen, hat sich in Brasilien auf verschiedenen Feldern des öffentlichen Lebens bis zur Lüderlichkeit gesteigert. Hiervon erzälen dem Fremden verständlich genug die vornemsten Verkehrsmittel: Dampfschiffe und Eiſenbanen. Bezüglich der Dampfschiffe tadelt der dem transatlantischen Kaiserreiche sehr geneigte Canstatt die Gebrechlichkeit der Schiffe, den Schmuß, die mangelhaften Einrichtungen jeder Art, die Unpünktlichkeit und Rücksichtslosigkeit des Schiffspersonals gegen die Reisenden, als die Hauptfeler, denen man auf brasilianischen Dampfern begegnet.
Die kurze Schilderung, welche Canstatt von dem Dampfer gibt, der ihn zum erstenmale von Rio Grande nach Porto Alegre gefürt, ist zu charakteristisch für die brasilianische Zweidrittelskultur, als daß ich sie hier übergehen möchte.
Das Schiff," sagt er, war etwa so groß, wie die Neckardampfschiffe, die Wirtschaft auf demselben brasilianisch, das heißt schmutzig, wenn auch nicht in dem Grade wie auf dem, Gerente ( das war das Schiff, welches den Reisenden von Rio de Janeiro nach der Hauptstadt der Provinz Santa Catharina, S. Desterro gebracht hatte). Doch liefen auch hier Schweine und Hüner frei auf dem Deck herum. Höchst unbequem fand ich es, daß für die Nacht für keinen besonderen Schlafraum auf dem Steamer gesorgt war. Man mußte sich eben mit den gepolsterten Bänken in dem allgemeinen kleinen Speisesaal begnügen. Ein Brasilianer, der sich nicht genügend mit Decken gegen die Kälte der Nacht vorgesehen, war naiv genug, das weiße Tischtuch von der Tafel zu nemen und sich darein zu wickeln. Am Morgen wurde sodann das Früstück wieder uns allen darauf servirt. Indessen ich war nun in Brasilien , und sollte später noch sonderbarere Dinge zu sehen bekommen."
Gegenüber den soeben gekennzeichneten Charaktereigenschaften des Brasilianers ist die Einwanderung betriebsamer, ausdauernder, minder leichtfertiger Elemente aus fremden Völkern für das ganze Land und für die Kulturwelt überhaupt ein unzweifelhafter Segen.